Koalition uneins über Grünen-Vorschlag zur Kindergrundsicherung
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen will eine Kindergrundsicherung einführen. In ihrem entsprechenden Antrag (19/14326), über den der Bundestag am Donnerstag, 24. Oktober 2019, erstmals debattiert hat, fordert sie die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, um das Kindergeld, den Kinderzuschlag, das Sozialgeld für Kinder und die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets in einer neuen Leistung zusammenzufassen, die automatisiert ausgezahlt werden soll. Der Antrag wurde im Anschluss der Debatte zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen.
Grüne: Alleinerziehende und Hartz-IV-Bezieher stärken
Die Grünen-Parteivorsitzende Annalena Baerbock monierte, dass die rund 200 Milliarden Euro, die der Bund jährlich über verschiedene Leistungen für Familien aufbringe, nicht bei denen ankämen, die sie am dringendsten bräuchten: bei den Kindern von Alleinerziehenden und Eltern im Hartz-IV-Bezug. „Das ist ein Skandal“, schimpfte Baerbock. Das bestehende System der familienpolitischen Leistungen sei zu bürokratisch und funktioniere nicht. Von den Kindergelderhöhungen der Großen Koalition profitierten in erster Linie die Kinder von Besserverdienern, nicht aber die Kinder armer Eltern, da das Kindergeld als Einkommen angerechnet werde. Ihre Fraktion wolle deshalb eine Kindergrundsicherung, die nicht angerechnet wird.
Die Kindergrundsicherung soll sich nach dem Willen der Grünen aus einem fixen Garantie-Betrag für jedes Kind und einem ergänzenden „GarantiePlus“-Betrag, der sich nach der finanziellen Situation der Familie richtet, zusammensetzen. Der Garantie-Betrag soll so hoch sein, dass der verfassungsrechtlichen Vorgabe nach Freistellung des kindlichen sächlichen Existenzminimums und des Freibetrags für Betreuung, Erziehung und Ausbildung bei der Besteuerung des Familieneinkommens entsprochen wird.
SPD kündigt eigene Vorschläge an
Die Debatte offenbarte einen grundlegenden Dissens innerhalb der großen Koalition. Während die Unionsfraktion eine Kindergrundsicherung ablehnt, wird sie von den Sozialdemokraten präferiert. Die SPD-Abgeordnete Dagmar Schmidt kündigte an, dass ihre Fraktion eigene Vorschläge für eine Kindergrundsicherung vorlegen werde.
„Weil Eltern wegen ihrer Kinder nicht arm werden dürfen, brauchen wir eine Kindergrundsicherung“, sagte Schmidt. Deshalb unterstützte sie auch viele der grünen Forderungen. Allerdings gehe deren Antrag nicht weit genug. Allein Geldleistungen würden nicht ausreichen, um fehlende Strukturen beim Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe und Bildung zu ersetzen. Die SPD setze deshalb beispielsweise auch auf eine kostenfreie Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs oder von Sportangeboten.
CDU/CSU lehnt pauschale Leistungen ab
Der familienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Marcus Weinberg, hingegen argumentierte, die Leistungen des Staates für Familie und Kinder müssten sich an den konkreten Bedarfen orientieren. Pauschale Leistungen würden deshalb von der Union abgelehnt.
Weinberg verwies darauf, dass die Koalition das Thema Kinderarmut ganz oben auf ihrer Agenda angesiedelt und entsprechende Gesetzesreformen auf den Weg gebracht habe. So sei der Bezug von Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket entbürokratisiert und die Bezugsdauer für den Unterhaltsvorschuss entfristet. Ziel der Politik müsse es sein, die Eltern in die Lage zu versetzen, ihre Kinder selbst zu versorgen, sprich in Erwerbsarbeit zu bringen, argumentierte Weinberg.
FDP kritisiert „Dogma der Umverteilung“
Auf prinzipielle Sympathie stieß die Forderung nach einer Kindergrundsicherung bei den Liberalen und den Linken. Grigorios Aggelidis, familienpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion begrüßte es, dass die Grünen mit ihrem Vorstoß für eine Bündelung und Entbürokratisierung familienpolitischer Leistungen Forderungen übernommen hätten, die seine Fraktion bereits im vergangenen Jahr vorgelegt habe.
Allerdings sei der Antrag der Grünen noch immer vom „Dogma der Umverteilung“ geprägt. Zudem fehle eine solide Gegenfinanzierung. Vor allem aber bräuchten arme Kinder mehr Angebote und Zugänge zu Bildung. Sie müssten aus der staatlichen Abhängigkeit geführt werden.
Die Linke signalisiert Unterstützung
Norbert Müller, Familienpolitiker der Linksfraktion, begrüßte den Antrag der Grünen. Er gehe zwar nicht weit genug, aber die Forderung nach einer Zusammenlegung von Kindergeld und Kinderzuschlag sowie eine Neuberechnung des Existenzminimums von Kindern werde von seiner Fraktion unterstützt.
Es sei allerdings abzulehnen, wenn die Grünen die Leistungen für das Bildungs- und Teilhabepakt einfrieren wollen. So sei das Schulstarterpaket von 150 Euro pro Schuljahr viel zu niedrig kalkuliert, es müsse auf rund 400 Euro erhöht werden.
AfD: Grundsicherung befördert Kinderarmut
Auf völlige Ablehnung stößt die Initiative der Grünen bei der AfD-Fraktion. Eine Kindergrundsicherung verhindere Kinderarmut nicht, sondern befördere sie, weil sie falsche Anreize setze, sagte Johannes Huber, der derzeitige Vorsitzende der Kinderkommission des Bundestages. „Belohnt“ würden mit dieser Leistung vor allem Menschen, die nicht arbeiten gehen.
Die verbesserten Leistungen für Alleinerziehende würden ebenfalls einen Anreiz für mehr Trennungen und Scheidungen von Eltern geben, argumentierte der AfD-Parlamentarier. Um die Leistung zu finanzieren, wollten die Grünen einmal mehr die Steuerzahler und die Leistungsträger in der Gesellschaft zur Kasse bitten. Dies sei Klassenkampf und linksgrüne Umverteilungspolitik, monierte Huber.
Antrag der Grünen
Neben der Forderung, das Kindergeld, den Kinderzuschlag, das Sozialgeld für Kinder und die Bedarfe für Bildung und Teilhabe in einer Leistung – der Kindergrundsicherung – zusammenzufassen, fordern die Grünen, verdeckter Kinderarmut ein Ende zu machen, indem die Kindergrundsicherung automatisch von Amts wegen berechnet und ausgezahlt werden soll. Nach dem Willen der Fraktion soll die Kindergrundsicherung als eigenständige Leistung ausgestaltet werden, die nicht als Einkommen der Eltern angerechnet wird. Die Sozialleistung soll sich aus einem fixen Garantie-Betrag für jedes Kind und einem ergänzenden „GarantiePlus“-Betrag, der sich nach der finanziellen Situation der Familie richtet, zusammensetzen. Je niedriger das Einkommen der Eltern ist, desto höher soll der „GarantiePlus“-Betrag ausfallen.
Der Garantie-Betrag soll nach den Vorstellungen der Grünen so hoch sein, dass der verfassungsrechtlichen Vorgabe nach Freistellung des kindlichen sächlichen Existenzminimums und des Freibetrags für Betreuung, Erziehung und Ausbildung bei der Besteuerung des Elterneinkommens entsprochen wird. Für das Jahr 2019 beziffern die Grünen die Höhe der Kindergrundsicherung auf die Maximalbeträge von 364 Euro für Kinder bis fünf Jahre, 475 Euro für Kinder bis 13 Jahre und 503 Euro für Kinder bis 17 Jahre.
Antrag der FDP abgesetzt
Von der Tagesordnung abgesetzt hat der Bundestag die abschließende Beratung eines Antrags der FDP-Fraktion mit dem Titel „Wirksame, digitale und transparente Familienleistungen – Die Evaluation von ehe- und familienpolitischen Leistungen als dauerhafter Prozess“ (19/3174). Die Fraktion fordert die Bundesregierung auf, ehe- und familienpolitische Leistungen in regelmäßigem Turnus als dauerhaften Prozess zu evaluieren. Auch sollten die familienpolitischen Ziele priorisiert werden, um Zielbeziehungen und potenzielle Konflikte zwischen den Zielen bei der regelmäßigen Evaluation zu berücksichtigen.
Spätestens Anfang 2019 solle mit einer Evaluation der ehe- und familienpolitischen Leistungen des Bundes, der Länder und Kommunen sowie bestehender Schnittstellen, wechselseitiger Anrechnungsmodalitäten und Bürokratiekosten begonnen werden. Der Familienausschuss hat empfohlen, den Antrag abzulehnen (19/7763). (aw/sas/24.10.2019)