Ausstellung mit Illustrationen von David Olère eröffnet
Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble hat am Mittwoch, 29. Januar 2020, im Paul-Löbe-Haus des Bundestages die Ausstellung „David Olère. Überlebender des Krematoriums III“ anlässlich des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus eröffnet. Grußworte sprachen Dr. Piotr Cywiński, Direktor des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau, und Beate Klarsfeld, Präsidentin der Beate-Klarsfeld-Stiftung.
Der russisch-deutsche Pianist Igor Levit trug bei der Ausstellungseröffnung die Choralkantate „Nun komm, der Heiden Heiland“ von Johann Sebastian Bach in der Klavierbearbeitung von Ferruccio Busoni (1866-1924) und die „Aria“ aus den Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach vor. Für seinen Einsatz gegen Rassismus und Antisemitismus wurde Levit in diesem Jahr mit der „Gabe der Erinnerung“, einer Ehrung des Internationalen Auschwitz Komitees, ausgezeichnet.
Schäuble: Die Wahrheit bleibt – und sie bleibt eine Zumutung
Bundestagspräsident Schäuble verwies bei der Eröffnung der Ausstellung darauf, dass das detaillierte Wissen über die Vorgänge in den Krematorien in Auschwitz den wenigen Überlebenden, wie etwa David Olère, zu verdanken sei. „Seine nach Kriegsende angefertigten Zeichnungen dokumentieren die alltägliche Erniedrigung, die Bestialität und die Abläufe der Vernichtung“, sagte Schäuble. Seine Werke konfrontierten „fast bis zur Unerträglichkeit“ damit, dass das Geschehene für jeden, der es nicht selbst erfahren musste, unvorstellbar bleibe. Seine Gemälde zeigten Auschwitz in grellen Farben. Jedes Bild sei wie ein Schrei, sagte der Bundestagspräsident.
Er verwies auch darauf, dass andere Häftlinge des Sonderkommandos niederschrieben, was sie erlebten. Diese Beschreibungen wie etwa des polnischen Juden Zalmen Gradowski vervollständigen die Ausstellung in der Halle des Paul-Löbe-Hauses. Als habe er den Wunsch nach Verdrängung geahnt, haben die Überlebenden gegen das Vergessen, die Verharmlosung und die Lüge angekämpft, sagte Schäuble. „Die Wahrheit bleibt – und sie bleibt eine Zumutung“, betonte er. Dieser Zumutung müsse sich jede Generation aufs Neue stellen, sagte er auch mit Blick auf Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und von Hass erfüllter Gewalt, wie sie etwa beim Anschlag in Halle zutage getreten waren.
Die schwierige Situation der Sonderkommandos
Direktor Piotr Cywiński erinnerte daran, dass Olère nach Ende des Krieges als Mittäter angeklagt wurde. Das „Sonderkommando“ war eine Gruppe von Häftlingen, die von der SS gezwungen wurden, die Leichen der in den Gaskammern Ermordeten zu verbrennen. „Die Mitglieder des Sonderkommandos waren in einer der schwierigsten Situationen. Sie haben unüberwindbare Dinge tun müssen“, sagte Cywiński. Sie hätten aber auch Zeugnisse hinterlassen: Es gebe es vier Fotografien, die illegal im Lager gemacht wurden und Olère sei der einzige, der das Erlebte gezeichnet und gemalt habe, betonte der Direktor.
Auch Beate Klarsfeld, Präsidentin der Beate-Klarsfeld-Stiftung und Frau des Co-Kurators der Ausstellung und französischen Historikers, Serge Klarsfeld, betonte, dass Olère sofort nach der Befreiung angefangen habe zu zeichnen. „Natürlich gab es Fotos nach dem 27. Januar 1945, doch es bedarf Olère, um das auszudrücken, was zuvor in Birkenau geschehen war – nicht nur im Lager, sondern auch in den Krematorien“, sagte sie. Klarsfeld äußerte zudem den Wunsch, dass auch Abgeordnete aus Reihen der AfD-Fraktion „den Mut aufbringen, sich den Werken Olères in der Ausstellung zu stellen“ und löste damit standing ovations und minutenlangen Applaus aus.
Ausstellung bis 21. Februar geöffnet
Die Ausstellung des Bundestages in Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau und dem Zentrum für verfolgte Künste Solingen wird vom Rundfunk Berlin Brandenburg unterstützt. Sie kann von Donnerstag, 30. Januar, bis Freitag, 21. Februar 2020, nach vorheriger Anmeldung montags bis freitags jeweils von 9 bis 17 Uhr besichtigt werden (Zugang über den Eingang West, Konrad-Adenauer-Straße 1 in Berlin-Mitte).
Gezeigt werden Illustrationen von David Olère, einem der wenigen Häftlinge des sogenannten „Sonderkommandos“, die den Krieg überlebten. Der am 19. Januar 1902 in Warschau geborene Olère war der einzige, der seine Erfahrungen in Gemälden und Zeichnungen festhielt. Seine Illustrationen stellen eine der wenigen Bildquellen der damaligen Ereignisse dar. Sie entstanden aus der Sicht eines Mannes, der durch die Hölle von Auschwitz-Birkenau gegangen war und zum unmittelbaren Zeugen eines der bestgehüteten Geheimnisse des nationalsozialistischen Deutschlands wurde: des konkreten Ablaufs des Massenmords.
Angehöriger des „Sonderkommandos“
Aufgrund seiner jüdischen Herkunft war Olère am 20. Februar 1943 von der französischen Polizei verhaftet und im Durchgangslager Drancy nordöstlich von Paris interniert worden. Von dort wurde er am 2. März 1943 nach Auschwitz deportiert und mit der Häftlingsnummer 106144 registriert. Während seines gesamten Aufenthalts im Lager gehörte er dem „Sonderkommando“ an, einer Gruppe von Häftlingen, die von der SS gezwungen wurden, die Leichen der in den Gaskammern Ermordeten zu verbrennen.
David Olère hatte an der Akademie der Bildenden Künste in Warschau studiert und war 1921 nach Berlin gezogen, wo er als Maler, Bildhauer und Bühnenbildner für die Europäische Film-Allianz arbeitete. In den 1930er-Jahren lebte er in Paris und gehörte der dortigen Kunstszene, der „École de Paris“, an. Olère arbeitete für verschiedene Filmstudios, darunter Paramount Pictures, Fox und Gaumont, für die er Filmkulissen, Kostüme und Werbeplakate entwarf. Verhaftet wurde Olère in seinem eigenen Haus. Seiner Frau Juliette und seinem elfjährigen Sohn Alexandre gelang es, aus Paris zu fliehen und im Versteck zu überleben.
Zeichnungen der Jahre 1945 und 1946
Kurz nach Kriegsende fertigte David Olère eine Serie von 70 Zeichnungen an, die einige Jahre später zur Grundlage für seine verstörenden Ölgemälde werden sollte. Die frühesten Zeichnungen, die in den Jahren 1945 und 1946 entstanden, berühren durch ihre für die Lagerkunst typische Strenge und Authentizität. Die minutiöse Aufzeichnung der aufeinander folgenden Phasen der Vernichtung und der Szenen aus dem Leben von KZ-Häftlingen ist von außergewöhnlichem dokumentarischem Wert und stellt angesichts des Mangels zeitgenössischer Fotoaufnahmen einen unschätzbaren Bildfundus dar. Dazu zählen Pläne von Krematorien und Gaskammern und Darstellungen der dramatischen Szenen, die sich in diesen Gebäuden abspielten.
In der Zeit zwischen 1960 und 1980 übertrug der Künstler einige dieser Szenen, gefiltert durch seine emotionale Wahrnehmung, in das Medium der Malerei. Diese gigantischen, den Betrachter förmlich anschreienden Bilder sind geprägt von den traumatischen Erfahrungen des Künstlers. David Olère starb am 21. August 1985 in Paris.
„Auschwitz und ich“
Vor fünf Jahren, zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz, brachte der Norddeutsche Rundfunk auf Initiative der Intendantin Patricia Schlesinger das trimediale Projekt „Auschwitz und ich“ in die ARD ein. Der Rundfunk Berlin Brandenburg setzt das Projekt zum 75. Jahrestag der Befreiung fort und begleitet die Ausstellung mit einer Programminitiative und der Internetseite www.auschwitzundich.ard.de.
Organisiert wurde die Ausstellung von Jürgen Kaumkötter, Direktor des Zentrums für verfolgte Künste Solingen. Kuratorin ist die Kunsthistorikerin Agnieszka Sieradzka vom Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau, unterstützt von Marc Oler, dem Enkel David Olères, und dem französischen Historiker Serge Klarsfeld als Co-Kuratoren.
Anmeldung zur Besichtigung
Zur Besichtigung anmelden kann man sich unter Angabe des Vor- und Zunamens, des Geburtsdatums sowie des Datums und der Uhrzeit des gewünschten Besuchstermins telefonisch (+49 30 227-38883), per E-Mail (ausstellungen@bundestag.de) oder direkt online: www.bundestag.de/parlamentarische_ausstellung. Zum Einlass muss ein Personaldokument mitgebracht werden. (lbr/vom/29.01.2020)