Katrin Werner: Die Zivilgesellschaft wird die Corona-Krise bewältigen
Millionen Menschen in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, setzen sich freiwillig und unentgeltlich in den verschiedensten Bereichen zum Wohl der Gemeinschaft ein. Daran erinnert jährlich am 5. Dezember der internationale Tag des Ehrenamtes der Vereinten Nationen (International Volunteer Day for Economic and Social Development). Wie ehrenamtliches Engagement in Zeiten der Pandemie funktioniert, mit welchen Problemen Ehrenamtliche jetzt zu kämpfen haben und wie es nach Corona weitergehen könnte, darüber spricht Katrin Werner (Die Linke), stellvertretende Vorsitzende des Unterausschusses „Bürgerschaftliches Engagement“ des Familienausschusses des Bundestages, im Interview.
„Zu Beginn der Pandemie haben wir ein enormes spontanes Engagement gesehen“, beispielsweise in der Nachbarschaftshilfe, so Werner. „Es ist denkbar, dass das Bedürfnis nach sozialen Kontakten, Austausch und Begegnungen nach der Pandemie zunimmt. Vielleicht erleben wir dann einen großen Zulauf im bürgerschaftlichen Engagement. Ich wünsche es mir.“ Das Interview im Wortlaut:
Frau Werner, wie hat die Covid-19-Pandemie ehrenamtliches Engagement in Deutschland verändert?
Die Covid-19-Pandemie hat auch den Alltag von Engagierten stark verändert. Veranstaltungen, sportliche Aktivitäten und viele Sitzungen können und konnten nicht stattfinden. Chöre und Musikvereine können nicht proben oder auftreten und für viele Kinder und Jugendliche fällt ein großer Teil der Freizeitaktivitäten und Begegnung in Vereinen weg. Vieles hat sich auch bei Engagierten in den digitalen Raum verlagert. Doch das kann nicht den direkten sozialen Kontakt ersetzen und stellt auch viele Vereine und Initiativen vor enorme Herausforderungen, denn vielerorts fehlt es an Infrastruktur, notwendigen Geräten oder am nötigen Wissen. Bürgerschaftliches Engagement ist zudem nicht im Fokus der Krisenbewältigungspolitik. Zwar gibt es einzelne Hilfsmaßnahmen, diese sind in den Ländern jedoch höchst unterschiedlich und teilweise als Kreditprogramme ausgelegt, die für zivilgesellschaftliche Organisationen nicht geeignet sind. Welche Auswirkungen dies langfristig auf die Zivilgesellschaft haben wird, ist noch nicht absehbar.
Welche Rolle spielt die Tätigkeit von Ehrenamtlichen in dieser Zeit für die Gesellschaft?
Der Wert einer kritischen und lebendigen Zivilgesellschaft wurde durch die Bundesregierung im Krisenmanagement nicht gesehen. Doch die Zivilgesellschaft ist elementar für eine lebendige Demokratie, insbesondere in der Krise. Denn sie trägt zu sozialer und demokratischer Verständigung und damit zu einer Gemeinschaftsbildung bei. Zudem ist eine aktive Zivilgesellschaft notwendig, um politische Maßnahmen kritisch zu begleiten und für eine demokratische Kontrolle und Mitgestaltung zu sorgen. Dieser Wert wurde in den politischen Entscheidungen insbesondere zu Beginn der Pandemie ausgeblendet. Dabei geht es nicht nur darum, Kritik zu äußern und Missstände zu benennen. Es geht auch darum, Ideen für die Zukunft zu entwickeln und Hoffnung in Zeiten der Pandemie zu schöpfen. Die derzeitige Machtkonzentration, in der auch die Parlamente um Beteiligung ringen müssen, lässt dafür kaum Luft, und das muss sich dringend ändern.
Hat das Ehrenamt in Pandemie-Zeiten eher Zulauf? Oder halten sich Interessierte jetzt zurück?
Es ist zu früh, dies abschließend zu bewerten. Bürgerschaftliches Engagement ist zentral geprägt durch Austausch und Begegnung. Das ist in Zeiten der Pandemie, in der es notwendig ist, physische Kontakte zu reduzieren, natürlich eine Herausforderung. Viele Vereine und Organisationen haben hier Wege gefunden, damit umzugehen. Zu Beginn der Pandemie haben wir ein enormes spontanes Engagement gesehen. Viele Menschen haben sich in Nachbarschaftshilfsnetzwerken organisiert, die teilweise heute noch bestehen und aktiv sind. Menschen haben sich mit ihren Nachbarn und Nachbarinnen vernetzt und helfen sich gegenseitig, halten Kontakt und reduzieren so auch die Gefahr von Einsamkeit vieler Menschen. Es ist denkbar, dass das Bedürfnis nach sozialen Kontakten, Austausch und Begegnungen nach der Pandemie bei den Menschen zunimmt. Vielleicht erleben wir dann einen großen Zulauf im bürgerschaftlichen Engagement. Ich wünsche es mir.
Welche Fragen und Klagen werden momentan an den Unterausschuss herangetragen?
Neben den anderen bereits genannten Problemen ist die Frage des Geldes zentral. Viele Veranstaltungen müssen ausfallen, dadurch fallen Einnahmen weg und es gibt auch die Befürchtung, dass die Spendenbereitschaft nachlässt. Die Hilfsprogramme sind, wie schon gesagt, unübersichtlich und für viele nicht passend. Da muss auf jeden Fall von der Bundesregierung unbedingt eine Verbesserung vorgenommen werden. Meine Fraktion Die Linke im Bundestag hat dazu im Zuge des zweiten Nachtragshaushalts einen bundesweiten Rettungsschirm für zivilgesellschaftliche Organisationen mit nicht rückzahlbaren Zuschüssen gefordert.
Welche Probleme gibt es noch?
Ein weiteres großes Problem ist die oft fehlende Digitalisierung in den Organisationen. Dieses Problem ist durch die Krise verschärft worden. Die Deutsche Stiftung für Engagement hat dazu ein Förderprogramm aufgelegt. Innerhalb weniger Wochen sind über 12.500 Anträge eingegangen. Das zeigt, wie groß hier der Bedarf und wie drängend das Problem ist. Hier wurde viel zu lange weggeschaut, und es muss dringend mehr passieren. Zudem haben wir uns mit den Auswirkungen der Pandemie auf nationale und internationale Freiwilligendienste im Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement beschäftigt. Darüber hinaus findet im Dezember eine Sitzung statt, in der wir noch einmal über zentrale Probleme des Engagements in der Krise und Perspektiven diskutieren.
Was antworten Sie darauf als Stimme der Ehrenamtlichen in der Politik?
Als Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement schaffen wir für Engagierte in diesem Land einen politischen Raum, in dem sie ihre Forderungen und Anliegen formulieren können. Als Oppositionspolitikerin versuche ich natürlich, die Engagierten, so gut es geht, bei der Durchsetzung dieser Forderungen zu unterstützen. Auch wenn wir damit nicht immer bei den Regierungsfraktionen durchdringen und der Opposition auch im Unterausschuss oft Steine in den Weg gelegt werden, machen wir damit weiter. Ich bin mir sicher, dass die Zivilgesellschaft diese Krise bewältigen wird. Denn sie birgt ein unglaubliches Potenzial an Anpassungsfähigkeit und Kreativität.
Auch in Karnevalsvereinen engagieren sich Tausende. Der Karnevalskalender musste nun wegen der Pandemie beträchtlich Federn lassen. Wie behalten Sie trotz allem in der vierten und fünften Jahreszeit Ihren Humor? Was sagen Sie Ihren Mitstreitern in Ihrem Wahlkreis Trier und allen anderen Karnevalisten?
Als Karnevalistin hat es mich natürlich auch getroffen, dass ich den 11.11. und den Beginn der Karnevalssaison nicht mit der närrischen Stürmung des Trierer Rathauses und anschließend mit der Feier auf dem Hauptmarkt begehen konnte. Trotz Absage der Saison fanden zwar anfänglich noch Trainings und Proben statt. Mit dem zweiten Lockdown fällt dies alles weg. Das betrifft auch hier besonders Kinder und Jugendliche, die auch ohne Auftritte weiter trainieren wollten. Die öffentlichen Auftritte sind nur das eine, nun fällt auch die Hintergrundarbeit und damit viel Begegnung weg. Ich bin mir jedoch sicher, dass der Karneval insgesamt und auch in meinem Verein, der KG Trier Süd, mit seinem Frohsinn und seiner Lebenslust auch ohne große Veranstaltungen weiterlebt. Es gibt ja nun mit den Impfstofferfolgen einen Silberstreif am Horizont. Deswegen schauen wir positiv in die Zukunft und freuen uns umso mehr auf einen tollen Karneval nach der Pandemie.
(ll/27.11.2020)