Die Stärkung des fairen Wettbewerbs und speziell der Schutz vor missbräuchlichen Abmahnungen im Zusammenhang mit der EU-Datenschutz-Grundverordnung war Thema einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz unter Vorsitz von Stephan Brandner (AfD) am Mittwoch, 23. Oktober 2019. Anlass war ein entsprechender Gesetzentwurf der Bundesregierung (19/12084). Daneben lagen dazu ein Gesetzentwurf der AfD-Fraktion (19/13205) sowie jeweils ein Antrag der Fraktionen von FDP (19/13165) und von Bündnis 90/Die Grünen (19/6438) vor. Die eingeladenen Anwälte sahen das Ziel zum Teil durchaus positiv, bewerteten die Regelungen zum Abmahnmissbrauch aber als nicht dringend und auch als zu weitgehend. Die Vertreter der Verbraucher- und Einzelhandelsverbände begrüßten die im Entwurf vorgesehenen Maßnahmen als Schritt zu mehr Rechtssicherheit.
Größere Rechtsunsicherheit befürchtet
Die Hamburger Rechtsanwältin Nina Diercks teilte diese Ansicht nicht. Sie erklärte, die vorgeschlagenen Änderungen im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verfügten über kaum eine sinnvolle praktische Funktion und seien vor allem nicht dazu geeignet, die von der Bundesregierung sowie den sonstigen Fraktionen postulierten Ziele zu erreichen. Es stehe vielmehr zu befürchten, dass sie zu einer größeren Rechtsunsicherheit und infolge dessen zu zahlreichen Gerichtsverfahren führen werden.
Diercks betonte, die Bundesregierung und auch die übrigen Fraktionen wollten vor allem ein Problem lösen, für das es keine Belege gebe, denn eine Abmahnwelle gebe es allenfalls gefühlt. Erfreulich sei dagegen, dass mit dem Entwurf der Auffassung eine Absage erteilt werde, dass die DSGVO eine generelle Sperrwirkung gegenüber Rechtsbehelfen aus dem UWG habe.
„Gesetzgeberische Überreaktion“
Auch Diercks‘ Hamburger Kollege Joachim Nikolaus Steinhöfel sieht keine Notwendigkeit für weitreichende und teilweise auch nicht zweckgerechte Eingriffe in das deutsche Lauterkeitsrecht.
Der Gesetzentwurf stelle eine gesetzgeberische Überreaktion dar, erklärte Steinhöfel, die das zu lösende Problem nicht genau erfasse, eine Vielzahl von teilweise überaus bürokratisch anmutenden und auslegungsunsicheren Begriffen einführe und dem Regelungsziel nicht diene. Erschwerend komme eine nahezu völlig fehlende Faktengrundlage dazu.
„Schwächung des fairen Wettbewerbs“
Von einer Überregulierung sprach auch Rechtsanwalt Dr. Tobias Timmann von der Düsseldorfer Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer. Es bestehe die Gefahr, dass ein in der Praxis seit Jahrzehnten funktionierendes System außergerichtlicher und gerichtlicher Rechtsdurchsetzung allein aufgrund einer kleinen Gruppe missbräuchlich Handelnder geopfert wird. Im Ergebnis stehe zu befürchten, dass das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs zu dessen Schwächung führt.
Diese Gefahr sieht auch Dr. Martin Jaschinski, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz aus Berlin. Die Bekämpfung des Abmahnunwesens sei zu begrüßen, problematisch sei jedoch die Abgrenzung von seriös und unseriös agierenden Akteuren. Einige der geplanten Normen gingen in ihren Auswirkungen zu weit, da sie auch seriös agierende Marktteilnehmer träfen. Zudem merkte auch Jaschinski an, dass der Anteil an rechtsmissbräuchlichem Vorgehen im Verhältnis zum erwünschten Vorgehen nur sehr gering sein dürfte.
„Punktueller Schwächerenschutz sinnvoll“
Dr. Martin Fries vom Institut für Internationales Recht der Ludwig-Maximilians-Universität München hält die dem Regierungsentwurf zugrunde liegende Annahme, dass das Abmahnwesen in Deutschland gegenwärtig aus dem Ruder laufe, ebenfalls für insgesamt wenig belastbar. Der vorgesehene punktuelle Schwächerenschutz erscheine demgegenüber sinnvoll. Auch Fries findet es schwierig, Kriterien für seriöse und unseriöse Akteure zu definieren.
Der emeritierte Jura-Professor Dr. Helmut Köhler aus Neusäß legte in seiner Stellungnahme Alternativvorschläge zu Grundfragen des Regierungsentwurfs vor und ging ausführlich auf Einzelfragen ein. Niemand könne etwas dagegen haben, den fairen, also lauteren, Wettbewerb zu stärken, sagte der pensionierte Richter. Die Frage sei aber, ob alle der im Regierungsentwurf vorgesehenen Gesetzesänderungen auch die angestrebte Wirkung haben oder ob einzelne Regelungen ungewollt sogar zu einer Schwächung des fairen Wettbewerbs führen.
„Nicht über das Ziel hinausschießen“
Verbesserungsbedarf sieht auch der Leiter des Teams Recht und Handel beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), Dr. Otmar Lell. Korrekturen zur Verhinderung von Abmahnmissbrauch zwängen zu Augenmaß und Präzision und dürften nicht über das Ziel hinausschießen, erklärte Lell. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sei dies weitgehend, aber noch nicht vollständig gelungen.
Lell begrüßte den Kompromiss zu den zivilrechtlichen Klagebefugnissen im Datenschutz. Die Befugnisse von Verbraucher- und Wettbewerbsverbänden blieben unangetastet, aber bei Abmahnungen von Seiten der Wettbewerber werde der Kostenerstattungsanspruch eingeschränkt.
„Abmahnmissbrauch belastet den Online-Handel“
Dr. Peter Jens Schröder, Bereichsleiter Recht und Verbraucherpolitik beim Handelsverband Deutschland (HDE), sagte, der Abmahnmissbrauch belaste die Einzelhandelsunternehmen, speziell den Online-Handel, weiterhin erheblich.
Es sei daher zu begrüßen, dass der Gesetzgeber geeignete und wirkungsvolle Maßnahmen dagegen vornehmen will. Der Entwurf bediene die richtigen Stellschrauben und sei geeignet, einen Durchbruch im Kampf gegen den Abmahnmissbrauch zu erzielen und die Akzeptanz der privaten Rechtsdurchsetzung zu stärken.
„Neue Probleme werden geschaffen“
Der Geschäftsführer des Verbands Sozialer Wettbewerb, Ferdinand Selonke, sagte, der Gesetzentwurf sorge für die Einhaltung lauterkeitsrechtlicher Regelungen. Gleichwohl weise die Vorlage weiterhin eine Vielzahl von Punkten auf, welche die konkrete Rechtsanwendung konterkarierten und neue Probleme schüfen. Würde das Gesetz in der aktuellen Fassung beschlossen, zöge dies einen erheblichen Kostenanstieg auf der Seite aller seriös handelnden Wettbewerber und Verbände nach sich. Auch dürfte die im Entwurf zum Ziel gesetzte effektive Sanktionierung von Gesetzesverstößen gerade nicht erreicht werden.
Breiten Raum in der anschließenden Fragerunde nahm die im Entwurf vorgesehene Einschränkung sogenannter fliegender Gerichtsstände ein. Die meisten der neun Sachverständigen lehnten dies ab, weil es eine Schwächung des Lauterkeitsrechts und des deutschen Rechtssystems bedeuten würde. Hier sei aber möglicherweise ein Kompromiss möglich.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf vereint mehrere gesetzgeberische Maßnahmen: Zur Eindämmung missbräuchlicher Abmahnungen sieht er höhere Anforderungen an die Befugnis zur Geltendmachung von Ansprüchen, die Verringerung finanzieller Anreize für Abmahnungen, mehr Transparenz sowie vereinfachte Möglichkeiten zur Geltendmachung von Gegenansprüchen vor.
Zur Stärkung des Wettbewerbs bei Ersatzteilen soll eine Reparaturklausel eingeführt werden, um den Markt zu öffnen. Wie es in dem Entwurf heißt, mehren sich in letzter Zeit die Anzeichen dafür, dass trotz gesetzlicher Regelungen weiterhin missbräuchliche Abmahnungen ausgesprochen werden. Es liege ein nicht hinnehmbarer Missstand vor, wenn Abmahnungen primär zur Erzielung von Gebühren und Vertragsstrafen ausgesprochen werden.
Gesetzentwurf der AfD
Die AfD kritisiert die Vorlage der Bundesregierung, die unter anderem die weitgehende Abschaffung des „fliegenden Gerichtsstands“ und die Verschärfung des Missbrauchstatbestandes durch Einfügen unbestimmter Rechtsbegriffe vorsehe, aber nicht geeignet seien, das Problem zu lösen. Zum Teil schätzt die AfD die vorgeschlagenen Maßnahmen als schädlich ein, weil sie die unbestrittenen Vorteile des Systems der privaten Rechtsdurchsetzung im Lauterkeitsrecht und Verbraucherschutz gefährden würden.
Ziel der Gesetzesänderung der AfD sei es daher, missbräuchliche Abmahnungen wirksam zu verhindern, ohne die Vorteile des Systems der privaten Durchsetzung des Verbraucherschutzes und des lauteren Wettbewerbes in Deutschland zu gefährden. Die weitgehende Abschaffung des „fliegenden Gerichtsstands“, wie im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehen, verbiete sich deshalb, denn dafür sei keinerlei Nutzen im Hinblick auf die Vermeidung missbräuchlicher Abmahnungen erkennbar.
Eine wirksame Bekämpfung des Abmahnmissbrauchs setze die sichere Unterscheidung zwischen einer legitimen Abmahnung und einer unseriösen („missbräuchlichen“) Abmahnung voraus. Kein Unterscheidungskriterium sei die Berechtigung (Begründetheit) einer Abmahnung. Unseriöse („missbräuchliche“) Abmahnungen seien regelmäßig begründet, denn die Abmahnenden würden das Risiko des Unterliegens vor Gericht scheuen.
Antrag der FDP
Die Fraktion der FDP will mehr Fairness bei Abmahnungen im Zusammenhang mit dem Wettbewerbsrecht erreichen. Der Bundestag solle die Bundesregierung auffordern, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen, heißt es in ihrem Antrag. Das Gesetz solle unter anderem vorsehen, dass für die erste Abmahnung – außer bei schwerwiegenden, komplexen oder zeitkritischen Verstößen – weder ein Wettbewerber noch ein abmahnberechtigter Verband Abmahnkosten geltend machen kann, sofern der Abgemahnte den Wettbewerbsverstoß nicht kannte und ihn unverzüglich abstellt.
Zur Begründung heißt es, die Abmahnung habe sich als Instrument zur außergerichtlichen Geltendmachung von Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht grundsätzlich bewährt. In der Praxis ergäben sich jedoch erhebliche Probleme, die insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen wie Start-ups, Handwerksbetriebe, kleine Online-Shops oder Kleinunternehmen belasteten, die nur in geringem Umfang gewerblich tätig sind. Ursache seien die unverhältnismäßig hohen Abmahnkosten, die bereits bei Bagatellverstößen drohten. Sie seien häufig die eigentliche Motivation der Abmahnung. Der Bundesratsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs (232/19) geht den Abgeordneten noch nicht weit genug.
Antrag der Grünen
Missbräuchliche Abmahnungen sind auch das Thema des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Danach soll der Bundestag die Bundesregierung auffordern, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der für Transparenz und Rechtssicherheit sorgt. Die missbräuchliche Geltendmachung von Ansprüchen solle präziser definiert werden und Abgemahnte sollten befähigt werden, fundierte Entscheidungen zu treffen, fordern die Abgeordneten.
Gleichzeitig solle der Entwurf die Möglichkeit schaffen, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung gerichtlich überprüfen zu lassen und überhöhte Abmahnkosten im Nachhinein zurückfordern zu können. (mwo/23.10.2019)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Nina Diercks, M.Litt., Rechtsanwältin, Hamburg
- Dr. Martin Fries, Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Internationales Recht
- Dr. Martin Jaschinski, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz, Berlin
- Prof. em. Dr. jur. Helmut Köhler, Neusäß
- Dr. Otmar Lell, Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (vzbv), Berlin, Leiter Team Recht und Handel
- Dr. Peter Jens Schröder, Handelsverband Deutschland – HDE e. V., Berlin, Bereichsleiter Recht und Verbraucherpolitik
- Ferdinand Selonke, Verband Sozialer Wettbewerb e. V., Berlin, Geschäftsführer
- Joachim Nikolaus Steinhöfel, Rechtsanwalt, Hamburg
- Dr. Tobias Timmann, Rechtsanwalt, Düsseldorf