Der Bundestag hat am Donnerstag, 10. Juni 2021, mehrere Vorlagen zum Thema Gewalt gegen Frauen abgelehnt. Mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und AfD gegen die Stimmen der FDP, der Linken und der Grünen wurde ein Antrag der FDP-Fraktion mit dem Titel „Frauenhäuser als Teil des staatlichen Schutzauftrages wahrnehmen“ (19/15770) zurückgewiesen. Ebenfalls abgelehnt wurde mit den Stimmen der CDU/CSU, SPD und AfD gegen die Stimmen von FDP und Grünen bei Enthaltung der Linken ein FDP-Antrag mit dem Titel „Infrastruktur für Betroffene häuslicher Gewalt in Deutschland krisenfest aufstellen“ (19/19726).
Zurückgewiesen wurden ferner zwei Anträge der Linken mit den Titeln „Gewalt an Frauen und Mädchen systematisch bekämpfen – Grundlagen zur erfolgreichen Umsetzung der Istanbul-Konvention schaffen“ (19/14380) und „Femizide in Deutschland untersuchen, benennen und verhindern“ (19/23999). Der ersten Antrag wurde mit den Stimmen der CDU/CSU, SPD und AfD gegen die Stimmen der FDP, Linksfraktion und Grünen abgelehnt, der zweite Antrag mit den Stimmen der CDU/CSU, SPD, AfD und FDP gegen die Stimmen der Linksfraktion und der Grünen. Den Abstimmungen lagen Beschlussempfehlungen des Familienausschusses zugrunde (19/29312, 19/30480) zugrunde.
Auf Grundlage der Beschlussempfehlung wurden auch Grünen-Anträge mit den Titeln „Verantwortung für Frauen in Frauenhäusern übernehmen“ (19/15380) mit den Stimmen der CDU/CSU, SPD und AfD gegen die Stimmen der FDP, Linksfraktion und Grüne und „Beratungsangebote für gewaltbetroffene Frauen stärken“ (19/15379) mit den Stimmen der CDU/CSU, SPD, AfD und FDP gegen die Stimmen der Linksfraktion und Grünen zurückgewiesen.
Ein neuer Antrag der FDP mit dem Titel „Folgestudie zu der im Jahr 2011 veröffentlichten Studie ,Zwangsverheiratung in Deutschland' veranlassen“ (19/30328) wurde zur federführenden Beratung in den Familienausschuss überwiesen.
Erster abgelehnter Antrag der FDP
Die FDP-Fraktion sprach sich für einen Ausbau der Frauenhaus-Plätze aus. In ihrem ersten abgelehnten Antrag (19/15770) forderte sie die Bundesregierung auf, gemeinsam mit den Bundesländern und Kommunen innerhalb der nächsten sechs Jahre eine am tatsächlichen Bedarf orientierte Anzahl an Frauenhausplätzen zur Verfügung zu stellen und dafür zu sorgen, dass ausgebildetes Personal in ausreichendem Umfang zur Verfügung steht. Zudem sollte das Bundesfamilienministerium nach dem Willen der FDP-Fraktion eine bundesweite Koordinierungsstelle einrichten, die in Abstimmung mit den Ländern die Entwicklung und Durchsetzung einer Gesamtstrategie zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen umsetzen sollte. Zur Umsetzung der Istanbul-Konvention sollte eine Monitoring-Stelle eingerichtet werden, die auch eine fundierte Analyse von Daten, Bedarfen und Zielgrößen zur Situation der Frauenhäusern vornimmt.
Die FDP verwies darauf, dass nach Dunkelfeldstudien jede dritte Frau in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben von Gewalt betroffen sei. Häufig werde diese Gewalt im eigenen häuslichen Umfeld, von Partnern oder Ex-Partner ausgeübt. Die aktuelle kriminalstatistische Auswertung zu Partnerschaftsgewalt des Bundeskriminalamtes verzeichne für 2018 114.393 zur Anzeige gebrachte Fälle von versuchter und vollendeter Gewalt in Form von Mord und Totschlag, Körperverletzungen, Vergewaltigung, sexueller Nötigung, sexuellen Übergriffen, Bedrohung, Stalking, Nötigung, Freiheitsberaubung, Zuhälterei und Zwangsprostitution gegenüber Frauen; 122 Frauen seien getötet worden.
Zweiter abgelehnter Antrag der FDP
Die FDP forderte die Bundesregierung in ihrem zweiten abgelehnten Antrag (19/19726) auf, alle Bemühungen zu unternehmen, um von häuslicher Gewalt betroffene Menschen kurzfristig in Schutzeinrichtungen unterzubringen und mittelfristig die Anzahl der Plätze in Schutzeinrichtungen auszubauen und dafür die Förderrichtlinien des Bundesinvestitionsprogramms „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ zu erweitern, damit die Einrichtungen auch bei steigenden Personal- und Sachkosten unterstützt werden können.
Auch sollte sie auf die Einführung eines länderübergreifenden Online-Registers zur Registrierung und Abfrage von freien Plätzen in Schutzeinrichtungen für von häuslicher Gewalt betroffene Menschen hinwirken, das unter Einhaltung des Datenschutzes einen besseren Überblick über die Auslastung der Kapazitäten geben und auch länderübergreifende Kooperationen ermöglichen oder erleichtern sollte.
Erster Antrag der Linken
Die Linksfraktion forderte die Bundesregierung in ihrem ersten abgelehnten Antrag (19/14380) auf, eine staatliche Koordinierungsstelle zur Umsetzung der sogenannten Istanbul-Konvention zu schaffen, die die Anstrengungen der einzelnen Ministerien und die der Länder zur Verhinderung von Gewalt und zum besseren Schutz von Frauen und Mädchen koordiniert. Die Fraktion begründete dies mit den Verpflichtungen, die Deutschland mit der Unterzeichnung und Ratifizierung des „Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ eingegangen sei. Entsprechend der Konvention, die in Deutschland am 1. Februar 2018 in Kraft getreten ist, sollte die Bundesregierung nach dem Willen der Fraktion zudem eine externe und unabhängige Monitoring-Stelle einrichten, die für die Evaluierung der einzelnen Maßnahmen zuständig ist, sowie eine externe und unabhängige Forschungsstelle, die umfassend Daten zu Gewalt an Frauen und Mädchen erhebt und ein jährliches Lagebild erstellt.
Gewalt gegen Frauen und Mädchen reiche von verbaler sexualisierter Belästigung, Beleidigungen und psychischer Gewalt über körperliche Gewalt, Zwangsheirat und Stalking bis hin zu schwerer sexualisierter Gewalt und im schlimmsten Fall sogar bis zum Mord. Laut der letzten Dunkelfeldforschung von 2004 habe jede vierte Frau in Deutschland schon einmal häusliche Gewalt erlebt, hieß es in dem Antrag.
Zweiter Antrag der Linken
Nach dem Willen der Linksfraktion sollte die Bundesregierung eine unabhängige „Femicide Watch“-Beobachtungsstelle einrichten. In ihrem zweiten Antrag (19/23999) sprach sie sich dafür aus, dass diese Beobachtungsstelle jede Tötung, jeden tödlichen und vermeintlichen Suizid einer Frau in Deutschland erfasst, die Daten tagesaktuell veröffentlicht, jährlich einen Lagebericht zu „Femiziden in Deutschland“ erstellt und eine umfassende Erforschung einleitet. Tötungsdelikte an Frauen und Mädchen, die aufgrund des hierarchischen Geschlechterverhältnisses begangen werden, müssten von der Regierung als Femizide anerkannt werden. Darüber hinaus müsse das Hilfesystem bei Gewalt an Frauen entsprechend der Istanbul-Konvention ausgebaut werden, damit alle Betroffenen Beratung und Unterstützung erhalten und ihnen Schutzräume zur Verfügung stehen. Staatsanwaltschaften und die Polizei sollten zudem bei Tötungen von Frauen zunächst stets prüfen, ob ein Femizid vorliegt. Bei Polizei und Justiz müssten dementsprechend verpflichtende Fortbildungen etabliert werden.
Die Linke argumentierte, dass Frauen oft nur deshalb ermordet würden, weil sie Frauen sind. Im Jahr 2019 seien 267 Frauen in Deutschland getötet worden, weitere 542 hätten einen Tötungsversuch überlebt. In den Jahren 2018 und 2017 seien 367 beziehungsweise 380 Frauen Opfer einer gewaltsamen Tötung geworden.
Erster Antrag der Grünen
Die Grünen forderten die Bundesregierung in ihrem ersten abgelehnten Antrag (19/15380) auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem der Rechtsanspruch auf Geldleistung für den Aufenthalt in einem Frauenhaus oder einer vergleichbaren Einrichtung festgeschrieben wird. Zudem sollten gemeinsam mit den Trägern bundesweit einheitliche Arbeits- und Qualitätsstandards für Frauenhäuser und ähnliche Einrichtungen festgelegt werden.
Der neue Rechtsanspruch auf Geldleistung sollte den Zugang zu den Schutzeinrichtungen sowie die Inanspruchnahme der dortigen Dienstleistungen in Form von psychologischer Betreuung und Beratung verbessern. Dies könne dazu beitragen, Frauenhäuser und ähnliche Einrichtungen im gesamten Bundesgebiet abzusichern, schrieben die Grünen.
Zweiter Antrag der Grünen
In ihrem zweiten abgelehnten Antrag (19/15379) forderten Bündnis 90/Die Grünen die Bundesregierung auf, gemeinsam mit den Bundesländern und den Kommunen die Umsetzung der sogenannten Istanbul-Konvention zum Schutz von gewaltbetroffenen Frauen und Mädchen voranzubringen. Die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt sollten in Aktionsplänen auf Bundes- und Länderebene festgehalten und deren Umsetzung durch eine Koordinierungsstelle geleitet werden, so die Fraktion. Eine unabhängige Monitoringstelle sollte die Umsetzung der Istanbul-Konvention beobachten und bewerten. Ebenso forderten die Grünen die Bundesregierung auf, gemeinsam mit den Ländern und Kommunen die Finanzierung von Beratungsstellen zu gewährleisten. Für Einrichtungen, in denen Frauen mit Behinderung arbeiten oder leben, sollte der Bund mit den Ländern einheitliche Präventions- und Gewaltschutzkonzepte entwickeln und eine unabhängige Überwachungsstelle einrichten.
Die Grünen verwiesen in ihrem Antrag darauf, dass Deutschland mit dem Inkrafttreten der Istanbul-Konvention völkerrechtlich gebunden sei, diese auch umzusetzen. Bund und Länder müssten deshalb die erforderliche Infrastruktur bereitstellen. Bislang seien die aus der Konvention erwachsenden Verpflichtungen aber nur teilweise umgesetzt.
Neuer Antrag der FDP
In dem in die Ausschüsse überwiesenen Antrag der Liberalen (19/30328) fordert die Fraktion die Bundesregierung auf, einer „Bitte der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen und -minister, -senatorinnen und -senatoren der Länder“ nachzukommen und eine Folgestudie zu der im Jahr 2011 veröffentlichten Studie „Zwangsverheiratung in Deutschland – Anzahl und Analyse von Beratungsfällen“ zu veranlassen, die eine aktuelle Datengrundlage über das Ausmaß von Zwangsverheiratung in Deutschland liefern soll. (aw/hau/10.06.2021)