Seehofer verteidigt Grenzschließungen und Grenzkontrollen nach Frankreich
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat die im März getroffene Entscheidung für Grenzschließungen und Grenzkontrollen nach Frankreich verteidigt. Während einer als Videokonferenz organisierten Sondersitzung der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung am Donnerstag, 28. Mai 2020, unter Leitung von Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble und dem Präsidenten der französischen Nationalversammlung (Assemblée nationale), Richard Ferrand, sagte Seehofer, unter dem Druck der Ministerpräsidenten habe er den Maßnahmen zugestimmt, um zur Bekämpfung des Coronavirus die Infektionsketten unterbrechen zu können.
Enges Zusammenwirken von Seehofer und Castaner
Diese Maßnahmen seien bitter, aber notwendig gewesen und hätten sowohl Deutschland als auch Frankreich im Kampf gegen das Virus Erfolg gebracht, sagte Seehofer. Schon damals sei aber klar gewesen, dass abhängig von der Entwicklung des Infektionsgeschehens nachgesteuert werden müsse. Dies sei in engem Zusammenwirken mit seinem französischen Amtskollegen Christophe Castaner erfolgt.
Castaner bestätigte die Einschätzung. Seehofer und er hätten in einem permanenten Kontakt gestanden, sagte der französische Innenminister. Dieser bilaterale Kontakt habe die europäischen Kontakte ergänzt. Eine enge Abstimmung gebe es auch bei der nächsten Etappe der Erleichterungen. Gemeinsam habe man sich auf den 15. Juni als Stichtag für die vollständige Öffnung der Grenze verständigt, sagte Castaner. Dies sei selbstverständlich abhängig von der Entwicklung der gesundheitlichen Lage.
„15. Juni perfektes Datum für Grenzöffnung“
Die von französischen wie auch deutschen Abgeordneten erhobene Forderung, die Grenzen schon früher – etwa zum 1. Juni – zu öffnen, lehnten die Innenminister einhellig ab. Castaner verwies darauf, dass man sich an dem vereinbarten europäischen Rahmen orientieren wolle und der 15. Juni ein „perfektes Datum“ sei.
Seehofer sagte, bei einer positiven Entwicklung des Infektionsgeschehens würden die Grenzkontrollen zu Frankreich am 15. Juni aufgehoben, und auch die Reisewarnungen und Reisehinweise der Bundesregierung neu gestaltet. „Der Schutz des Lebens und der Gesundheit muss bei diesen Fragen an oberster Stelle stehen“, betonte der Bundesinnenminister. Das sei nicht verhandelbar und werde von der Bevölkerung auch so erwartet.
„Nächste Wochen entscheidend für beide Länder“
Im Anschluss an die Befragung der Innenminister diskutierten die Mitglieder der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung über die geplanten Wiederaufbauhilfen für die EU. Der Präsident der Französischen Nationalversammlung, Richard Ferrand, sagte, die aktuelle Situation verlange eine außerordentliche gemeinsame Kraftanstrengung.
Die nächsten Wochen seien entscheidend für Frankreich und Deutschland – ebenso wie für die gesamte Europäische Union. Gemeinsam, so zeigte er sich überzeugt, könne man eine europäische Antwort auf die Krise liefern, „die effizient und solidarisch ist“. Darauf ziele auch die gemeinsame Erklärung ab, die er mit seinem deutschen Amtskollegen abgegeben habe.
Schäuble: Krise als Chance begreifen
Schäuble betonte, es sei jetzt an den beiden Parlamenten, ihre jeweiligen Regierungen dazu zu drängen, diese Krise als Chance zu begreifen, die Wiederbelebung der Wirtschaft mit notwendigen Strukturreformen in Europa zu verbinden und „alte Fehler nicht zu wiederholen“. Auch der Bundestagspräsident verwies auf die gemeinsame Erklärung mit Ferrand, in der sich die Parlamentspräsidenten für den europäischen Wiederaufbaufonds ausgesprochen und gleichzeitig konkrete Erwartungen an die Regierungen bei Themen wie Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Forschung oder Lieferketten formuliert hätten.
Aus Sicht von Schäuble greift es auch zu kurz, „immer nur über Summen zu reden, die man ausgeben will“. Viel wichtiger sei die Debatte über konkrete Maßnahmen. Erst wenn darüber Klarheit herrsche, könne auch die Finanzierung sichergestellt werden, zeigte er sich überzeugt.
„Gemeinsam für einen Kompromiss werben“
Bei der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass die von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron entwickelte Idee eines europäischen Wiederaufbaufonds unter den Abgeordneten auf breite Zustimmung trifft. Andreas Jung (CDU/CSU) betonte, es sei ein wichtiger Schritt, dass Deutschland und Frankreich in dieser Frage zusammengekommen sind „und gemeinsam für einen Kompromiss werben“.
Christian Petry (SPD) schlug vor, künftig bei Gesetzesinitiativen – orientiert an der Nachhaltigkeitsprüfung – immer zu fragen: „Wie wirkt das eigentlich auf unsere Nachbarn?“
Gegen „weitere Umverteilung zulasten Deutschlands“
Berengar Elsner von Gronow (AfD) kritisierte hingegen eine „weitere Umverteilung zulasten Deutschlands“. Wahre Solidarität sei es, wenn alle Länder zuallererst ihre eigenen Möglichkeiten ausschöpfen, befand er.
Michael Georg Link (FDP) entgegnete, er habe da ein anderes Verständnis von Solidarität. Was den Vorschlag von Merkel und Macron angeht, so ist es aus seiner Sicht gut, dass Deutschland und Frankreich einen gemeinsamen Vorschlag gemacht haben, auch wenn seine Fraktion einige Aspekte darin anders bewerte.
„Den besonders Betroffenen helfen“
Für Klaus Ernst (Die Linke) ist es ein Ausdruck von Solidarität, wenn die wirtschaftlich Stärkeren „denen unter die Arme greifen, die von der Krise ganz besonders betroffen sind“. Mit Blick auf den Gesundheitssektor betonte er, die Krise habe gezeigt, dass es ein Fehler der EU-Kommission gewesen sei, Kürzungen bei den Gesundheitsausgaben einzelner Mitgliedstaaten gefordert zu haben.
Dr. Anna Christmann (Bündnis 90/Die Grünen) unterstützte ebenfalls den deutsch-französischen Vorschlag. Entscheidend sei aber, wie das Geld eingesetzt werde. Sinnvoll sei es, den Green Deal der EU-Kommission massiv voranzutreiben, befand sie.
„Lehren aus der Krise ziehen“
Das Mitglied der Assemblée nationale, Marc Delatte (REM), sagte, Merkel und Macron hätten auch unterstrichen, für ein Europa der Gesundheit eintreten zu wollen. Es gelte Lehren aus der Krise zu ziehen. Eine davon sei, dass die europäischen Forschungskapazitäten gestärkt werden müssten, sagte er.
Constance Le Grip (UMP) betonte, abseits der wirtschaftlichen Unterstützungen gelte es auch etwas in Richtung der strategischen Unabhängigkeit Europas zu tun. Geopolitisch erscheine ihr das in der aktuellen Gemengelage „sehr wichtig“.
„Hier müssen wir mehr tun“
Cécile Untermaier (SOC) zeigte sich überzeugt davon, dass wirtschaftlicher Aufschwung durch den Green Deal erreicht werden könne. Weder Frankreich noch Deutschland seien bislang Vorbilder in Sachen Klimaschutz gewesen, sagte sie. „Hier müssen wir mehr tun“, verlangte Untermaier.
Auch Danièle Obono (FI) machte deutlich, dass der ökologische Wandel jetzt benötigt werde. Bei den Entscheidungen, die aktuell mit dem Ziel des wirtschaftlichen Aufschwungs getroffen würden, müsse das berücksichtigt werden.
Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung
Die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung setzt sich aus 100 Mitgliedern zusammen, darunter 50 Abgeordnete des Deutschen Bundestages sowie 50 Abgeordnete der Assemblée nationale, die mindestens zweimal im Jahr abwechselnd in Deutschland und Frankreich tagen sollen. Die konstituierende Sitzung fand am Montag, 25. März 2019, unter Leitung der beiden Parlamentspräsidenten in Paris statt.
Grundlage dieser institutionalisierten Zusammenarbeit auf Ebene der Parlamente ist das Deutsch-Französische Parlamentsabkommen, das am 11. März 2019 von der Assemblée nationale und am 20. März 2019 vom Deutschen Bundestag verabschiedet wurde. Das Parlamentsabkommen ist das Ergebnis intensiver Beratungen der Deutsch-Französischen Arbeitsgruppe, die am 22. Januar 2018 anlässlich des 55. Jahrestages der Unterzeichnung des Vertrages über die deutsch-französische Zusammenarbeit (Élysée-Vertrag) zu diesem Zweck eingesetzt worden war. (hau/28.05.2020)