Finanzminister Scholz: Nicht handeln wäre viel teurer als handeln
„In der Krise muss man zeigen, wer man ist. Und wir sind ein Land, das geeint ist und ein Land, das weiß, wo es hingeht.“ Mit diesen Worten wendete sich Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) am Dienstag, 29. September 2020, dem Jahrestag des Inkrafttretens des deutsch-deutschen Einigungsvertrages, an die Abgeordneten des Bundestages. In seiner gut 45-minütigen Einbringungsrede zu den viertägigen Beratungen über den Bundeshaushalt für 2021 (19/22600), kam Scholz mehrmals auf zwei Grundsätze zu sprechen, in deren Geiste sein Haushaltsentwurf in Zeiten von Corona und des Klimawandels zu verstehen sei: gesellschaftliche Solidarität und ökonomische Zukunftsfähigkeit.
Gemeinsam mit einem Antrag von CDU/CSU und SPD auf einen Beschluss des Bundestages zum Überschreiten der Kreditobergrenzen gemäß Artikel 115 Absatz 2 des Grundgesetzes (19/22887) soll das Zahlenwerk im Anschluss an die Beratungen am Freitag, 2. Oktober, an den Haushaltsausschuss überwiesen werden.
5,8 Prozent Rückgang der Wirtschaftsleistung
Mit Blick auf die Corona-Krise sei ein „erheblicher Rückgang der Wirtschaftsleistung“ zu verkraften, sagte Scholz. Konkret rechnete er mit einem Rückgang von 5,8 Prozent. Und gerade deshalb sei es nun notwendig, haushaltspolitisch „mit ganzer Kraft zu reagieren“.
Rückblickend auf das Haushaltsjahr 2020, in dem einschließlich des Nachtragshaushalts insgesamt 508,53 Milliarden Euro zur Verfügung stehen, verteidigte Scholz die beschlossenen Maßnahmen – von der Verlängerung des Kurzarbeitergelds bis Ende 2021 bis hin zu den Liquiditätsspritzen für Unternehmen, die in der Krise in Existenznöte gerieten. Diese Hilfen dürften nun nicht beendet werden, mahnte der Finanzminister: „Nicht handeln wäre viel teurer als handeln.“
„Öffentliche Investitionen nicht herunterfahren“
Die öffentlichen Investitionen, so versprach es der SPD-Politiker, würden trotz der „wirtschaftlichen Delle“ in den kommenden Jahren nicht heruntergefahren werden. Natürlich seien 96,2 Milliarden Euro Schulden im nächsten Jahr „sehr, sehr viel Geld“, aber sie seien notwendig, um Investitionsketten auszulösen und dergestalt wirtschaftliches Wachstum zu ermöglichen, das wiederum den staatlichen Handlungsbedarf reduziere.
Dass diese Rechnung aufgehe, habe sich nicht zuletzt im Nachgang der Finanzkrise von 2009 gezeigt. Man habe sehen können, dass die Instrumente wirkten und man dürfe deshalb optimistisch sein, dass sich die Schuldenquote in den kommenden Jahren wieder absenken werde. Auf das Niveau der letzten Krise würde die Quote dieses Mal im Übrigen gar nicht erst ansteigen, sagte der Minister mit Verweis auf jüngste Berechnungen.
„Mehr Netto bei den meisten Menschen“
Ökonomisch optimistisch stimmten den Finanzminister auch die steuerpolitischen Beschlüsse der jüngeren Zeit. Die teilweise Abschaffung des Solidaritätszuschlags und die Erhöhung von Steuerfreibeträgen und des Kindergeldes würden ab dem nächsten Jahr „zu mehr Netto bei den meisten Menschen“ führen, sagte er. Das helfe der Wirtschaft und sei zugleich Ausdruck einer solidarischen Haushaltspolitik.
Wichtig sei darüber hinaus – und auch das sei aus Solidaritätsgründen geboten –, die Gemeinden in Deutschland in der Krise nicht alleine zu lassen. Als Beispiele und finanzpolitische Maßnahmen für konkrete Hilfen nannte er beispielsweise den Ausgleich der Gewerbesteuerausfälle oder die Übernahme von Unterbringungskosten für Langzeitarbeitslose.
„Einstieg in die Wasserstoffindustrie nutzen“
Aber auch abgesehen von den Folgen der Corona-Pandemie gelte es große Aufgaben anzugehen. Als eine der wesentlichsten nannte Scholz den „menschengemachten Klimawandel“ und den Weg hin zu einer CO2-neutralen Wirtschaft. Hierzu, so der Minister, „müssen wir den industriellen Einstieg in die Wasserstoffindustrie nutzen“, denn dieser sei „der wichtigste Zukunftsbeitrag, den Deutschland gegenwärtig für das Klima leisten kann“. Hohe Investitionssummen seien daher für den Ausbau von Leitungsnetzen und Produktionsanlagen veranschlagt.
Im Osten und Westen der Bundesrepublik würde dies unweigerlich zu spürbaren Strukturumwälzungen führen, sagte Scholz mit Blick auf die zu erwartenden Folgen des beschlossenen Kohleausstiegs für die betroffenen Regionen. „Wir lassen aber niemanden alleine“, versprach er: „40 Milliarden Euro sehen wir vor, um den Strukturwandel zu begleiten“, so der Finanzminister gegen Ende seiner Einbringungsrede.
Ausgaben in Höhe von 413,4 Milliarden Euro geplant
Der Entwurf der Bundesregierung sieht für 2021 Ausgaben in Höhe von 413,4 Milliarden Euro vor. Das sind 18,7 Prozent beziehungsweise 95,1 Milliarden Euro weniger als der Ansatz im zweiten Nachtragshaushalt 2020. Ursprünglich hatte der im November 2019 beschlossene Haushalt 2020 Ausgaben in Höhe von 362 Milliarden Euro vorgesehen. Um Einnahmen und Ausgaben auszugleichen, ist eine Nettokreditaufnahme von 96,2 Milliarden Euro vorgesehen. Die Nettokreditaufnahme für 2020 soll rund 218 Milliarden Euro betragen.
In der Finanzplanung geht das Bundesfinanzministerium von einem deutlich geringeren Ausgabeniveau bis 2024 aus. 2022 sind demnach 387,0 Milliarden Euro, 2023 387,1 Milliarden Euro und 2024 393,3 Milliarden Euro avisiert. Die Nettokreditaufnahme soll in den kommenden Jahren ebenfalls sinken. Für das laufende Jahr 2020 ist eine Nettokreditaufnahme von 10,5 Milliarden Euro beschlossen, für 2023 soll sie 6,7 Milliarden Euro und für 2024 5,2 Milliarden Euro betragen. In der Vorlage des Bundesfinanzministeriums wird für den Finanzplanungszeitraum jeweils ein finanzpolitischer Handlungsbedarf ausgewiesen: 2022 in Höhe von 9,9 Milliarden Euro, 2023 16,4 Milliarden Euro und 2024 16,2 Milliarden Euro.
Antrag von CDU/CSU und SPD
Die Koalitionsfraktionen erinnern in ihrem Antrag (19/22887) daran, dass der Bundestag mit Beschluss vom 2. Juli 2020 aufgrund der Corona-Pandemie eine außergewöhnliche Notsituation festgestellt hatte, die sich der Kontrolle des Staates entzieht. Diese außergewöhnliche Notsituation, die weiter fortbestehe, habe die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigt. Die Maßnahmen zur Konjunktur- und Krisenbewältigung schlügen sich auch im Bundeshaushalt 2021 in erheblichem Umfang nieder. Aufgrund des Ausmaßes der andauernden Krise und der zu ihrer Bewältigung erforderlichen Maßnahmen bestehe daher weiterhin eine außergewöhnliche Notsituation im Sinne von Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 des Grundgesetzes, der besagt: „Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden.“
Der Haushaltsentwurf 2021 sieht zur Finanzierung der erforderlichen Maßnahmen eine Aufnahme von Krediten vor, die die Regelgrenze nach Art. 115 Absatz 2 Satz 2 und Satz 3 des Grundgesetzes um 86,182 Milliarden Euro überschreitet, heißt es in dem Antrag. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Überschreitung der Kreditobergrenze lägen vor. Der Bundestag wird aufgefordert, folgenden Tilgungsplan zu beschließen: Die im Bundeshaushalt 2021 aufgenommenen Kredite werden im Bundeshaushalt 2026 sowie in den folgenden 16 Haushaltsjahren zurückgeführt, und zwar jeweils um ein Siebzehntel des Betrages der Kreditaufnahme, der nach Abschluss des Bundeshaushalts 2021 die zulässige Verschuldung überstiegen hat. Diese Tilgungsverpflichtung solle die am 2. Juli 2020 vom Bundestag beschlossene Tilgungsverpflichtung ergänzen.
Weitere Beratungen im Haushaltsausschuss
Das Haushaltsgesetz 2021 mit seinen Anlagen, den Einzelplänen, wird nach der ersten Lesung zur weiteren Beratung an den Haushaltsausschuss überwiesen, der sich in den folgenden Wochen detailliert den Etatansätzen auseinandersetzen wird. Letzte Änderungen sollen in der sogenannten Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses am 26. November beschlossen werden.
Die zweite und dritte Lesung des Haushaltsgesetzes findet dann vom 8. bis 11. Dezember statt. In namentlicher Abstimmung wird der Bundestag den Haushalt 2021 am Freitag, 11. Dezember, beschließen. (ste/hau/scr/vom/29.09.2020)