Wehrbeauftragte gegen Generalverdacht gegen die Bundeswehr
Der Bundestag hat am Freitag, 19. Juni 2020, erstmals über den Jahresbericht 2019 des Wehrbeauftragten (19/16500) debattiert, nachdem die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Dr. Eva Högl, vor den Abgeordneten ihre erste Rede im neuen Amt gehalten hatte. Högl folgte auf Dr. Hans-Peter Bartels, der nach fünf Jahren im Mai aus dem Amt geschieden ist. Den aktuellen Wehrbericht hatte Bartels am 28. Januar 2020 an Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble übergeben.
Wehrbeauftragte: Zu wenig Material und Personal
Die Bundeswehr leidet nach Aussage der neuen Wehrbeauftragten nach wie vor unter „zu wenig Material, zu wenig Personal und zu viel Bürokratie“. Diese seit Jahren bekannten Probleme beschreibe der von ihrem Vorgänger aufgestellte Wehrbericht 2019. Seit 2016 arbeite das Bundesministerium für Verteidigung zwar engagiert an einer Trendwende. Obgleich eine ganze Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht wurde, seien aber im Arbeitsalltag der Soldaten kaum konkrete Verbesserungen spürbar gewesen, sagte Högl.
Die Wehrbeauftragte ging auch auf die rechtsextremen Verdachtsfälle beim Kommando Spezialkräfte (KSK) ein. Das Agieren des Brigadegenerals Kreitmayr, der in einem offenen Brief Verfassungstreue angemahnt hatte, und Soldaten, „die mit dem rechten Spektrum sympathisieren“, zum Austritt aus der Bundeswehr aufgefordert hatte, sei „vorbildlich und gelebte innere Führung“, befand sie. Zugleich betonte Högl: „Es darf keinen Generalverdacht – weder gegenüber dem KSK noch gegenüber der gesamten Bundeswehr – geben.“
Ministerin: Nicht Verfassungstreue entfernen
Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sagte, man sei es der überwiegenden Mehrheit der Soldaten, die sich verfassungstreu verhielten, gegenüber schuldig, „dass all diejenigen, die das nicht tun, in der Bundeswehr erkannt und aus ihr entfernt werden“.
Zugleich müssten die Rahmenbedingungen, die ein solches Verhalten begünstigen, abgestellt werden. Dieser Aufgabe stelle sich das Ministerium, sagte die Verteidigungsministerin.
AfD warnt vor einseitiger Indoktrinierung
Berengar Elsner von Gronow (AfD) warnte hingegen vor einer Gesinnungsdiktatur und einseitiger politischer Indoktrinierung in der Bundeswehr. Eine Bestrafung von zulässigen, „aber nicht den Vorgaben entsprechenden Ansichten“ wie im National- und Realsozialismus dürfe es in den Streitkräften nicht geben. Soldaten seien freie Bürger in einem freien Land.
Der AfD-Abgeordnete machte deutlich, dass es in der Bundeswehr keine Extremisten geben dürfe. Mit dem erwähnten Brief schieße der KSK-Kommandeur aber über das Ziel hinaus, „und das mit voller Unterstützung der Verteidigungsministerin“, kritisierte er.
SPD: Verbesserungen bei Zulagen und Trennungsgeld
Dr. Eberhard Brecht (SPD) erinnerte daran, dass 2020 45 Milliarden Euro – und damit neun Prozent des Bundeshaushalts – für die Verteidigung ausgegeben werden. Das Parlament stehe daher sowohl gegenüber den Steuerzahlern, aber auch den Soldaten in einer besonderen Verantwortung. Brecht verwies auf erreichte Erfolge, die im Wehrbericht angeführt würden. So habe es Verbesserungen bei der Zulagenhöhe und dem Trennungsgeld gegeben, aber auch neue Therapieformen bei Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS).
Dennoch sei es nicht akzeptabel, wenn der Bundestag einerseits zwischen 2014 und 2019 einem Aufwuchs des Verteidigungsetats von 32 Milliarden Euro auf 45 Milliarden Euro zustimmt, „die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr aber anderseits nicht nennenswert gesteigert werden konnte“.
FDP: Extremistischen Stall ausmisten
„Die Regierung muss endlich handeln und diesen extremistischen Stall ausmisten“, forderte Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). Es gelte herauszubekommen, ob es Netzwerke gibt, „die von außen auf die Bundeswehr einwirken“. Mit Blick auf die bekanntgewordene Weitergabe von Informationen eines MAD-Mitarbeiters (Militärischer Abschirmdienst) an einen KSK-Soldaten, sagte die FDP-Politikerin, es sei schauerlich, dass in Sicherheitsdiensten solche Leute sitzen.
Bei der Bekämpfung von Extremisten sei die FDP an der Seite der Wehrbeauftragten, sagte Strack-Zimmermann. Im Auge behalten müsse man aber, dass 99,9 Prozent der Soldaten mit beiden Beinen „fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen“.
Linke: Bundeswehr-Auslandseinsätze beenden
Auf die „stetig wachsende Belastung“ der Soldaten – auch durch die Ausweitung der Auslandseinsätze der Bundeswehr – verwies Christine Buchholz (Die Linke). Die Stehzeit im Einsatz sei von vier auf sechs Monate verlängert worden, „obwohl das die Belastung der Familien massiv erhöht und obwohl der Zusammenhang zwischen Stehzeit und Alkoholabhängigkeit sowie psychischen Erkrankungen erwiesen ist“.
Buchholz forderte die Beendigung der Auslandseinsätze der Bundeswehr. Was die rechtsextremistischen Tendenzen beim KSK angeht, so vertrat sie die Meinung, dass eine solche „Geheimtruppe“ nicht nur im Widerspruch zu Transparenz und parlamentarischer Kontrolle stehe, sondern auch ein Nährboden für rechtes Gedankengut biete.
Grüne kritisieren Informationspolitik der Ministerin
Dr. Tobias Lindner (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte die aus seiner Sicht mangelnde Informationspolitik der Verteidigungsministerin. Lediglich über die Presse hätten die Abgeordneten von den Zuständen beim KSK erfahren.
Zugleich betonte Lindner, hinsichtlich der Erhöhung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr sei nicht allein Geld das Problem, sondern es seien „die Prozesse dahinter“. Seine Fraktion begrüße es, dass die Ministerin das zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit in diesem Jahr machen wolle.
CDU/CSU: Bundeswehr akzeptiert keine Extremisten
Anita Schäfer (CDU/CSU) stellte klar: „Die Bundeswehr akzeptiert keine Extremisten in ihren Reihen.“
Die Union, so Schäfer, stehe fest an der Seite der Soldaten und unterstütze sie dabei, die Probleme zu lösen. Sie sei froh, dass auch die Verteidigungsministerin das Thema sehr ernst nehme.
Personallücken in der Bundeswehr
Die Bundeswehr hat weiterhin mit Personallücken, materieller Mangelwirtschaft und bürokratischer Überorganisation zu kämpfen. Dies geht aus dem Jahresbericht 2019 des mittlerweile aus dem Amt geschiedenen Wehrbeauftragten des Bundestages Hans-Peter Bartels hervor. Die Truppe spüre die eingeleiteten sogenannten „Trendwenden“ bei Personal, Material und Infrastruktur trotz steigender Verteidigungsausgaben „nicht wirklich“. Da alte Strukturen und Prozesse nicht mehr passten, liefen allzu viele Anstrengungen „ins Leere“, heißt es in Bartels Bericht.
Nach Angaben des Wehrbeauftragten waren Ende 2019 rund 21.000 Dienstposten bei Offizieren und Unteroffizieren nicht besetzt, bei den Mannschaftsdienstgraden waren es 2.100. Die Zahl der Bewerber bei der Bundeswehr sei zwar leicht von 52.200 im Jahr 2018 auf 53.100 im vergangenen Jahr gestiegen, trotzdem sei dies „das zweitschlechteste Ergebnis seit Aussetzung der Wehrpflicht“, betont Bartels. Besonders drastisch sei der Personalmangel bei der Marine, bei den Hubschrauberpiloten, bei den Fachärzten im Sanitätsdienst, den Fernmeldetechnikern, den Heeresaufklärern und der Artillerietruppe.
Materiallage weiter auf schlechtem Niveau
Schwerwiegende Auswirkungen habe der Personalmangel bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr. „Wenn Personallücken im Auslandseinsatz durch die immer wieder gleichen Spezialisten gefüllt werden und die Einsatzstehzeit im Heer schon wieder bei sechs Monaten liegt, geht das eindeutig zu Lasten der Vereinbarkeit von Dienst und Familienleben“, moniert Bartels.
Auch die Materiallage bereitet dem Wehrbeauftragten weiterhin Sorge. Nach Auskunft des Verteidigungsministeriums sei es „bisher nicht gelungen, die materielle Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme deutlich zu verbessern“, sie liege auf dem schlechten Niveau der Vorjahre. Trotz des steigenden Budgets für rüstungsintensive Ausgabe seien im vergangenen Jahr rund 1,1 Milliarden Euro nicht wie geplant ausgegeben worden, weil sich große Rüstungsprojekte weiter verzögert hätten.
„Das meiste, was unsere Streitkräfte an Ausrüstung brauchen, vom Rucksack bis zum leichten Verbindungshubschrauber, muss nicht immer wieder erst in umständlichen funktionalen Fähigkeits-Forderungen abstrakt definiert, dann europaweit ausgeschrieben, neu erfunden, vergeben getestet, zertifiziert und schließlich in kleinen Tranchen über 15 Jahre hinweg in die Bundeswehr eingeführt werden“, mahnt Bartels. „Man kann es auch einfach kaufen.“
363 Verdachtsfälle wegen Rechtsextremismus
Handlungsbedarf sieht der Wehrbeauftragte auch beim inneren Zustand der Truppe. So habe der Militärische Abschirmdienst (MAD) im vergangenen Jahr insgesamt 363 neue Verdachtsfälle wegen Rechtsextremismus untersuchen müssen, 45 Soldaten seien vorzeitig entlassen worden. Allerdings sei die Bundeswehr nach seinem Eindruck „sensibel“ für das Thema. Bartels regt an, dass der MAD zukünftig selbst einmal im Jahr öffentlich über die Ergebnisse seiner Arbeit berichten soll.
Gestiegen sei auch die Zahl der gemeldeten sexuellen Belästigungen und Übergriffe: von 288 (2018) auf 345 im Jahr 2019. An den Regeln des Umgangs zwischen den Geschlechtern müsse weiterhin gearbeitet werden, das Problem werde nicht durch den steigenden Frauenanteil in der Truppe gelöst. Leicht gesunken ist hingegen die Zahl der persönlichen Eingaben von Soldaten beim Wehrbeauftragten: von 2.534 im Jahr 2018 auf 2.459.
Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) fordert Bartels in seinem Bericht auf, die Ergebnisse aus dem von ihrer Amtsvorgängerin Dr. Ursula von der Leyen (CDU) aufgelegte Programm „Innere Führung – heute“ umzusetzen. Im Rahmen des Programms seien unter „vorbildlicher Einbeziehung“ von Soldatinnen und Soldaten aller Organisationsbereiche und Dienstgradgruppen Vorschläge für eine innere Reform erarbeitet worden. „Dezentrale, ganzheitliche Verantwortungswahrnehmung in Bataillonen, Brigaden und Geschwadern lautet das Gebot der Stunde“, mahnt Bartels. (hau/aw/19.06.2020)