Der geplante Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter ab 2025 stößt bei Gewerkschaften, der Wirtschaft, Vertretern der Jugendarbeit und den Kommunen auf breite Zustimmung. Dies wurde in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unter Vorsitz von Sabine Zimmermann (Die Linke) am Montag, 15. Juni 2020, deutlich. Gegenstand der Anhörung war der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einrichtung eines Sondervermögens zur Finanzierung des Ausbaus ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder im Grundschulalter (19/17294, 19/18735).
Offensive für mehr Erzieher und Betreuer verlangt
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass der Bund in den Jahren 2020 und 2021 jeweils eine Milliarde Euro in das Sondervermögen einzahlt, aus dem den Bundesländern Finanzhilfen für den Ausbau bedarfsgerechter Betreuungsangebote zur Verfügung gestellt werden sollen. Die geladenen Sachverständigen bezweifelten jedoch überwiegend, dass die Finanzmittel des Bundes ausreichen werden, damit die Kommunen die nötigen Investitions- und Betriebskosten tragen können. Zudem plädierten sie für eine Offensive, um die benötigten zusätzlichen Erzieher und Betreuer zu gewinnen.
Dr. Elke Alsago von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) begrüßte den geplanten Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung um Grundschulalter ausdrücklich. Zugleich forderte sie ein größeres finanzielles Engagement vom Bund, um diesen Rechtsanspruch auch realisieren zu können. Zudem müsste eine Fachkräfteoffensive gestartet werden. Für die Umsetzung des Rechtsanspruchs seien rund 100.000 zusätzliche Erzieher und Betreuer notwendig, führte Alsago aus. Sie plädierte unter anderem dafür, die Ausbildung für den Erzieherberuf einheitlich zu regeln. Bislang existiere in den Bundesländern ein Flickenteppich an Ausbildungswegen.
„Mit Applaus vom Balkon ist es nicht getan“
In diesem Sinne argumentierten auch Christine Lohn von der Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Sozialarbeit, Maria-Theresia Münch vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge und Björn Köhler von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Christina Lohn forderte, den Beruf des Erziehers aufzuwerten. Allein mit „Applaus vom Balkon“ wie während der Corona-Pandemie sei es nicht getan. Es reiche eben nicht aus, nur die Räumlichkeiten für die Ganztagsbetreuung zu schaffen, es müsse auch qualifiziertes Fachpersonal eingestellt werden.
Köhler argumentierte, dass das Verhältnis zwischen Erziehern und Schülern mindestens eins zu zehn betragen müsse, um eine qualitativ gute Betreuung garantieren zu können. Münch wies zudem darauf hin, dass bei der Forschung zur Zielgruppe der Kinder im Alter vom Schuleintritt bis zum Übergang in die Sekundarstufe I noch erhebliche Forschungsdefizite hinsichtlich ihrer Entwicklungserfordernisse und -bedarfe wie auch ihrer Lebens- und Aufwachsensbedingungen bestünden.
„Kommunen finanziell besser unterstützen“
Gerrit Gramer vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) betonte, dass der Ausbau der Ganztagsbetreuung von Kindern auch im Interesse der Wirtschaft liege. Der Schuleintritt ihrer Kinder führe für die erwerbstätigen Eltern zu großen Belastungen, wenn eine Ganztagsbetreuung nicht gewährleistet sei. Die Infrastruktur in Kitas und Schulen sei deshalb genauso wichtig wie die Infrastruktur im Verkehrs- und Gesundheitswesen. Er hoffe deshalb, dass die Bundesländer die vom Bund bereitgestellten Mittel auch abrufen würden.
Uwe Lübking von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände begrüßte den Ausbau der Ganztagsbetreuung ebenfalls, forderte jedoch eine deutlich größere finanzielle Unterstützung der Kommunen, die dies umsetzen müssten. Um den Rechtsanspruch zu garantieren, seien Investitionskosten von mindestens 7,5 Milliarden Euro nötig, ab 2025 kämen Betriebskosten in Höhe von 4,45 Milliarden Euro hinzu. Der Bund müsse sich auch bei den Betriebskosten dauerhaft engagieren, sagte Lübking.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Die Bundesregierung plant die Einrichtung eines Sondervermögens zur Finanzierung des Ausbaus ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder im Grundschulalter. Der entsprechende Entwurf für ein Ganztagsfinanzierungsgesetz sieht vor, dass der Bund in den Jahren 2020 und 2021 jeweils eine Milliarde Euro in das Sondervermögen einzahlt, aus dem den Bundesländern gemäß Artikel 104c des Grundgesetzes Finanzhilfen für den Ausbau bedarfsgerechter Betreuungsangebote zur Verfügung gestellt werden sollen.
Die Einrichtung des Sondervermögens soll der Umsetzung des im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vereinbarten Rechtsanspruches auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter dienen. Um ein entsprechendes Angebot zu gewährleisten, seien gemeinsame Anstrengungen aller staatlichen Ebenen notwendig, heißt es in der Gesetzesvorlage. Der Ausbau ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote biete zum einen Kindern mehr Bildungs- und Teilhabechancen, zum anderen erleichtere es die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und fördere somit die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern gemäß Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes.
Gegenäußerung der Bundesregierung
In ihrer Gegenäußerung (19/18735) zur Stellungnahme des Bundesrates stimmt die Bundesregierung dem Vorschlag der Länderkammer nicht zu, die Regelung zum Zweck des Sondervermögens zu ändern. Zum Zweck des Sondervermögens werde im Gesetzentwurf bereits festgelegt, dass die Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) in den quantitativen und qualitativen investiven Ausbau ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote gewährt werden.
Insofern werde bereits der vorliegende Gesetzentwurf der Forderung des Bundesrates, dass das Sondervermögen im Rahmen der zukünftigen Finanzhilfen des Bundes auch zum Erhalt und der qualitativen Verbesserung vorhandener Einrichtungen genutzt werden kann, gerecht. Regelungen zur Trägerschaft der betreffenden Einrichtungen seien nicht Gegenstand des vorliegenden Gesetzentwurfs, betont die Regierung. (aw/16.06.2020)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Dr. Elke Alsago, ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, Berlin
- Gerrit Gramer, Deutscher Industrie- und Handelskammertag e. V., Berlin
- Björn Köhler, GEW Hauptvorstand, Vorstandsmitglied VB Jugendhilfe und Sozialarbeit, Parlamentarisches Verbindungsbüro Berlin
Christine Lohn, Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit - Maria-Theresia Münch, Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V., Berlin
- N.N.
- Uwe Lübking, Vertreter der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände