Fachkräfte fehlen und Frauen sind unterrepräsentiert in der KI
Im Feld der Künstlichen Intelligenz (KI) fehlen Fachkräfte. Zudem sind Frauen in diesem Bereich erheblich unterrepräsentiert. Darauf wiesen am Montag, 2. März 2020, mehrere Sachverständige in einer öffentlichen Anhörung der Enquete-Kommission “Künstliche Intelligenz – Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenziale„ hin. In der Sitzung unter Leitung der Vorsitzenden Daniela Kolbe (SPD) forderten die Vortragenden unter anderem, KI-Themen besser in den Schulen zu verankern sowie das Niveau insbesondere des Mathematik-Unterrichts an den Gymnasien zu heben.
“Um KI zu verstehen, muss man Mathematik verstehen„
Prof. Dr. Boris Hollas, sachverständiges Mitglied der Kommission und Lehrstuhlinhaber für Künstliche Intelligenz und Theoretische Informatik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Dresden, zog eine ernüchternde Bilanz der Kenntnisse von Studienanfängern. “Um KI in der Tiefe zu verstehen, muss man auch die Mathematik verstehen„, denn KI sei “im Prinzip angewandte Mathematik„. Es gebe ein “gravierendes Problem mit der Studierfähigkeit und insbesondere mit den Mathematikkenntnissen„, sagte Hollas mit Verweis auf diverse Studien. Vor 20 Jahren sei dies noch nicht so gewesen. Universitäten böten inzwischen Vor- und Brückenkurse an, um dem entgegenzuwirken. Die Abbruchquote liege in dem Fach bei 46 Prozent.
Der Informatik-Professor machte die Niveausenkung an den Schulen, den “Akademisierungswahn„ sowie die Orientierung an Kompetenzen statt Lerninhalten für die Entwicklung verantwortlich. Zudem konstatierte Hollas “politischen Druck„. Durch Zielvereinbarungen würden falsche finanzielle Anreize gesetzt. So würden die Universitäten beispielsweise Prüfungen leichter machen, um die Absolventenzahlen zu erhöhen. Hollas forderte unter anderem, die Bildungsstandards der Gymnasien an den Bedürfnissen der Hochschulen auszurichten. Zudem sprach er sich dafür aus, die berufliche Bildung zu stärken. Für viele Aufgaben im KI-Bereich bedürfe es keines Studiums, sagte Hollas mit Verweis auf die Berufe Fachinformatiker und mathematisch-technischer Softwareentwickler.
“Harter Wettbewerb um die klügsten Köpfe„
Susanne Dehmel, sachverständiges Mitglied und Mitglied der Geschäftsleitung des Branchenverbandes Bitkom, schloss an Hollas' Ausführungen an und verwies auf zahlreiche neue Rollen, die im KI-Kontext entstünden, beispielsweise KI-Manager oder KI-Trainer. “Es gibt einen harten Wettbewerb um die klügsten Köpfe„, resümierte Dehmel. Unternehmen könnten eigene KI-Projekte nicht umsetzen, weil ihnen die Fachkräfte fehlten. Dies sei Teil eines größeren Problems. So fehlten zum Beispiel aktuell 124.000 IT-Spezialisten. Die Verbandsvertreterin sprach von einem “massiven Engpass„.
Mit Blick auf Frauen unter den KI-Fachkräften verwies Dehmel auf eine Erhebung des Weltwirtschaftsforums im Rahmen des “Global Gender Gap Report 2018„. Danach seien nur 16 Prozent der KI-Fachkräfte in Deutschland Frauen, weltweit liege der Schnitt bei 22 Prozent. Laut Dehmel ist auch dies nur Ausdruck eines größeren Problems in der IT-Branche, in der nur 17 Prozent der IT-Fachkräfte Frauen seien. Die Bitkom-Vertreterin forderte unter anderem, den Studentinnen-Anteil in den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) zu erhöhen, Mentoring und Vernetzung zu fördern, in Unternehmen gezielte Förderprogramme für Frauen aufzubauen und flexiblere Arbeitsmodelle zu ermöglichen.
“Neue Ideen und Chancen herausarbeiten„
Julia Kloiber vom feministischen Think Tank “Superrr Lab„ thematisierte das Ungleichgewicht im KI-Bereich in einem größeren Kontext und verwies auf einen “Gender-Data-Gap“, der bestehende Ungleichheiten verstärke. Wichtig sei, auch in den technischen Studiengängen ein Bewusstsein für diese Ungleichgewichte zu schaffen. Kloiber betonte zudem die Rolle, die die Zivilgesellschaft einnehmen könnte.
Einerseits könnten solche Organisationen als Aufpasser fungieren, um die missbräuchliche Verwendung neuer Technologien zu kritisieren. Andererseits könnten diese Organisationen „neue Ideen und Chancen“ der KI herausarbeiten. Dazu schlug Kloiber spezielle Förderprogramme vor. Grundsätzliche benötige es „mehr Vielfalt und Diversität“, unterstrich die Sachverständige.
„Mehr Zeit für wertschöpfende Tätigkeit schaffen“
Andrea Martin, sachverständiges Mitglied der Kommission und Leiterin des Watson Center von IBM in München, und Veronika Eckstein, Leiterin der Digitalen Akademie des Flugzeugherstellers Airbus, berichteten der Kommission aus Perspektive von Unternehmen. Martin verwies beispielsweise auf die globale Dezentralisierung von Forschungsstandorten des Unternehmens, um so Vielfalt zu erzeugen.
Eckstein umriss, wie das Unternehmen durch interne Weiterbildung im Unternehmen Data Scientists ausbildet. Mit dem Einsatz von KI verbinde das Unternehmen die Hoffnung, dass die Technologie Mitarbeiter nicht ersetze, sondern „mehr Zeit für wertschöpfende Tätigkeit“ schaffen könne, sagte die Airbus-Vertreterin. (scr/02.03.2020)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Dr. Janna Lipenkova, Anacode (abwesend)
- Julia Kloiber, Superrr Lab
- Veronika Eckstein, Airbus