Auswirkungen von Corona-Beschränkungen auf das zivile Engagement
Ehrenamtlich Engagierte sind bei der Bewältigung der gegenwärtigen Krise nicht wegzudenken: Sie ergänzen staatliche Strukturen, von der Kinderbetreuung bis zur Hospizbewegung, und sie bilden das nötige, breite Fundament für den viel beschworenen gesellschaftlichen Zusammenhalt, so die geladenen Experten im öffentlichen Fachgespräch des Unterausschusses „Bürgerschaftliches Engagement“ zum Thema „Ehrenamtliches und bürgerschaftliches Engagement in Zeiten der Corona-Pandemie“ am Dienstag, 15. Dezember 2020, unter Leitung der stellvertretenden Vorsitzenden Katrin Werner (Die Linke).
Um dieser ihnen immer wieder zugeschriebenen Rolle gerecht werden zu können, bräuchten Vereine, Stiftungen und gemeinnützige Organisationen mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung seitens Gesellschaft und Politik, passgenauere finanzielle Hilfen, weiter verbesserte gesetzliche Rahmenbedingungen, mehr Angebote für ihre digitale Ertüchtigung sowie Perspektiven für Wege aus der Krise und die Zeit nach Corona, waren sich die Sachverständigen einig. Besonders in den Fokus nahm das Fachgespräch den Hospiz-Bereich.
Hardinghaus: Fehlende Schutzausrüstung und Hygienekonzepte
Prof. Dr. Winfried Hardinghaus, Vorsitzender des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbandes, berichtete über die schwierige Lage der Mitglieder seines Verbandes während des ersten Lockdowns im Frühjahr, der leichten Entspannung in den Sommermonaten und der sich zuspitzenden Situation im Herbst und Winter. 2020 sei die „hospizliche Begleitung nicht oder nur in begrenztem Maße möglich gewesen“. Insbesondere die Arbeit der Ehrenamtlichen in diesem Bereich, vor allem in der ambulanten Versorgung, habe über alle Monate hinweg unter starken Einschränkungen gelitten. Zu den Problemen zählte er: fehlende Schutzausrüstung und Hygienekonzepte sowie die Einschränkung des Besucherverkehrs. Viele Ehrenamtliche in dem Bereich gehörten selbst zur Risikogruppe.
Die Einschränkungen stünden in krassem Gegensatz zu den Grundsätzen des Hospizwesens, die besagten, dass niemand alleine sterben müsse und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort die räumliche und körperliche Nähe zu den Betroffenen suchen müssten, um professionelle Hilfe leisten zu können. Trotz der Erschwernisse seien zahlreiche Dienste der Herausforderung der Kontaktbeschränkung mit viel Kreativität begegnet und hätten den Betrieb irgendwie aufrecht erhalten. Der erste Lockdown habe Lerneffekte mit sich gebracht und man gehe mit einem gewissen Erfahrungsschatz in die zweite Pandemiewelle.
Johannsen: Ausbildung und Gewinnung junger Mitarbeiter ruht
„Corona hat unsere Arbeit völlig verändert“, sagte Peter Johannsen, Geschäftsführer der Hospiz Nordheide gGmbH. Seine Einrichtung habe nach dem Lockdown im Frühjahr nur langsam und zögerlich die Dienste von Ehrenamtlichen wieder in Anspruch genommen - zur Begleitung Sterbender am Bett zunächst gar nicht. Die Arbeit in der häuslichen Begleitung sei zwar weiter gelaufen, aber nicht mehr so stark nachgefragt worden wie vor der Krise. Sowohl Angehörige als auch vor allem ältere Ehrenamtliche hätten Angst sich anzustecken.
Problematisch sei, dass zur Zeit die Ausbildung und damit die Gewinnung neuer, vor allem jüngerer Mitarbeiter völlig ruhe. Zwei Kursangebote im Sommer habe man mangels Nachfrage absagen müssen. Nach der Pandemie werde man sich daher auf sehr viel weniger ehrenamtliche Mitarbeiter stützen müssen. Von der Politik wünsche er sich zunächst klare, einheitliche Vorgaben für den Arbeitsalltag, „wie wir uns verhalten sollen“, mehr öffentliche Wertschätzung der ehrenamtlichen Arbeit, sowie bei den anstehenden Impfungen eine prioritäre Behandlung ambulanter, ehrenamtlicher Hospizhelfer.
Graf Strachwitz warnt vor Rückgang der Spenden
„Auf die integrierende und inkludierende Kraft der ehrenamtlichen Helfer sind wir heute mehr denn je angewiesen“, mahnte Dr. Rupert Graf Strachwitz, Vorstandsvorsitzender der Maecenata Stiftung und Direktor des Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft. So wendeten sich die Behörden beim Aufbau der Covid-Impfzentren ganz selbstverständlich an die entsprechenden zivilgesellschaftlichen Organisationen und bäten diese um Mithilfe. Neben diesen im Fokus der Aufmerksamkeit stehenden „Hilfe-Dienstleistern“ gebe es aber ja zahlreiche weitere freiwillige Gemeinschaften, von denen einige unter der Corona-Krise zusammenzubrechen drohten – vom Karnevals- über den Kegel- bis zum Kaninchenzuchtverein. Sie alle stünden für den so wichtigen gesellschaftlichen Zusammenhalt. Unter den etwa 600.000 bis 800.000 lokalen Organisationen seien sicher einige, die den ein, zwei Jahre dauernden Pandemie-Zustand nicht überleben würden.
Das Potenzial der zivilgesellschaftlichen Hilfe zur Bewältigung der Krise werde nur ungenügend erkannt, sagte Strachwitz, kritisierte die staatlichen Hilfen – Geld, gesetzliche Regelungen, Beratung, Wertschätzung – als zu gering und warnte vor einem Rückgang der Spenden – einer wesentlichen Einnahmequelle vieler Organisationen: „Mit voller Wucht werden wir das erst im kommenden Jahr erleben.“ Er wünsche sich vor allem eine „zentrale Ansprechstelle“, an sich Ehrenamtliche und Vereine beispielsweise bei Fragen zur Digitalisierung wenden könnten. Es gehe jetzt darum, Hilfsangebote für das Ehrenamt besser zu machen – statt zu fragen, wie man die Zivilgesellschaft besser kontrollieren könne. „Wir brauchen dieses Engagement wirklich ganz dringend“, und sollten es nicht nur als nettes Beiwerk betrachten.
Hofmann: Kontaktbeschränkungen sind größte Herausforderung
Markus Hofmann, Familienbegleiter beim Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst des Arbeiter-Samariter-Bundes Hannover, berichtete von den durch Corona erschwerten Arbeitsbedingungen mit schwerstkranken Kindern in Heimen und zu Hause. Mit dem Angebot entlaste man Familien, die mit der Erkrankung eines Kindes plötzlich vor lebensverändernde Umstände gestellt würden und in einem dauernden Ausnahmezustand lebten.
Die Kontaktbeschränkungen seien nun die größte Herausforderung für die Arbeit mit den Kindern, wozu normalerweise auch der direkte körperliche Kontakt gehöre. Erschwerend für den Jugendhospizdienst komme hinzu, dass das Spendenaufkommen, das etwa 80 Prozent der Finanzierung der Einrichtung ausmache, stark nachgelassen habe.
Krimmer: Veranstaltungsausfall trifft Kultur- und Sportbereich
Für weite Teile der Zivilgesellschaft bedeute die Pandemie eine finanzielle Notlage, warnte auch Dr. Holger Krimmer, Geschäftsführer Zivilgesellschaft in Zahlen (ZiviZ) gGmbH, und wartete mit einigen Zahlen auf. Die von den Vereinen selbst erwirtschafteten Mittel würden am meisten in Mitleidenschaft gezogen und seien zu 90 Prozent weggebrochen. Bei der Betroffenheit der verschiedenen Vereine gebe es eine starke Asymmetrie. So litten der Kultur- und Sportbereich momentan durch ausfallende Veranstaltungen besonders stark, während etwa kleine Vereine, deren wichtigste Finanzierungsquelle die Mitgliedsbeiträge seien, nicht so stark betroffen seien.
Dafür könnten letztere laut einer aktuellen Umfrage bis zu ein Sechstel ihrer Mitglieder verlieren, die sich abwendeten, weil ihr Verein aufgrund der Corona-Beschränkungen seinem Gründungszweck nicht mehr nachkommen könne und Angebote einschränken müsse. Vereine, Stiftungen und gemeinnützige Organisationen müssten in der Krise mehr Beachtung erfahren. Sie hielten die Gesellschaft zusammen, seien ein wichtiger „Resonanzkörper“, in ihnen hätten Politik und Staat einen „wesentlichen Ko-Akteur“. Die Zivilgesellschaft wolle als Akteur ernst genommen werden und mit der Politik einen Dialog auf Augenhöhe führen. Die Politik müsse der wichtigen Rolle der Ehrenamtlichen mit einem „aufwertenden Format“ Rechnung tragen, um das Potenzial der „40 Millionen Engagierten“ in Deutschland in Szene zu setzen. (ll/15.12.2020)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Prof. Dr. Winfried Hardinghaus, Deutscher Hospiz- und Palliativ Verband e. V., Vorsitzender
- Markus Hofmann, Familienbegleiter, Ambulanter Kinder- und Jugendhospizdienst (KiHo) des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) Hannover
- Peter Johannsen, Hospiz Nordheide gGmbH, Geschäftsführer
- Dr. Holger Krimmer, Zivilgesellschaft in Zahlen (ZiviZ) gGmbH, Geschäftsführer
- Dr. Rupert Graf Strachwitz, Maecenata Stiftung, Direkter des Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft