Der Bundestag hat am Freitag, 20. Dezember 2019, zwei Anträge der AfD-Fraktion zur Wohnungsnot und Obdachlosigkeit beraten. Mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen lehnte das Parlament den Antrag mit dem Titel „Anpassung des öffentlichen Baurechts zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit“ (19/7717) ab, zu dem der Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen eine Beschlussvorlage (19/9571) abgegeben hatte.
Den zweiten Antrag mit dem Titel „Wohnungsnot substanziell bekämpfen – Migration als Ursache für Wohnungsnot benennen“ (19/16051) überwies der Bundestag zur weiteren Beratung an den federführenden Ausschuss für Inneres und Heimat. Die AfD hatte die Federführung beim Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen beantragt, konnte sich in der Abstimmung gegen die Mehrheit der übrigen Fraktionen aber nicht durchsetzen.
Abgelehnter Antrag der AfD
Der abgelehnte Antrag der AfD (19/7717) zielte darauf ab, bau- und energierechtliche Vorschriften zugunsten von Wohnungssuchenden und Obdachlosen zu ändern. Die Abgeordneten wollten die Bundesregierung auffordern, Unterkünfte für Obdachlose im Baugesetzbuch und in der Energieeinsparverordnung den Unterkünften für Flüchtlinge und Asylsuchende gleichzustellen.
Die Vorschriften sollten auf unbefristete Zeit gelten. Durch die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt gerieten immer mehr Menschen in eine Situation, in der ihnen der Verlust der Wohnung drohe und sie von Obdachlosigkeit bedroht seien, hieß es zur Begründung.
Neuer Antrag der AfD
In ihrem neuen, überwiesenen Antrag fordert die AfD die Bundesregierung auf, in Verhandlungen mit den Bundesländern darauf hinzuwirken, die „zwangsweise Verteilung von Asylbewerbern an Städte und Gemeinden“ zu beenden. Städte und Gemeinden sollen künftig Zuweisungsentscheidungen aus übergeordneten wohnungs- und sicherheitspolitischen Gründen ganz oder teilweise ablehnen können, wenn nicht genügend Wohnunterkünfte zur Verfügung stehen oder geschaffen werden können oder sonst eine Überlastung der Infrastruktur zu befürchten ist.
Dies solle auch bei einer Gefährdung des gesellschaftlichen Zusammenhalts oder des gesellschaftlichen Friedens oder bei beeinträchtigter Sicherheit innerhalb der Städte und Gemeinden gelten. Eine entsprechende Regelung könne dem Paragrafen 12a des Aufenthaltsgesetzes nachgebildet werden, der aus übergeordneten Gründen des Gemeinwohls geschaffen worden sei und die Länder und Kommunen ermächtige, positive oder negative Wohnsitzregelungen zu verfügen.
Städte und Gemeinden, die „Zwangsmaßnahmen“ wie die Mietpreisbremse zur Regulierung des Wohnungsmarktes verhängt haben, sollten nach dem Willen der Fraktion von der Verteilung von Asylbewerbern ausgeschlossen werden. Die Bundesländer sollen zusätzlich das Recht erhalten, die Zuteilung von Asylbewerbern von der Bundesregierung einzuschränken oder ganz abzulehnen, vor allem unter Berücksichtigung der Entscheidungen der Städte und Gemeinden. Die Bundesregierung solle dem Bundestag zudem eine Änderung des Asylgesetzes vorlegen.
AfD: Zwei Millionen Wohnungen fehlen
Derzeit fehlten zwei Millionen Wohnungen in Deutschland, sagte Marc Bernhard (AfD) zu Beginn der Debatte. Die Mieten stiegen fast doppelt so schnell wie die Einkommen. Besserung sei nicht in Sicht. „Der Konkurrenzkampf um Wohnraum wird schlimmer“, so Bernhard. In den letzten Jahren sei die Bevölkerungszahl in Deutschland durch Zuwanderung um über drei Millionen angestiegen. „Jedes Jahr kommen netto eine halbe Million Neubürger hinzu.“ Viele Städte seien mit diesem Zustrom hoffnungslos überfordert, sagte der AfD-Abgeordnete.
Der grüne Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, bringe die ganze Absurdität auf den Punkt, wenn er klarstelle, er sei rechtlich verpflichtet, für die Flüchtlinge zu bauen, aber nicht dazu, für die länger hier Lebenden eine Wohnung bereitzustellen. Das sei die Rechtslage, so Bernhard. Dies führe beispielsweise dazu, dass ein Vermieter in Berlin 20 Prozent mehr bekomme, wenn er an einen Flüchtling vermietet anstatt an einen einheimischen Bedürftigen.
CDU/CSU: Schäbiger Versuch, Menschen gegeneinander auszuspielen
Bei den Rednern aller anderen Fraktionen stießen die AfD-Anträge auf deutliche Ablehnung. Torsten Schweiger (CDU/CSU) warf der AfD-Fraktion vor, Flüchtlinge und Obdachlose gegeneinander ausspielen zu wollen. Es werde suggeriert, Migration sei die alleinige Ursache der Wohnungsnot. Sein Fraktionskollege Detlef Seif nannte den Versuch, Menschen gegeneinander auszuspielen, die in schwieriger Lage seien und bezahlbaren Wohnraum suchten, „schäbig“.
Seif erinnerte an die Jahre 2015 und 2016 in denen teils katastrophale Zustände geherrscht hätten. „Wir sind da teilweise über die Belastungsgrenze hinausgegangen.“ 745.000 Menschen hätten seinerzeit einen Erstasylantrag gestellt. Seitdem seien die Zahlen aber deutlich zurückgegangen. Gleichwohl wird seiner Auffassung nach ein gemeinsames europäisches Asylsystem mit einer verbindlichen Vorprüfung an den EU-Außengrenzen benötigt.
FDP sieht „intellektuelle Mittelmäßigkeit“ bei der AfD
Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) sagte, man könne in Deutschland durchaus von einer Landflucht sprechen. Darauf habe die Bundesregierung viel zu spät reagiert. Die Folge sei, dass der Wohnraum in Städten immer knapper und teurer werde. Der Kauf einer Immobilie bleibe für die meisten nur ein Traum. Damit in den Städten mehr gebaut wird, wäre es aus Sicht von Strack-Zimmermann hilfreich, „wenn Baugenehmigungen zügiger erteilt würden“.
Zur Wahrheit gehöre auch, dass allein die Energieeinsparverordnung die Baupreise rasant ansteigen lasse. Das Problem fehlender Wohnungen an Flüchtlingen festzumachen beweise aber einmal mehr die „intellektuelle Mittelmäßigkeit“ der AfD. Die Partei wolle Bilder kreieren, um ihre kruden Ideen in die Köpfe der Menschen zu bringen, sagte die FDP-Abgeordnete.
SPD: AfD verhöhnt die Obdachlosen
Wer solche Anträge kurz vor Weihnachten stelle, definiere sich als „Antichristen für Deutschland“, sagte Helge Lindh (SPD). Die AfD sei die personifizierte Bankrotterklärung des christlich-jüdischen Abendlandes.
Wer die soziale Frage der Obdachlosigkeit nutze, um das Asylrecht aushebeln zu wollen, schände die christliche Botschaft, befand der SPD-Abgeordnete. „Sie verhöhnen nicht nur die Geflüchteten und Fremden. Sie verhöhnen auch die Obdachlosen“, warf Lindh der AfD vor. „Hass ist ihre Politik. Sozialpolitik: Fehlanzeige“, sagte er.
Linke: Wohnungsnot ist nicht die Schuld der Migranten
„Bei der AfD ist es immer die gleiche Leier: Die Migranten sind schuld“, sagte Caren Lay (Die Linke). Die „immer gleiche rassistische Hetze“ könne kein Mensch mehr hören, betonte die Linken-Abgeordnete. Die Anträge offenbarten aber auch, dass die AfD „keine Ahnung von der Geschichte der Wohnungspolitik in Deutschland“ habe. Die Misere habe bereits 1990 mit der Abschaffung der Gemeinnützigkeit begonnen, sagte Lay. „Seither befindet sich der soziale Wohnungsbau im Niedergang.“
Die Zahl der Sozialwohnungen habe sich halbiert. Sämtliche Bundesregierungen hätten seitdem das Tafelsilber verscherbelt, indem sie Wohnungen privatisiert hätten. Die Wohnungsnot sei also auf Fehler der Politik zurückzuführen „und ist nicht die Schuld der Migranten“, sagte Lay.
Grüne: Anträge ohne substanzielle Vorschläge
Christian Kühn (Bündnis 90/Die Grünen) sagte: „Bei Wohnungs- und Obdachlosigkeit geht es um nicht weniger als um das Grundrecht auf Wohnen.“ An die AfD gewandt fügte er hinzu, dieses Grundrecht kenne „kein Geschlecht, keine Religion und keine Nationalität“. Es sei unteilbar und stehe allen Menschen in diesem Land zu, „egal wann sie zu uns gekommen sind und egal woher sie gekommen sind“.
Weil die AfD dieses Grundrecht infrage stelle, stehe sie mit diesen Anträgen „nicht mit beiden Beinen auf dem Grundgesetz“, befand Kühn. Sie seien der Versuch, Obdachlose gegen Flüchtlinge auszuspielen, beinhalteten aber keine substanziellen Vorschläge. (Hau/pez/vom/20.12.2019)