Was die EU zur Eindämmung der Corona-Pandemie unternehmen sollte
Der Bundestag hat am Donnerstag, 23. April 2020, erstmalig über Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit der Überschrift „Entschieden handeln gegen die Corona-Pandemie“ (19/18713), der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Existenzielle Krise der EU überwinden – Wirtschaft mit der EZB wieder aufbauen und Superreiche in die Pflicht nehmen“ (19/18687 ) und der FDP-Fraktion mit dem Titel „Europa gegen Corona – 5 Punkte für eine europäische Antwort auf die Pandemie“ (19/18695) beraten.
Streitpunkt Corona-Bonds
Alle drei Vorlagen wurden im Anschluss zur federführenden Beratung an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union überwiesen. Die Grünen wollten über ihren Antrag direkt abstimmen lassen, wurden dabei aber nur von der AfD und der Linken unterstützt, während CDU/CSU, SPD und FDP der Ausschussüberweisung den Vorzug gaben.
FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen erwarten von der EU ein entschiedenes Handeln und mehr Solidarität in der Corona-Krise. Linke und Grüne fordern unter anderem die Aufnahme gemeinsamer Schulden über sogenannte Corona-Bonds. Die FDP setzt stattdessen auf Kredite aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und ein zielgerichtetes Hilfsprogramm der Europäischen Investitionsbank (EIB).
CDU/CSU lehnt Haftungsunion ab
In der rund 40-minütigen Debatte lehnten Union, AfD und FDP anders als Linke und Grüne Corona-Bonds ab. Dass Deutschland für alles zahle und hafte, „wird es mit uns nicht geben“, betonte Florian Hahn (CDU/CSU). Gegen eine europäische Haftungsunion spreche außerdem das Grundgesetz, wonach das Budgetrecht beim Deutschen Bundestag liege und nicht auf eine supranationale Ebene übertragen werden könne.
Hahn räumte jedoch ein, dass die von der EU beschlossenen Mittel „in der Tat“ nicht ausreichen könnten. Bevor die EU sich in „finanzpolitische Abenteuer“ stürze, müsse aber klar sein, wie viel Geld noch benötigt wird.
AfD warnt vor einer „Schuldknechtschaft“
Prof. Dr. Harald Weyel (AfD) erklärte, gegen Hilfsbereitschaft sei nichts einzuwenden, eine „Beutegemeinschaft auf unsere Kosten“ dürfe es aber nicht geben.
Er warnte vor einer „Schuldknechtschaft“, die Deutschland für das Handeln anderer Staaten in Haftung nehme und die Kapazitäten für künftige Krise limitiere. „Der Nationalstaat hat sich in der Corona-Krise bewährt“, urteilte Weyel.
FDP gegen Vergemeinschaftung von Schulden
Alexander Graf Lambsdorff (FDP) zeigte sich verwundert über die Grünen-Forderung nach Corona-Bonds. „Der Spaltpilz in der Debatte der Mitgliedstaaten heißt Vergemeinschaftung von Schulden.“ Es sei daher ein Kardinalfehler der italienischen Regierung, dieses alte Instrument aus der Finanzkrise wieder hervorzuholen „und damit unmöglich zu machen, dass Europa sich einigt“.
Neben ESM-Krediten und einem EIB-Hilfsprogramm plädiert die FDP für das zügige Aufsetzen eines Covid-19-Notfall-Fonds, um Medikamente, Ausrüstung für Intensivstationen und andere medizinische Güter für besonders betroffene Mitgliedstaaten beschaffen zu können.
540-Milliarden-Euro-Paket der EU
Die EU-Finanzminister hatten sich am 9. April auf ein 540-Milliarden-Euro-Paket für Kurzarbeiter, Unternehmen und verschuldete Staaten geeinigt. Dieses umfasst Kurzarbeiterhilfen des Programms „Sure“, von der Europäischen Investitionsbank abgesicherte Unternehmenskredite sowie Kreditlinien des ESM.
Unklar ist aber noch, wie und in welchem Umfang sie genutzt werden. Im Gespräch ist darüber hinaus ein Wiederaufbaufonds, dessen Umfang und Details aber ebenfalls noch offen sind.
Grüne: Wir brauchen Regeln
Einen solchen Wideraufbaufonds unterstützen die Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Antrag (19/18713). Er soll nach dem Willen der Fraktion zusätzliche Mittel in Höhe von einer Billion Euro zur Verfügung stellen, außerdem soll die Bundesregierung ihren Beitrag für das mehrjährige EU-Budget (MFR) ab 2021 erhöhen und sich für einen insgesamt höheren europäischen Haushalt einsetzen.
„Den Herausforderungen begegnen wir am besten, wenn wir uns als EU einmalig gemeinsam Geld leihen, es gemeinsam ausgeben und gemeinsam zurückzahlen“, zeigte sich Dr. Franziska Brantner überzeugt. Anders als bei den bisher praktizierten Ankäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) bedeute ein Wiederaufbaufonds keine gesamtschuldnerische Haftung. Im Rahmen von EU-Programmen könnten vielmehr Bedingungen gestellt werden, wie und wofür die Gelder ausgeben werden sollen. „Wir brauchen Regeln“, betonte Brantner und mahnte, ein solcher Fonds müsse etwa den Green New Deal zum Klimaschutz integrieren.
Linke: Krisenlasten fair verteilen
Die Linke (19/18687) will besonders betroffenen Ländern eine direkte Finanzierung von öffentlichen Investitionen durch die Europäische Zentralbank (EZB) ermöglichen und kurzfristig „Corona-Anleihen“ der EIB mit langen Laufzeiten ermöglichen. „Wir brauchen gemeinsame Finanzierungsmodelle“, sagte Andrej Hunko. In der aktuellen außergewöhnlichen Situation müssten außergewöhnliche Maßnahmen zum Wiederaufbau der Wirtschaft auf den Weg gebracht werden.
Zur Finanzierung will Die Linke auch „Superreiche“ heranziehen. EU-weit solle eine Besteuerung der Vermögen von Multimillionären und Milliardären koordiniert werden, um Krisenlasten fair zu verteilen und die Ungleichheit der Vermögen zu reduzieren, schreibt die Fraktion in ihrem Antrag.
SPD will Einstieg in die Fiskalunion
Die SPD plädiert anders als ihr Koalitionspartner schon länger für Euro-Bonds. Sonja Amalie Steffen bekräftigte diese Position in der Debatte. Vieles spreche auch jetzt für solche Anleihen. Jedoch seien schnelle Finanzhilfen angesichts der zu erwartenden langwierigen Verhandlungen über das umstrittene Instrument in der akuten Situation besser, um schnell reagieren zu können.
„Der Einstieg in die Fiskalunion wäre uns Sozialdemokraten wirklich lieb“, sagte Steffen. Aber andere EU-Mitglieder und den eigenen Koalitionspartner davon zu überzeugen, würde Monate dauern. Steffen äußerte die Erwartung, dass der heutige Video-Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs den Weg in einen Investitionsfonds zur Bewältigung der Corona-Folgen ebnet.
Antrag der Grünen
Die Grünen fordern die Bundesregierung unter anderem auf (19/18713), sich in der EU für einen „Fonds für den Wiederaufbau“ (Recovery Fund) einzusetzen, der die finanzielle Last der Krise gemeinsam und auf demokratische Weise schultert sowie zusätzliche Mittel in Höhe von einer Billion Euro zur Verfügung stellt. Der Fonds solle sich am Pariser Klimaschutzabkommen orientieren und Klimaschutz im Rahmen des Green Deal ebenso wie soziale Gerechtigkeit befördern, die Balance zwischen Planet, Mensch und Profit neu definieren und die Einhaltung gemeinsam vereinbarter wirtschafts- und finanzpolitischer Richtlinien festlegen.
Die Grünen wollen, dass jetzt in die Technologien von morgen investiert wirt und die notwendigen wirtschaftlichen Impulse zur Ankurbelung der Wirtschaft gesetzt werden, um Wirtschaft und Gesellschaft gegen kommende Krisen aufzustellen. Auch solle der Fonds einmalig über gemeinsame Anleihen finanziert werden, ohne die nationalen Schuldenlasten zu erhöhen.
Antrag der FDP
Die FDP fordert die Bundesregierung auf (19/18695), alles Notwendige zu unternehmen, um in der Corona-Krise möglichst viele Menschenleben zu retten. Auf EU-Ebene solle sie sich für die Beschaffung und Verteilung von medizinischer Schutzausrüstung, Medizintechnik und Impfstoffen einsetzen. National seien Vorkehrungen zu treffen, um im Rahmen freier Kapazitäten möglichst viele Patientinnen und Patienten aus besonders betroffenen Regionen der EU aufzunehmen und medizinisch zu betreuen.
Auf EU-Ebene solle sich die Regierung dafür einsetzen, dass die Länder des westlichen Balkans bei den Ausfuhrbeschränkungen von medizinischer Schutzausrüstung ausgenommen werden. Auch sei dafür zu sorgen, dass Deutschland gemeinsam mit seinen europäischen Partnern kurzfristig hilft, die durch die Aussetzung der Beitragszahlungen der USA an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) entstandene Finanzierungslücke zu überbrücken und so die Handlungsfähigkeit der WHO während der Corona-Krise zu erhalten.
Antrag der Linken
Die Linke tritt in ihrer Vorlage (19/18687) dafür ein, bei der Bearbeitung der Corona-Krise den Gedanken der Solidarität an erste Stelle zu stellen und den am meisten von der Pandemie und den wirtschaftlichen, sozialen und gesundheitlichen Folgen betroffenen Ländern unterstützend beiseite zu stehen. Auf EU-Ebene soll die Bundesregierung darauf hinwirken, die direkte Finanzierung von öffentlichen Investitionen durch die Europäische Zentralbank (EZB) im Rahmen ihres Inflationsziels zu ermöglichen und hierfür insbesondere Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) anzupassen.
Kurzfristig soll der wirtschaftliche Wiederaufbau nach der Corona-Pandemie durch „Corona-Anleihen“ der Europäischen Investitionsbank (EIB) mit langen Laufzeiten unterstützt werde, welche die EZB in Übereinstimmung mit Artikel 123 AEUV erwirbt. Das Kapital der EIB sei dabei Maastricht-neutral dem Finanzierungsbedarf des Wiederaufbaus anzupassen, um das Issuer Limit von 50 Prozent für Anleihekäufe supranationaler Einrichtungen zu respektieren. (joh/23.04.2020)