Wehrbeauftragter: Die Zentralisierung ist der Tod der Trendwenden
Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Dr. Hans-Peter Bartels, schätzt die Kräfte der Bundeswehr als angespannt ein. „Die angekündigten Trendwenden für mehr Personal und Material lassen auf sich warten“, sagt Bartels im Interview mit dem Parlamentsfernsehen.
Anlass war die Übergabe des Jahresberichts 2019 des Wehrbeauftragten (19/16500) an Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble am Dienstag, 28. Januar 2020, im Beisein des Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Wolfgang Hellmich (SPD), der Obleute der Fraktionen sowie weiterer Ausschussmitglieder. Schäuble dankte Bartels und dessen Mitarbeitern für den Bericht. Der Wehrbeauftragte betonte: „Unter Anspannung aller Kräfte ist die Bundeswehr in der Lage, ihren Auslandsverpflichtungen nachzukommen.“ Die Verbände im Ausland seien in der Regel ganz gut ausgestattet, aber auf Kosten der übrigen Einheiten, die nicht im Einsatz sind und ihr Material dafür abgeben müssen.
Baustelle Materialbeschaffung
Die Bereitstellung von Material bleibe eine „Riesenbaustelle“. Altes Gerät sei nach der letzten Bundeswehrreform entweder verkauft oder verschrottet worden. Modernes Gerät lasse von Schützenpanzern bis Fregatten auf sich warten. Das dafür notwendige Geld fehle nicht, aber die erforderlichen Prozesse und Strukturen müssen angepasst werden.
„Es braucht eine Reform des Beschaffungswesens, das überorganisiert ist“, urteilte der Wehrbeauftragte und fragt rhetorisch, warum es fünf Jahre brauche, um alle Soldaten mit Kampfstiefeln auszurüsten. Es fehle eine innere Reform weg von der Zentralisierung. Die Kommandeure vor Ort sollten mit mehr Kompetenzen ausgestattet werden, denn zu häufig müssten sie als Bittsteller auftreten. „Die Zentralisierung ist der Tod der Trendwenden“, resümiert Hans-Peter Bartels.
„Drastischer Personalmangel“
Nach Angaben des Wehrbeauftragten waren Ende 2019 rund 21.000 Dienstposten bei Offizieren und Unteroffizieren nicht besetzt, bei den Mannschaftsdienstgraden waren es 2.100. Die Zahl der Bewerber bei der Bundeswehr habe sich zwar leicht erhöht von 52.200 im Jahr 2018 auf 53.100 im vergangenen Jahr, trotzdem sei dies „das zweitschlechteste Ergebnis seit Aussetzung der Wehrpflicht“, betont Bartels. Besonders drastisch sei der Personalmangel bei der Marine, bei den Hubschrauberpiloten, bei den Fachärzten im Sanitätsdienst, den Fernmeldetechnikern, den Heeresaufklärern und der Artillerietruppe.
Schwerwiegende Auswirkungen habe der Personalmangel bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr. „Wenn Personallücken im Auslandseinsatz durch die immer wieder gleichen Spezialisten gefüllt werden und die Einsatzstehzeit im Heer schon wieder bei sechs Monaten liegt, geht das eindeutig zulasten der Vereinbarkeit von Dienst und Familienleben“, moniert Bartels.
Verzögerungen bei großen Rüstungsprojekten
Trotz des steigenden Budgets für rüstungsintensive Ausgabe seien im vergangenen Jahr rund 1,1 Milliarden Euro nicht wie geplant ausgegeben worden, weil sich große Rüstungsprojekte weiter verzögert hätten. „Das meiste, was unsere Streitkräfte an Ausrüstung brauchen, vom Rucksack bis zum leichten Verbindungshubschrauber, muss nicht immer wieder erst in umständlichen funktionalen Fähigkeitsforderungen abstrakt definiert, dann europaweit ausgeschrieben, neu erfunden, vergeben getestet, zertifiziert und schließlich in kleinen Tranchen über 15 Jahre hinweg in die Bundeswehr eingeführt werden“, mahnt Bartels. „Man kann es auch einfach kaufen.“
Handlungsbedarf sieht der Wehrbeauftragte auch beim inneren Zustand der Truppe. So habe der Militärische Abschirmdienst (MAD) im vergangenen Jahr insgesamt 363 neue Verdachtsfälle wegen Rechtsextremismus untersuchen müssen, 45 Soldaten seien vorzeitig entlassen worden. Allerdings sei die Bundeswehr nach seinem Eindruck „sensibel“ für das Thema. Bartels regt an, dass der MAD zukünftig selbst einmal im Jahr öffentlich über die Ergebnisse seiner Arbeit berichten soll.
Mehr sexuelle Belästigungen und Übergriffe
Gestiegen sei auch die Zahl der gemeldeten sexuellen Belästigungen und Übergriffe: von 288 (2018) auf 345 im Jahr 2019. An den Regeln des Umgangs zwischen den Geschlechtern müsse weiter gearbeitet werden, das Problem werde nicht durch den steigenden Frauenanteil in der Truppe gelöst. Leicht gesunken ist hingegen die Zahl der persönlichen Eingaben von Soldaten beim Wehrbeauftragten: von 2.534 (2018) auf 2.459.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) fordert Bartels in seinem Bericht auf, die Ergebnisse aus dem von ihrer Amtsvorgängerin Ursula von der Leyen (CDU) aufgelegten Programm „Innere Führung – heute“ umzusetzen. Im Rahmen des Programms seien unter „vorbildlicher Einbeziehung“ von Soldatinnen und Soldaten aller Organisationsbereiche und Dienstgradgruppen Vorschläge für eine innere Reform erarbeitet worden. „Dezentrale, ganzheitliche Verantwortungswahrnehmung in Bataillonen, Brigaden und Geschwadern lautet das Gebot der Stunde“, mahnt Bartels.
Einmal im Jahr berichtet der Wehrbeauftragte dem Deutschen Bundestag über den inneren Zustand der Bundeswehr. Damit nimmt er eine wichtige Kontrollfunktion des Parlaments wahr, denn die Bundeswehr ist laut dem Grundgesetz eine Parlamentsarmee. Der Wehrbeauftragte ist mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet und kann beispielsweise jederzeit alle Truppenteile und Einrichtungen der Bundeswehr unangemeldet besuchen. Dies ermöglicht einen unverstellten Blick auf die Verhältnisse in der Truppe. (eis/aw/28.01.2020)