Opposition: Bildungspolitik des Bundes „ambitionslos“ und „chaotisch“
Die Oppositionsfraktionen zeigten in der Debatte über den Etat für Bildung und Forschung (Einzelplan 30) am Donnerstag, 1. Oktober 2020, allesamt ihren Unmut mit der Politik von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU). Dr. Götz Frömming (AfD), warf Karliczek „Mängel in der Aktenführung“ vor, Bettina Stark-Watzinger (FDP) nannte den Haushalt gerade in Bezug auf Zukunft, Technologie und Innovation „ambitionslos“, Dr. Gesine Lötzsch (Die Linke) sprach von der Verwaltung „chaotischer Baustellen“, Ekin Deligöz (Bündnis 90/Die Grünen) hingegen von einem „Armutszeugnis“.
Der Einzelplan 30 (19/22600), der für das Jahr 2021 20,24 Milliarden Euro vorsieht (2020: 20,31 Milliarden), soll nach den bis Freitag, 2. Oktober 2020, andauernden Beratungen sämtlicher Einzelpläne des Bundes an den Haushaltsausschuss überwiesen werden.
Ministerin: Keine adäquate Beschulung während Corona
Karliczek appellierte in ihrer Rede an den Gemeinsinn und sagte: „Wir leben in bewegten Zeiten.“ Die Corona-Pandemie fordere das Land sowohl technologisch wie auch gesellschaftlich: „Wir müssen alle Verantwortung für unsere Mitmenschen übernehmen. Die veränderten Regeln, werfen uns aus der Routine des Alltags.“
Aber das sei nur ein Teil der Herausforderung. Die im Frühjahr plötzlich verschlossenen Schulen hätten der Gesellschaft sehr deutlich vor Augen geführt, dass das Land trotz vieler digitaler Möglichkeiten nicht in der Lage gewesen sei, die Kinder adäquat zu erreichen und mit der gewohnten Qualität weiter zu beschulen. Als weitere große Herausforderung nannte sie den Klimaschutz und fasste zusammen: „Der Schlüssel zu all diesen Transformationsprozessen liegt in Forschung und Innovation.“
„Volle Fahrt bei der Digitalisierung“
Sie betonte, dass die Digitalisierung in den Schulen volle Fahrt aufgenommen habe und hob dabei den Digitalpakt Schule hervor, der mittlerweile von ursprünglich fünf Milliarden Euro auf rund 6,5 Milliarden Euro angewachsen ist. Mit der Stärkung der Digitalisierung der Schule zeige man „eine ganz klare Prioritätensetzung“. Zugleich betonte sie, dass es wichtig sei, alle Lehrerinnen und Lehrer so weiter zu bilden, dass sie die neuen Möglichkeiten auch nutzen können.
Grundsätzlich machte sie deutlich, dass der technologische Fortschritt dazu führe, dass Arbeit an sich immer anspruchsvoller wird und folgerte: „Deshalb brauchen wir erstklassige Bildung für alle.“ In diesem Zusammenhang nannte sie auch die duale Berufsausbildung für die Deutschland weltweit beneidet werde. Beim Thema Forschung stellte sie den Gedanken der Transformation in den Vordergrund. Sie sagte: „Der Erfolg im Wandel ist kein Selbstläufer, es ist einer Aufgabe die Zielbestimmung und Begeisterung braucht.“ Als Beispiel nannte sie die nationale Wasserstoffstrategie. Diese sei ein Versprechen an die jungen Menschen, das heißt: „Wir machen Deutschland zukunftsfähig und klimaneutral.“
AfD: Bildungseinrichtungen sind triste Stätten der Indoktrination
Götz Frömming (AfD) mahnte, dass Deutschland in Bildung, Wissenschaft und Forschung den Anschluss an die internationale Spitze komplett zu verlieren drohe. In Richtung Karliczek sagt er: „Hier hätte eine Ruck-Rede gehalten werden müssen, aber nicht mal die eigene Fraktion lässt sich noch begeistern.“ Er kritisierte, dass sich das Bundesministerium für Bildung und Forschung immer mehr von externen Lobbyisten beraten lasse, weil der Bund offenbar keine eigene Expertise habe, die Liste der Berater werde immer länger. „Frau Ministerin, vertrauen Sie doch mal auf unsere eigenen Pädagogen und nicht auf die Lobbyisten von OECD PISA und Co, die in die Schulen eindringen und Bildung zur Ware machen wollen.“
Frömming forderte die Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre zu wahren, so wie sie im Grundgesetz verankert ist. Durch „liberalökonomische und linksideologische Reformvorhaben“ – er nannte die PISA und Bologna-Reform – die neue Hochschulgesetzgebung und politische korrekte Sprachvorgaben, seien die akademischen Freiheitsrechte nicht nur massiv eingeschränkt, sondern bereits schwer beschädigt worden. Frömming sagte: „Und dabei schaut die Koalition einfach zu, wie aus Orten der Freiheit triste Stätten der Indoktrination und Gesinnungsprüfung werden“. Beim Haushalt kritisierte Frömming die Schwerpunktsetzung und unterstrich, dass der Bundesrechnungshof mehrfach gemahnt habe, dass haushaltsrechtliche Vorgaben nicht beachtet worden seien, die parlamentarische Kontrolle in Teilen deshalb nicht mehr möglich sei. Frömming nannte das einen „Skandal“.
SPD: Mutig in die Zukunft investieren
Es sei wichtig dafür zu sorgen, dass in der Krise niemand abstützt, es sei aber auch wichtig, gegen die Krise und in die Zukunft zu investieren. Das betonte Oliver Kaczmarek von der SPD. Der Haushaltsentwurf von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) werde genau diesem Ziel gerecht, denn erstmals würde der Haushalt für Bildung und Forschung im Einzelplan 30 auf über 20 Milliarden Euro wachsen: „Das ist historisch und das ist die richtige Antwort auf die Krise.“ Als wichtigen Punkt nannte er die Wasserstoffstrategie für die in den kommenden Jahren elf Milliarden Euro ausgegeben werden soll, wie auch weitere Mittel für Quantentechnologie und Künstliche Intelligenz. „Wir stärken damit die Zukunft“, sagte er.
Es sei aber auch wichtig, in der Krise Sicherheit zu schaffen, das gelte insbesondere für die Bildung. Die Pandemie habe gezeigt, dass Deutschland bei der Digitalisierung viel zu viel Zeit verloren habe. „Deshalb müssen wir jetzt massiv nachlegen.“ Der Anspruch sei: niemand darf durch die Corona-Krise zurück gelassen werden. Das gelte insbesondere für die, die es ohnehin schon schwer im Bildungssystem hätten, da sie nicht die „richtige“ Herkunft haben. Er nannte die Bereitstellung von 50 Millionen Euro für die Endgeräte für Schülerinnen und Schüler, deren Eltern sich die Geräte aus eigene Kraft nicht leisten können, „ein starkes Signal“. Auch verwies er auf den „Digitalpakt Schule“, auf die geplante Anschaffung von Endgeräten für Lehrerinnen und Lehrer sowie auf die Ausbildung von Systemadministratoren. Allerdings räumte er ein, dass diese Maßnahme für manche sicher spät komme, „aber der Pakt zeigt, dass wir handeln: Wir geben niemanden auf“. Zudem forderte Kaczmarek ein Nothilfe-BAföG für Studierende, die in eine finanzielle Krise geraten sind. Niemanden verlieren in der Krise, mutig in die Zukunft investieren, das sei die Überschrift über diesen Haushalt.
FDP vermisst „Wums für Bildung und Forschung“
Bettina Stark-Watzinger (FDP) sagte, dass sie erwartet habe, einen Wums für Bildung, Forschung und Innovation zu erleben: Doch „Fehlanzeige“. Denn mittelfristig, coronabereinigt sinke der Haushalt sogar. Stark-Watzinger sagte: „Das ist der falsche Weg.“ Bildung und Forschung seien der Weg in die Zukunft, seien der Weg, die Krise zu bewältigen und Chancen zu geben. Sie monierte, dass die Bildungschancen in der Gesellschaft immer noch ungleich verteilt seien. Sieben Prozent der Schüler würden die Schule ohne Abschluss verlassen, Tendenz steigend.
Aber auch die Herkunft des Einzelnen würde noch immer viel zu stark über den Bildungserfolg entscheiden. Es gingen lediglich 21 von 100 Nichtakademikerkindern auf die Hochschule, bei Akademikerkindern seien es hingegen 74 von 100. In diesem Zusammenhang forderte die Abgeordnete ein elternunabhängiges Bafög. Zudem warf sie der Ministerin vor, auf der einen Seite die berufliche Bildung in jeder Rede herauszustellen, aber faktisch viel mehr Geld in die akademische Bildung zu geben. Für die berufliche Bildung bleibe nur ein Bruchteil, „ein Mäuschenanteil“. Sie forderte, die Begabtenförderungswerke auch für die berufliche Bildung zu öffnen und sagte: „Wir müssen ihnen den Respekt und die finanzielle Anerkennung zukommen lassen, die sie verdienen.“
Linke: Es herrscht Misswirtschaft
Gesine Lötzsch (Die Linke) bezeichnete Bundesministerin Karliczek in der Corona-Krise als einen „Totalausfall“. Sie verwies darauf, dass der „Digitalpakt Schule“ bereits am 17. Mai 2019 in Kraft getreten ist: „Ich will von ihnen wissen, wie oft haben Sie die Ministerpräsidenten oder die Kultusminister angerufen und gefragt: Warum rufen sie die Mittel nicht ab?“ Die Ministerin schaffe es nicht, die Gelder sinnvoll in die Schulen zu bringen. Das sei ein „Armutszeugnis“. Gerade Corona verlange eine schnelle Umsetzung des Digitalpaktes. Den Ländern fehlten die Fachleute. Aber im Geschäftsbereich der Ministerin befände sich eines der größten Wissenschaftssysteme der Welt. Sie sei sicher, dass viele Wissenschaftler den Schulen gerne bei der Digitalisierung helfen würden.
Zudem verwies sie darauf, dass es nicht nur den Schulen schlecht ginge, sondern auch den Studierenden. Schon vor der Pandemie hätten viele in Armut gelebt. 36 Prozent der Antragsteller für eine Überbrückungshilfe seien abgewiesen worden, obwohl die Hälfte von ihnen eine finanzielle Notlage habe nachweisen können. Das sind mehr als 42.500 junge Menschen, rechnete Lötzsch vor. Sie forderte eine Reform der staatlichen Studienfinanzierung, „sonst verspielen wir unser Zukunftspotential“. Auch Lötzsch kritisierte die Verwaltung des Haushaltes und nannte als Beispiel den Hochschulpakt, der vom Bundesrechnungshof geprüft worden sei. Bundesländer und einzelne Hochschulen würden insgesamt 3,7 Milliarden Euro bunkern, führte Lötzsch aus und zitierte den Bundesrechnungshof: „Die Mittelströme haben eine Intransparenz erreicht, die auch die Länder kaum noch überblicken“. Lötzsch fasste zusammen: „Es herrscht Misswirtschaft.“
Grüne: Warum gab es keinen Bildungsgipfel?
Ekin Deligöz (Bündnis 90/Die Grünen) bemängelt eine große Lücke zwischen Anspruch und Realität. Auch sie ging auf den „Digitalpakt Schule“ ein und kritisierte, dass von den Ländern bislang lediglich 15,7 Millionen Euro abgefragt worden seien. Die Ministerin habe es trotz fast zwei Jahren Vorlauf nicht geschafft, „auch nur einen Bruchteil dorthin zu bringen, wohin es gehört, nämlich in die Schulen in diesem Land“. Deligöz fragte: „Wo waren sie in den letzten Jahren, warum gab es keinen Bildungsgipfel?“
Deligöz warf Karliczek vor, dass sie „aus einem Zukunftsprojekt ein Armutszeugnis für dieses Land kreiert“ habe. Studien hätten festgestellt, dass in der Corona-Zeit nur jedes zehnte Kind Zugang zu digitalem Unterricht gehabt habe. Derzeit seien 50.000 Schüler und Schülerinnen in Quarantäne. Zu viele hätten trotz einem halben Jahr Pandemie, trotz Sommerpause noch immer keinen Zugang zum digitalen Unterricht: „Das geht auf Kosten unser Schülerinnen und Schüler.“ Insgesamt mangele es im Bundesministerium für Bildung und Forschung an Umsetzung. Als Beispiel nannte sie das Verfahren zum Batterieforschungszentrum: „Sie haben es in den Sand gesetzt.“ Aber auch die Agentur für Sprunginnovationen habe ein innovatives Instrument sein sollen, „aber es geht in einem Schneckentempo voran“. Deligöz sagte: „Sie haben das Vertrauen der Wissenschaft verspielt in diesem Land.“
CDU/CSU: Ein Riesenbetrag für den Digitalpakt
Albert Rupprecht (CDU/CSU) lobt den Entwurf und sagte Insbesondere zum Digitalpakt Schule: „6,5 Milliarden für den Digitalpakt: Das ist nicht eine Petitesse. Das ist ein Riesenbetrag!“ Rupprecht hob die Steigerung des Forschungshaushalts insgesamt hervor. Seit 2005 ist dieser von 7,6 Milliarden auf 20,2 Milliarden Euro gestiegen.
Rupprecht sagte: „Das ist in dieser Zeit fast eine Verdreifachung. Das ist ein Kraftwerk und eine Spitzenleistung, die auch im internationalen Kontext vorzüglich und exzellent ist.“ Deswegen habe sich das Wissenschaftssystem in Deutschland massiv weiterentwickelt, und deswegen habe das deutsche Wissenschaftssystem international großes Ansehen.
Sondervermögen Ganztagsschule
Ministerin Karliczek will für die Leistungsfähigkeit des Bildungswesens und die Nachwuchsförderung 4,81 Milliarden Euro ausgeben (2020: 5,37 Milliarden Euro). Die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) machen dabei 2,14 Milliarden Euro aus (2020: 2,28 Milliarden Euro). Für „Darlehen als Soforthilfe für Studierende in pandemiebedingten Notlagen“ sollen 17,37 Millionen Euro bereitstehen.
Für die Modernisierung und Stärkung der beruflichen Bildung will die Ministerin 635,1 Millionen Euro bereitstellen (2020: 435,91 Millionen Euro), für die Stärkung des Lernens im Lebenslauf 828,31 Millionen Euro (2020: 1,59 Milliarden Euro). Dem Sondervermögen „Ausbau ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder im Grundschulalter“ sollen 500 Millionen Euro – wie im Vorjahr – zur Verfügung stehen.
Mit 7,46 Milliarden Euro will die Regierung die Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschafts- und Innovationssystems stärken (2020: 7,04 Milliarden Euro). Davon entfallen 1,88 Milliarden Euro auf den Hochschulpakt (2020: 1,74 Milliarden Euro). 400 Millionen Euro (2020: 400 Millionen Euro) sind für die Exzellenzstrategie zur Förderung von Spitzenforschung an Universitäten eingeplant und 106,54 Millionen Euro (2020: 107,52 Millionen Euro) für die Weiterentwicklung des Bologna-Prozesses. (rol/hau/02.10.2020)