Kritik am Regierungsentwurf eines Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens (19/21981) äußerten die Sachverständigen in einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am Mittwoch, 30. September 2020. Zwar wurde die geplante Verkürzung des Verfahrens von sechs auf drei Jahre für alle natürlichen Personen sowie die zügige Umsetzung zum 1. Oktober 2020 begrüßt, abgelehnt wurde jedoch vor allem die im Regierungsentwurf vorgesehene unterschiedliche Behandlung von Privatpersonen und Unternehmern sowie die lange Speicherung von Insolvenzdaten bei Auskunfteien. Die meisten der geladenen Rechtswissenschaftler und Praktiker bedauerten in der von Prof. Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) geleiteten Sitzung, dass der Regierungsentwurf an diesen maßgeblichen Stellen deutlich vom Referentenentwurf abweiche.
Neben der Regierungsvorlage war außerdem ein Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur insolvenzrechtlichen Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie (19/18681) Gegenstand der Anhörung.
„Bedenken der Fachpraktiker berücksichtigen“
Marion Kemper, die Leiterin der Schuldner- und Insolvenzberatung der Evangelischen Kirchengemeinde Bottrop, verwies in der Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) darauf, dass namhafte Richter, Rechtswissenschaftler, Insolvenzverwalter und Schuldnerberater ihre Kritik am Regierungsentwurf bereits prägnant in einem Aufruf formuliert hätten.
Dieser Kritik schließe sich die Arbeitsgemeinschaft an und fordere, die Bedenken der Fachpraktiker im weiteren parlamentarischen Verfahren zu berücksichtigen. Insbesondere wende sich die Arbeitsgemeinschaft gegen alle geplanten Vorschriften im Entwurf, die nicht den wirtschaftlichen Neuanfang der überschuldeten Menschen im Fokus haben. Kemper wandte sich explizit gegen das dem Regierungsentwurf zugrunde liegende Schuldnerbild. Er sei von einem Missbrauchsgedanken durchzogen.
Experten befürchten „gespaltene Rechtslage“
Dr. Christoph Niering, Vorsitzender des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands (VID), kritisierte, dass der Regierungsentwurf keine Möglichkeit für eine schnelle Wiederaufnahme beziehungsweise Fortsetzung der selbständigen Tätigkeit biete. Damit werde die Chance vertan, den durch die Corona-Krise besonders getroffenen Freiberuflern, Einzelkaufleuten und Solo-Selbstständigen einen Neustart unter einer gesicherten Fortsetzung der selbständigen Tätigkeit zu ermöglichen. Für bedenklich hält Niering wie die anderen Experten auch die Differenzierung zwischen unternehmerisch und nicht unternehmerisch tätigen Schuldnern.
Deutliche Nachbesserungen am Entwurf forderte Prof. Dr. Martin Ahrens von der Georg-August-Universität Göttingen. Als Konsequenz der im Regierungsentwurf vorgesehenen Regelung, wonach die für nicht selbständig wirtschaftlich tätige Schuldner auf drei Jahre verkürzte Verfahrensdauer anders als im Referentenentwurf nur bis 2025 gelten solle, werde eine gespaltene Rechtslage eintreten, erklärte er. Diese Differenzierung führe zu unterschiedlichen Abtretungsfristen zwischen Unternehmern und nicht unternehmerisch tätigen Personen. Dies schaffe nicht nur eine unnötige Komplexität, sondern auch erhebliche systematische und praktische Probleme.
Verkürzung der Speicherfrist von Insolvenzdaten
Prof. Dr. Gerhard Pape, Richter am Bundesgerichtshof a.D., sagte, gleichgelagerte Sachverhalte dürften ab 2025 nicht unterschiedlich behandelt werden, indem für Verbraucher die Rückkehr zu einer sechsjährigen Entschuldungsfrist vorgesehen sei, während Selbstständige und ehemals selbstständige Schuldner ihre Entschuldung binnen drei Jahren erreichten.
Prof. Dr. Hugo Grote von der Hochschule Koblenz erklärte in seiner Stellungnahme, der Regierungsentwurf bedürfe dringend der Überarbeitung, wobei im Referentenentwurf bereits zahlreiche interessengerechte Lösungen vorhanden seien, auf die zurückgegriffen werden könne. Wie Ahrens sprach sich Grote dafür aus, die im Referentenentwurf vorgesehene Verkürzung der Speicherfrist von Insolvenzdaten nach der Restschuldbefreiung auf ein Jahr wieder in das Gesetz aufzunehmen. Dies sei interessengerecht und fördere den wirtschaftlichen Restart von Unternehmern und Verbrauchern.
„Allseits begrüßten Regelungen des Referentenentwurfs“
Prof. Dr. Hans-Ulrich Heyer, Richter am Amtsgericht Oldenburg, schloss sich der Kritik an. Die Restschuldbefreiung sei die notwendige Restrukturierungsmöglichkeit für alle natürlichen Personen, ob sie wirtschaftlich selbständig tätig seien oder nicht. Dem nachhaltigen Erfolg einer Entschuldung und einem damit bezweckten wirtschaftlichen Neustart laufe eine überlange Speicherung von Insolvenzdaten zuwider.
Das sah auch Prof. Dr. Hans Haarmeyer, emeritierter Professor aus Bonn, so. Im Vergleich zwischen dem Referenten- und dem Regierungsentwurf sei festzustellen, erklärte Haarmeyer, dass einzig die sofortige Verkürzung des Verfahrens auf drei Jahre positiv bewertet werden könne. Alle weiteren Änderungen seien entweder sinnfrei oder kontraproduktiv und entsprächen keinesfalls der Intention der EU-Richtlinie. Der Gesetzgeber wäre gut beraten, aus dem Regierungsentwurf lediglich die sofortige Umsetzung zu übernehmen und es ansonsten bei den allseits begrüßten Regelungen des Referentenentwurfs zu belassen.
„Unternehmer und Verbraucher zusammenfassen“
Die Frankfurter Rechtsanwältin Dr. Cristina Weidner schlug vor, Unternehmer und Verbraucher zusammenzufassen. Eine unterschiedliche Behandlung erscheine vor dem Hintergrund einer sozialen Ungleichbehandlung verschiedener Privatpersonen und damit einhergehenden Gefährdung der gesellschaftlichen Akzeptanz des Gesetzes nicht geboten.
Die Expertin für Restrukturierungs- und Insolvenzrecht erklärte, die Erfahrung der vergangenen Jahre zeige, dass die Dauer der Restschuldbefreiung nicht proportional mit steigenden Einnahmen zu verbinden sei. Im Gegenteil führe eine lange Verfahrensdauer meist nur zu einem erhöhten Aufwand für alle Beteiligten, während aus Sicht der Schuldner faktisch und mangels bestehender Anreize die Rückkehr in das normalisierte Wirtschaftsleben erschwert werde.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Hintergrund des Gesetzentwurfs der Bundesregierung ist die EU-Richtlinie 2019 / 1023 zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren. Den Anforderungen der Richtlinie genüge das geltende Recht nicht vollständig, heißt es in dem Entwurf. Auf die Erfüllung besonderer Voraussetzungen wie die Deckung der Verfahrenskosten oder die Erfüllung von Mindestbefriedigungsanforderungen soll laut Entwurf verzichtet werden.
Für Verbraucherinnen und Verbraucher soll die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens bis zum 30. Juni 2025 befristet werden. Über eine etwaige Entfristung soll auf Grundlage eines Berichts über etwaige Auswirkungen der Verfahrensverkürzung auf das Antrags-, Zahlungs- und Wirtschaftsverhalten von Verbraucherinnen und Verbrauchern entschieden werden. Die Verkürzung der Verfahrensdauer soll für alle Verfahren gelten, die ab dem 1. Oktober 2020 beantragt werden. Finanzielle Auswirkungen auf den Bundeshaushalt seien nicht zu erwarten.
Gesetzentwurf der Grünen
Im Entwurf der Grünen für ein Covid-19-Insolvenzfolgen-Abmilderungsgesetzarin heißt es, es seien jetzt zügig Regelungen zu treffen, um die rationale Abwägung von Chancen und Risiken des Insolvenzverfahrens durch die Schuldner zur Bewältigung der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie zu erleichtern. Aufgrund der zu erwartenden zusätzlichen Insolvenzen seien die in der EU-Richtlinie vorgesehene Verkürzung der Frist sowie die Absenkung besonderer Voraussetzungen für die Restschuldbefreiung kurzfristig in nationales Recht umzusetzen, um eine schnelle wirtschaftliche Erholung und eine Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit zu beschleunigen.
Unter anderem soll durch eine Änderung des Insolvenzrechts die in der Richtlinie vorgesehene Verkürzung der Frist bis zur Restschuldbefreiung auf drei Jahre für sämtliche mit Auftreten der Krise beantragten Insolvenzen in nationales Recht umgesetzt werden. Ferner müsse – trotz der mit den Schutzmaßnahmen zur Vermeidung der Ausbreitung der Covid-19-Pandemie einhergehenden beschränkten Versammlungsmöglichkeiten – die Handlungsfähigkeit der Gläubigerversammlung gewahrt werden. Dazu sollen die Bild- und Tonübertragung sowie die Stimmrechtsausübung, Antragsrechte und Entscheidungsbefugnisse der Teilnahmeberechtigten über elektronische Kommunikationen eingeführt werden. (mwo/30.09.2020)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Prof. Dr. Martin Ahrens, Georg-August-Universität Göttingen, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Anwaltsrecht und Zivilprozessrecht
- Prof. Dr. Hugo Grote, Hochschule Koblenz, Arbeitsschwerpunkte Restschuldbefreiung, Verbraucherinsolvenz, Zwangsvollstreckung und Verbraucherschutz
- Prof. Dr. Hans Haarmeyer, Bonn
- Prof. Dr. Hans-Ulrich Heyer, Richter am Amtsgericht Oldenburg
- Marion Kemper, Leiterin der Schuldner- und Insolvenzberatung der Evangelischen Kirchengemeinde Bottrop
- Dr. Christoph Niering, Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e. V., Berlin, Vorsitzender des Vorstands
- Prof. Dr. Gerhard Pape, Richter am Bundesgerichtshof a. D.
- Dr. Cristina Weidner, Frankfurter Rechtsanwältin
- N. N.