Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung

European Green Deal: Ex­perte plädiert für Was­ser­stoff­technologie-Nutzung

Zeit: Mittwoch, 7. Oktober 2020, 18 Uhr
Ort: Berlin, Jakob-Kaiser-Haus, Sitzungssaal 1.302

Während eines öffentlichen Expertengesprächs zum Thema „Europäischer Green Deal“ des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung unter Leitung von Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) am Mittwoch, 7. Oktober 2020, hat der Leiter der Entwicklungsabteilung für Flüssigantriebe beim Luft- und Raumfahrtunternehmen Ariane Group GmbH, Dr.-Ing. Gerald Hagemann, ein Plädoyer für die Nutzung der Wasserstofftechnologie gehalten. Die Europa- und Energierechtsexpertin Dr. Dörte Fouquet machte im Anschluss deutlich, dass selbst das von der EU-Kommission verschärfte Einsparziel, wonach die Treibhausgasemissionen um 55 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 1990 reduziert werden sollen statt wie ursprünglich geplant um 40 Prozent, nicht ausreichend sei, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.

„Wissen und Expertise bündeln und vernetzen“

Ariane-Group-Vertreter Hagemann sagte vor den Abgeordneten, Wasserstoff berge große Potenziale, große Herausforderungen aber auch große Chancen in sich. „Wir haben in Europa die einzigartige Expertise, um nicht nur dem Trend zu folgen, sondern an der Spitze die Standards zu setzen“, betonte Hagemann. Dazu müsse das vorhandene Wissen und die vorhandene Expertise gebündelt und vernetzt werden.

Wasserstoff könne dabei helfen, „zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen“. Es könne gelingen, „kernrelevante deutsche Wirtschaftsbereiche“ wie etwa die Automobilindustrie, die Luftfahrtindustrie und die Schifffahrtindustrie nachhaltig zu transformieren und die Markführerschaft in diesen Bereichen abzusichern, zeigte sich Hagemann überzeugt.

„Vorteile des Wasserstoffs liegen auf der Hand“

Die Vorteile des Wasserstoffs liegen aus Sicht des Wissenschaftlers auf der Hand: Er könne durch Elektrolyse unter Verwendung von elektrischem Strom aus Wasser hergestellt werden. Neun Kilogramm Wasser würden ein Kilogramm Wasserstoff und acht Kilogramm Sauerstoff ergeben. Als Energiespeicher könne Wasserstoff für die verschiedensten Möglichkeiten weiterverwendet und von der eigentlichen Erzeugung entkoppelt werden. Das könne CO2-neutral oder auch CO2-frei erfolgen.

Die sogenannte kalte Verbrennung sei die Umsetzung in der Brennstoffzelle: „Hier wird Sauerstoff und Wasserstoff zusammengebracht – das Endprodukt ist Wasser und elektrischer Strom.“ Diese Brennstofftechnologie werde seit mehr als 50 Jahren in der Raumfahrttechnik verwendet.

„Einsatz von flüssigem Wasserstoff nicht trivial“

Über Wasserstoff könnte – CO2-neutral – synthetisches Kerosin hergestellt werden, sagte Hagemann weiter. Mit dieser Alternative, die aktuell aber noch nicht wirtschaftlich sei, könne die heutige Infrastruktur – also Erdgasleitungen und Tankstellen – praktisch unverändert übernommen werden.

Gleichwohl sei der Einsatz von flüssigem Wasserstoff „nicht trivial“. Er erfordere eine grundlegend andere Architektur der bekannten Antriebssysteme. Es sei nicht möglich, einen konventionellen Benzintank mit flüssigem Wasserstoff zu füllen. „Das würde nicht funktionieren. Wir benötigen bis zu viermal größere Tanks, entsprechende Isolierungen und neue Betankungsverfahren“, sagte der Experte.

„Wir werden eine Reduzierung um 65 Prozent brauchen“

Aus Sicht der Europa- und Energierechtsexpertin Fouquet reicht das 55 Prozent-Einsparziel nicht aus, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzten. „Wir werden wohl mindestens eine Reduzierung um 65 Prozent brauchen“, sagte sie. Für den Ausbau der erneuerbaren Energien bedeute das, „dass wir eine vier-bis fünffache Steigerung des Ausbaues brauchen“.

Aktuelle Zahlen aus Deutschland zeigten aber, dass der Windenergieausbau „ziemlich eingebrochen ist“. Einer der Gründe dafür sei die Einführung des Ausschreibungsmodells zur Ermittlung der finanziellen Förderung.

„Allgemeinwohl den Individualinteressen voranstellen“

Fouquet machte deutlich: Wenn es mit den 55 Prozent so eine starke Zielvorgabe gebe, „können wir das nicht so beliebig machen“. Dann müsse dies eine Aufgabe des öffentlichen Interesses werden. Die Belange des Allgemeinwohls müssten bei der Umsetzung der Ziele auch in Deutschland den Individualinteressen vorangestellt werden.

Wichtig sei auch festzustellen, dass das Gemeinwohlinteresse über dem Beihilfeinteresse liegt. Es brauche Instrumente der Daseinsvorsorge – keine Beihilfeinstrumente. Wenn eine solche Mammutaufgabe bewältigt werden solle, „können wir uns keine Spielchen über Jahre mit Genehmigungsverfahren der EU-Kommission im Beihilferecht leisten“, betonte die Europa- und Energierechtsexpertin.

Der europäische Grüne Deal

Der europäische Grüne Deal umfasst einen Fahrplan der Europäischen Kommission mit Maßnahmen, um den effizienten Umgang mit Ressourcen zu fördern. Vorgesehen ist der Übergang zu einer sauberen und kreislauforientierten Wirtschaft. Der Klimawandel soll aufgehalten und gegen den Verlust an Artenvielfalt soll vorgegangen werden. Auch will die Kommission die Schadstoffbelastung verringern.

Der europäische Grüne Deal zeigt auf, welche Investitionen erforderlich und welche Finanzinstrumente verfügbar sind und wie ein aus Sicht der EU-Kommission cgerechter und inklusiver Übergang gewährleistet werden kann. Er erstreckt sich auf alle Wirtschaftszweige – Verkehr, Energie, Landwirtschaft und Gebäude, aber auch auf die Stahl-, Zement-, Textil- und Chemieindustrie sowie auf die Informations- und Kommunikationstechnologie-Branche. (hau/07.10.2020)