Gemischte Bilanz der deutschen Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat
Die Bundestagsfraktionen haben am Donnerstag, 26. November 2020, eine gemischte Bilanz der deutschen Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) gezogen. Während Union und SPD sowie Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) in einer rund einstündigen Vereinbarten Debatte betonten, die Bundesregierung habe trotz schwierigster Umstände wichtige Ziele erreichen können, stellten ihr die Oppositionsfraktionen ein allenfalls mangelhaftes Zeugnis aus.
Deutschland war am 1. Januar 2019 für zwei Jahre nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) geworden. Neben Krisenbewältigung hatte sie als Schwerpunktthemen die Auswirkungen des Klimawandels auf die weltweite Sicherheitslage, die Rolle von Frauen bei der Krisenbewältigung, einen besseren Schutz für humanitäre Helfer und mehr Rüstungskontrolle auf die Tagesordnung gesetzt.
FDP: Vereinte Nationen stehen vor einer Mammutaufgabe
Bijan Djir-Sarai (FDP) urteilte, im Hinblick auf andauernde Konflikte in Syrien, Libyen, Afghanistan und der Ukraine habe der Sicherheitsrat in den vergangenen Monaten auch mit deutscher Beteiligung nur geringe Beiträge leisten können. Und selbst das Erreichte scheine fragiler angesichts neuer Probleme und Krisen, wie dem wieder aufgeflammten Krieg in Bergkarabach oder der Covid19-Pandemie.
„Die Vereinten Nationen stehen vor einer Mammutaufgabe“, befand der Liberale und verwies auf den wachsenden Einfluss Russlands und Chinas, der eine „Gefahr für unsere Sicherheit und unsere Interessen“ darstelle. Der Bundesregierung warf Djir-Sarai vor, nicht ausreichend auf Reformen des Sicherheitsrates gedrungen zu haben. „Seine Zusammensetzung ist nicht repräsentativ und kein Spiegel der Welt“. Es werde Zeit, dass der Sicherheitsrat im 21. Jahrhundert ankomme.
Linke: Magere Bilanz aus friedenspolitischer Sicht
Die Bilanz der Mitgliedschaft falle aus friedenspolitischer Sicht mager aus, befand Heike Hänsel (Die Linke). Zwar habe die Bundesregierung Abrüstung und Krisenprävention als Schwerpunkte definiert, doch statt sich für eine atomwaffenfreie Welt einzusetzen, weigere sie sich nach wie vor, den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen.
Außerdem bekenne sie sich weiter zur nuklearen Teilhabe und der Stationierung von US-Atomwaffen in Europa, steigere ihre Militärausgaben jedes Jahr massiv und liefere weiterhin Waffen in die Türkei, die in zahlreiche schwere Konflikte wie dem im Jemen involviert sei.
Grüne: Viel Symbolpolitik, aber es wurde wenig erreicht
Auch Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte, dass die Bundesregierung weiter Waffen an Staaten wie die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate liefere. „Das ist eine Bankrotterklärung, gerade auch für eine Sozialdemokratie.“ Nouripour nannte das Erreichte insgesamt „beschämend“. Weder habe es die Bundesregierung geschafft, ein stabiles Dialogformat für die Lösung des Jemen-Konflikts zu schaffen, noch habe sie die angekündigte Allianz für Multilateralismus inhaltlich und finanziell unterfüttert.
Aus der neuen Resolution 2467 für eine feministische Außenpolitik, mit der unter anderem die Rechte der Überlebenden von sexualisierter Gewalt in Konflikten wirksam gestärkt werden sollten, seien auf Druck der US-Administration unter Donald Trump elementare Teile herausgestrichen worden. Sein Fazit: „Viel Symbolpolitik, aber es wurde wenig erreicht in diesen zwei Jahren.“
AfD: Die Staaten wollen keinen deutschen Werteidealismus
Für die AfD übte Dr. Anton Friesen Fundamentalkritik an Deutschlands Rolle in den UN. Dass die Bundesregierung „Frauen, Frieden und Sicherheit“ auf ihre Agenda gesetzt habe, stellt aus seiner Sicht ein „ideologisch getriebenes Wohlfühlthema“ dar, das nicht zur globalen Sicherheit beitrage. Indem Geschlechterstereotype hinterfragt würden, werde die traditionelle Familie zerstört.
„Die Staaten wollen zu Recht keinen deutschen Werteidealismus, sondern eine Konzentration auf klassische sicherheitspolitische Themen“, urteilte er. Darüber hinaus sei die Bundesregierung ihrem erklärten Ziel, einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu bekommen, nicht nähergekommen und habe zahlreichen israelfeindlichen Resolutionen zugestimmt.
SPD: In wichtigen Fragen handlungsfähig geblieben
Christoph Matschie (SPD) befand, die Opposition zeichne die Farben „etwas zu düster“. Die Mitgliedschaft Deutschlands sei in eine schwierige Zeit gefallen, nicht nur wegen des Wegfalls der USA als wichtigem Partner.
Dennoch sei es gelungen, in wichtigen Fragen handlungsfähig zu bleiben und sich dabei eng mit den europäischen Partnern abzustimmen.
CDU/CSU: Echte multilaterale Lösungen wurden verhindert
Auch Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU) nannte die Zeit „erfolgreich“. Jedoch habe man zuletzt miterleben müssen, wie Bedeutung, Handlungsfähigkeit und Strahlkraft der Vereinten Nationen durch Russland, China und die USA massiv infrage gestellt und dadurch „echte multilaterale Lösungen“ verhindert worden seien.
Er äußerte die Erwartung und Hoffnung, dass Deutschland die USA unter dem neuen Präsidenten Joe Biden wieder an seiner Seite habe. „Wo, wenn nicht in den UN, wollen wir Herausforderungen wie Klimawandel und Covid-19-Pandemie angehen?“, fragte Wadephul.
Minister: Raum für Fortschritte und Kompromisse geschrumpft
Bundesaußenminister Heiko Maas hatte die Arbeit im Sicherheitsrat zuvor als „schwierig“ bezeichnet. Die Missachtung des Völkerrechts auch durch ständige Mitglieder schreite voran, der „Raum für Fortschritte und Kompromisse ist mehr als geschrumpft“. Doch trotz aller Kontroversen habe die Bundesregierung 101 Resolutionen zur Verabschiedung bringen können.
So habe man nach tage- und nächtelangen Verhandlungen erreichen können, dass Russland wenigstens der Offenhaltung eines Grenzübergangs für die humanitäre Hilfe in Syrien zugestimmt habe. Im Sudan werde eine neue UN-Mission künftig den politischen Reformprozess unterstützen. „Erstmals seit acht Jahren haben wir außerdem die Themen Abrüstung und Nichtverbreitung wieder auf die Tagesordnung des Sicherheitsrates gesetzt.“
„Wir haben nicht immer alles so erreicht, wie wir es uns gewünscht hätten“, räumte Maas allerdings auch ein. So sei eine ambitionierte Resolution zu den Folgen des Klimawandels für Frieden und Sicherheit an den USA gescheitert. Maas erneuerte im Bundestag den Anspruch Deutschlands auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Es sei eine „Lektion der letzten Jahre, dass es viel stärker als früher auch auf uns ankommen wird, in dieser Welt Regeln zu verteidigen und neue zu setzen“. (joh/26.11.2020)