1. Untersuchungsausschuss

Zeuge: Ermittler konnten 13 DNA-Profile nicht zuordnen

Kerzen auf der Treppe an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin erinnern an die Opfer des Terroranschlags am Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016.

Kerzen auf der Treppe an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am Breitscheidplatz in Berlin erinnern an die Opfer des Terroranschlags vom 19. Dezember 2016. (© picture alliance)

Nach dem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche haben die Ermittler 13 an verschiedenen Orten gesicherte DNA-Profile nicht zuordnen können. Dies berichtete ein damals zuständiger Beamter des Bundeskriminalamts (BKA) am Donnerstag, 28. Mai 2020, dem 1. Untersuchungsausschuss („Breitscheidplatz“) unter Vorsitz von Klaus-Dieter Gröhler (CDU/CSU)

Der heute 41-jährige Kriminalhauptkommissar A. Q. hatte zwei Tage nach dem Attentat, am 21. Dezember 2016, seine Tätigkeit in der ermittelnden Besonderen Aufbauorganisation (BAO) „City“ aufgenommen und blieb dort bis zum 24. März des Folgejahres. Er ist seit 2003 beim BKA beschäftigt, nach eigenen Worten seit 2007 in der Abwehr des „religiös motivierten internationalen Terrorismus“.

„Vier offene DNA-Profile nachträglich zugeordnet“

Der Zeuge zitierte einen Abschlussvermerk, der nach seinem Aussscheiden aus der BAO „City“ im Frühjahr 2017 entstanden war. Demnach konnten von zunächst 17 „offenen“ DNA-Profilen aus dem Lastwagen, mit dem der Täter Anis Amri in den Weihnachtsmarkt gerast war, vier nachträglich zugeordnet werden. Um Klarheit zu gewinnen, hatten die Ermittler die Personalien von 33 Ersthelfern oder Polizisten festgestellt, die sich am Tatabend im Umfeld des Lastwagens aufgehalten hatten, und im Februar und März 2017 DNA-Proben dieser „berechtigten Spurenverursacher“ erhoben.

Der Täter selbst hatte, wie der Zeuge auch bestätigte, im Fahrzeug relativ wenig Hinweise auf seine Person hinterlassen. An der Außenseite der Fahrertür fanden sich Abdrücke des Zeige-, Mittel- und Ringfingers Amris sowie seines Daumens. Zwei weitere Fingerabdrücke wurden an einer Banknote in einem Portemonnaie entdeckt, das am Tag nach dem Anschlag im Führerhaus des Lastwagens sichergestellt wurde und auch eine auf einen Aliasnamen Amris ausgestellte Duldungsbescheinigung enthielt.

„DNA-Material Amris gefunden“

DNA-Material Amris habe sich auch auf einem Zettel gefunden, der auf der Tachoanzeige im Führerhaus lag, allerdings bei einer polizeilichen Nachschau des Wagens am 10. Januar 2017 sichergestellt wurde. Das Papier wies weitere Spuren des von Amri ermordeten polnischen Fahrers sowie einer unbekannten dritten Person auf. gewiesen. Mischspuren, für die nach Feststellung Amri als Mitverursacher „in Betracht zu ziehen“ sei, seien auch am Lenkrad sowie am Portemonnaie entdeckt worden.

Dass Amri im Tatfahrzeug nicht mehr eindeutige Hinweise auf seine Person  hinterlassen hat, ist nach Ansicht des Zeugen nicht unbedingt außergewöhnlich. Auch wer einen Gegenstand, etwa eine Geldbörse regelmäßig in der Hand habe, verursache dort erfahrungsgemäß nicht immer feststellbare Spuren in großer Zahl.

„Eine Einzeltäterthese gab es nicht“

Der Zeuge, der in der BAO „City“ im Bereich „Asservatenkoordinierung“ tätig war, widersprach dem Eindruck, im BKA sei Amri von vornherein als Einzeltäter eingeschätzt worden: „Eine Einzeltäterthese gab es nach meiner Erinnerung nicht. So etwas würde auch unserem Aufgabenverständnis zuwiderlaufen.“ Im Gegenteil habe „nach dem Ableben des Amri“ die Maßgabe gegolten, das „Hauptaugenmerk“ auf die Ermittlung möglicher Mittäter zu richten.

Der Zeuge schloss auch aus, dass der Lastwagen auf dem Weihnachtsmarkt vorzeitig zum Stehen gekommen sei, weil das automatische Notbremssystem reagiert habe. Der Fahrer könne durch die Notbremsung „nicht überwunden werden“. Er könne das System durch Betätigung des Gas- oder des  Bremspedals jederzeit ausschalten. Der Wagen sei durch ein Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren gestoppt worden.

„43 tatrelevante Kontaktpersonen identifiziert“

Im Umfeld des Attentäters vom Berliner Breitscheidplatz Anis Amri haben Ermittler 43 „tatrelevante Kontaktpersonen“ identifiziert. Allerdings hätten sie keinem von ihnen nachweisen können, in Amris Anschlagsplan eingeweiht gewesen zu sein, berichtete im weiteren Verlauf der Sitzung ein zweiter Zeuge aus dem BKA.

Der heute 35-jährige Kriminalhauptkommissar D. G. ist seit 2003 im BKA tätig und dort seit 2006 mit dem Phänomenbereich des islamistischen Terrorismus befasst. Nach dem Berliner Attentat gehörte er vom 20. Dezember 2016 bis Ende Mai 2017 der ermittelnden BAO „City“ an, wo er seit dem 3. Januar das Umfeld Amris in Deutschland auszuleuchten half.

Besonderes Augenmerk auf Freunde und Bekannte Amris

Dabei unterschieden die Ermittler, wie der Zeuge berichtete, jene Personen, denen sie eine Verbindung zur Tat zutrauten, von den in dieser Hinsicht unverdächtigen. Ein besonderes Augenmerk habe Freunden und Bekannten Amris gegolten, die zwischen dem 1. Oktober und dem Tatabend am 19. Dezember mit ihm zu tun hatten.

Der Zeitraum sei deswegen so gewählt worden, weil sich anhand des aufgefundenen Mobiltelefons des Täters dessen Bewegungsprofil soweit habe zurückverfolgen lassen. Aus einem Kreis von rund 300 Kontaktpersonen habe sich eine Gruppe herauskristallisiert, die das besondere Interesse der Ermittler auf sich zog.

„Relativ markante Gruppe“

Am 20. Januar 2017 teilte das BKA die 43 Namen den Landeskriminalämtern und anderen Sicherheitsbehörden mit. Die Gruppe sei „relativ markant“ gewesen, sagte der Zeuge. Sie habe „den Kern dargestellt“. Einige hätten nachweislich mit Amri in den letzten Tagen und Stunden vor dem Anschlag in Verbindung gestanden, so sein tunesischer Landsmann Bilel ben Ammar, mit dem er den Vorabend in einem Hähnchengrill verbrachte.

Besonders interessiert waren die Ermittler zunächst auch an zwei weiteren Freunden Amris, eine einem gewissen Bilal Mahmoud und Walid Zahed. Beide hätten sich am Nachmittag des 19. Dezember drei bis vier Stunden vor dem Anschlag mit Amri getroffen.

Bestürzung über den Anschlag geäußert

Bei einer Hausdurchsuchung am 27. Januar habe sich herausgestellte, dass Mahmoud bereits zehn Tage zuvor Deutschland in Richtung Türkei verlassen hatte, wo er wegen mutmaßlich dschihadistischer Neigungen in Haft. Dort erhielten BKA-Ermittler Gelegenheit, ihn zu vernehmen. Mahmoud erklärte, er habe sich mit Amri und Zahed am Nachmittag vor dem Anschlag „spontan zusammentelefoniert“. Unterhalten hätten sich die drei über Belanglosigkeiten.

Von Zahed lag ein abgehörtes Telefonat vor, in dem er seine Bestürzung über den Anschlag äußerte und zu erkennen gab, dass er keine Ahnung hatte, wer der Täter war. Die Ermittler nahmen ihm das ab. Zumindest habe sich „nicht objektiv nachweisen“ lassen, „dass er wusste, was Amri vorhat“. Generell gelte: „Wir haben keine Erkenntnis, die uns zu dem Schluss bringt, dass jemand den Amri in irgendeiner Weise unterstützt hat.“

In Amris Bekanntenkreis seien zwei Sphären deutlich zu unterscheiden gewesen, erklärte der Zeuge weiter. Auf der einen Seite habe es die religiös motivierten Kontaktpersonen gegeben, auf der anderen die Kumpels aus dem Drogenmilieu. Von wenigen Ausnahmen abgesehen habe zwischen beiden Kreisen eine „starke Trennung“ bestanden. (wid/28.05.2020)

Liste der geladenen Zeugen

  • A. Q., Kriminalhauptkommissar, Bundeskriminalamt
  • D. G., Kriminalhauptkommissar, Bundeskriminalamt

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