Parlament

Erwartungen an deutsche EU-Rats­präsident­schaft sind hoch und disparat

Die Corona-Krise muss nach Ansicht von Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) ein doppelter Auftrag für die heute beginnende sechsmonatige deutsche EU-Ratspräsidentschaft sein. „Wir müssen die in der Krise allzu offensichtlich gewordenen Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit abstellen“, sagte er am Mittwoch, 1. Juli 2020, in einer Vereinbarten Debatte zum Thema. Parallel gelte es, die Weichen für eine nachhaltigere Zukunft zu stellen. 

Der Schlüssel liege dafür in zwei Begriffen: „Solidarität und Souveränität.“ Nur wenn die EU-Staaten noch enger zusammenwachsen würden, könnten sie auch souverän nach außen auftreten. Außerdem müsse es gelingen, die EU gemeinsam nachhaltiger, sozialer und widerstandsfähiger zu machen. Eine „Nagelprobe“ und „oberste Priorität“ für die deutsche Ratspräsidentschaft werde daher die Einigung auf den von der EU-Kommission geplanten Wiederaufbaufonds in Höhe von 750 Milliarden Euro sein, betonte Maas. Auch im Hinblick auf Flucht und Migration werde die Bundesregierung in den kommenden sechs Monaten Solidarität einfordern, stellte er klar.

AfD wendet sich gegen „EU-Zentralisten“

AfD-Fraktionschef Dr. Alexander Gauland wandte sich dagegen, dass „EU-Zentralisten“ den Osteuropäern verbindliche Migrantenquoten aufzwingen wollten. Auch sei es falsch, weitere Kompetenzen auf EU-Ebene zu verlagern, Milliarden für gemeinsame Hilfsprogramme auszugeben und für die Schulden der anderen haften zu wollen.

„Die Corona-Krise hat gezeigt, wie wenig die Europäische Union in der Lage ist, Probleme zu lösen“, urteilte Gauland. Das müssten die Mitgliedstaaten vor ihrer eigenen Haustür tun. 

CDU/CSU: Hilfen an Reformprogramme binden

Dr. Katja Leikert (CDU/CSU) verteidigte die Milliardenhilfen mit Verweis auf den zu erwartenden massiven Wirtschaftseinbruch in Europa. „Wir wollen, dass Europa gerade in schwierigen Zeiten zusammenhält und mit intelligentem Zukunftsprogramm gestärkt aus der Krise hervorgeht“, betonte sie.

Allerdings müssten die Hilfen an Reformprogramme gebunden sein und den digitalen Binnenmarkt, Handel und Wettbewerb sowie eine nachhaltige Transformation der Wirtschaft stärken. 

FDP: Herbst der Unternehmenspleiten

Alexander Graf Lambsdorff (FDP) knüpft nach eigenen Angaben „große Erwartungen“ an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Diese müsse eine „Wirtschaftspräsidentschaft“ werden, sagte er mit Verweis auf einen „Herbst der Unternehmenspleiten und Arbeitsplatzverluste“. Die EU brauche ab 2021 einen modernen, flexibleren und höheren mehrjährigen Haushalt und Investitionen unter anderem in Forschung und transeuropäische Netze.

Mit Blick auf den Brexit betonte Lambsdorff, die Bundesregierung müsse zum Ende der Übergangszeit im Dezember wenigstens ein „schlankes Rahmenabkommen“ mit Großbritannien aushandeln. Einen Ausstieg der Briten aus dem Binnenmarkt könne sich nach den „Corona-Schock niemand mehr leisten“.

Linke: Europa als Projekt der Menschen 

Für Die Linke bezeichnete Alexander Ulrich Europa in vielen Punkten als schwach. Beispielhaft nannte er das „totale Versagen der EU bei der Flüchtlingspolitik“, „falsche Antworten“ auf die Finanz- und Eurokrise und das Austreten Großbritanniens aus der EU.

Auch in der Corona-Krise hätten die Mitgliedstaaten Solidarität vermissen lassen. „Wenn wir so weitermachen, wird Europa tatsächlich zugrunde gehen.“ Europa werde nur dann wieder ein Projekt der Menschen, wenn es sozialer wird, zeigte er sich überzeugt.  

Grüne: Abhängigkeit von China reduzieren

Dr. Franziska Brantner (Bündnis 90/Die Grünen) sprach von einer großen Verantwortung der Bundesregierung. Es gehe darum, „in dieser besonderen Zeit die Weichen so zu stellen, dass die EU nach der Krise besser dasteht als zu ihrem Beginn“. Mit den Milliardenhilfen müssten „echte europäische Projekte“ finanziert werden. Bedingung für die Auszahlung müsse die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien sein.

Außerdem schlug Brantner eine Europäische Gesundheitsunion vor, um die nationalen Gesundheitsämter besser zu verzahnen. Bei Handel und Produktion müsse die EU eigenständiger werden, um die große Abhängigkeit von China zu reduzieren. (joh/01.07.2020)