Modernisierung des Strafverfahrens auf den Weg gebracht
Der Bundestag hat erstmals über Vorlagen zur „Modernisierung des Strafverfahrens“ diskutiert der Bundestag am Donnerstag, 7. November 2019, beraten. Grundlage dafür war ein entsprechendes Eckpunktepapier der Bundesregierung, das als Unterrichtung vorliegt (19/10388). Im Verlauf der Debatte wurden auch ein von den Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD vorgelegter Gesetzentwurf „zur Modernisierung des Strafverfahrens“ (19/14747) und ein Antrag der FDP-Fraktion mit dem Titel „Strafprozesse effektiver, schneller, moderner und praxistauglicher gestalteten“ (19/14244) beraten. Die drei Vorlagen wurden im Anschluss zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuss überwiesen.
Regierung: Verfahren wird vereinfacht
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Christian Lange (SPD), begründete den Koalitionsentwurf. Staatsanwaltschaften und Gerichte seien vor allem in umfangreichen Verfahren mit einer Vielzahl von Beteiligten stark belastet, sagte er. Aus der Justiz gebe es konkrete Forderungen, wie man sie entlasten könne, und genau diese Forderungen würden erfüllt.
Mit dem Pakt für den Rechtsstaat habe die Koalition bereits den Grundstein für eine erhebliche personelle Entlastung der Justiz gelegt, jetzt folge der nächste wichtige Schritt: die Beschleunigung von Strafverfahren. Mit den Maßnahmen des Entwurfs werde das Verfahren vereinfacht, ohne die Beteiligten daran zu hindern, ihre Rechte auszuüben. Als nächsten Schritt kündigte Lange die Einsetzung einer Expertengruppe noch in diesem Jahr an, die die Möglichkeit der Aufzeichnung der strafgerichtlichen Hauptverhandlung prüfen solle.
AfD kritisiert „Stückwerkcharakter“
Thomas Seitz (AfD) sagte, der Entwurf der Koalition werde seinem hohen Anspruch nicht gerecht. Die Ziele seien nicht alle falsch, die Vorlage sei aber Stückwerk und kein großer Wurf. In Wahrheit gehe es der Regierung darum, der seit Jahren unter permanenter Überlastung leidenden Strafjustiz durch punktuelle Eingriffe wieder etwas mehr Luft zu verschaffen.
Uneingeschränkt zu begrüßen sei die Ausweitung der DNA-Analyse. Dies habe nichts mit Diskriminierung zu tun, und wer von „racial profiling“ spreche, sollte überlegen, ob er nicht eher die hohe Delinquenz einer bestimmten Klientel verschleiern wolle.
CDU/CSU: Erfolgsausweis für die Regierung
Thorsten Frei (CDU/CSU) verwies auf den Koalitionsvertrag, in dem festgehalten sei, dass der Rechtsstaat gestärkt werden solle, indem der Strafprozess modernisiert und die Strafverfahren beschleunigt werden. Im Grunde sei das, was heute eingeläutet werde, eine weitere Säule des Pakts für den Rechtsstaat. Dazu gehöre, die gesetzlichen Rahmenbedingungen so zu setzen, dass Strafverfahren zügig durchgeführt werden könnten, ohne Abstriche bei Qualität und Beschuldigtenrechten herbeizuführen. Auch sollten den Ermittlungsbehörden die notwendigen Instrumente an die Hand gegeben werden können.
Dabei sei die Ausweitung der DNA-Analyse ein ganz wichtiges Instrumentarium. Dazu gehöre auch die Überwachung der Telekommunikation beim Wohnungseinbruchdiebstahl. Der Entwurf sei ein Erfolgsausweis für die Regierung.
FDP sieht Änderungsbedarf
Stephan Thomae (FDP) sagte, die Liberalen lehnten den von der Koalition eingeschlagenen Weg ab. Zwar werde dem Vorschlag in einigen Punkten wie der Stärkung der Opferrechte und der Bündelung der Nebenklage zugestimmt. Effizienz und Schnelligkeit seien aber nicht die einzigen Kriterien des Strafprozesses.
Die Wahrheitsfindung müsse oberstes Gebot bleiben. Verfahren müssten fair bleiben, es gebe deshalb keinen Änderungsbedarf bei Befangenheits- und Beweisanträgen. Die FDP biete an, in der weiteren Beratung gemeinsam darüber zu diskutieren, wie der Strafprozess aus der Kaiserzeit in das 21. Jahrhundert überführt werden könne, ohne an den Grundsätzen eines fairen Verfahrens zu rütteln.
Linke: Reaktionäres Prozessverständnis
Friedrich Straetmanns (Die Linke) sagte, die wiederholten Rechtsmodernisierungsvorhaben der Großen Koalition seien aus seiner Sicht Gesetze zur Beschneidung von Beschuldigten- und Angeklagtenrechten. Dabei stehe eine Evaluation der von vor zwei Jahren beschlossenen Maßnahmen noch aus. Das sei ein schwerwiegender Mangel der Vorlage.
Bedenklich finde Die Linke die geplanten Änderungen im Befangenheits- und Beschuldigtenrecht. Die geplante Ausweitung der DNA-Analyse sei brandgefährlich, sagte Straetmanns. Es handele sich dabei um „racial profiling“ und gehöre nicht in die Strafprozessordnung. Zudem führe dies dazu, dass die politische Rechte die Möglichkeit erhalte, ihre rassistische Erzählung von Migration und Kriminalität als zwei Seiten einer Medaille zu etablieren. Zudem gebe es bei der DNA-Analyse und auch bei der Telefonüberwachung verfassungsrechtliche Bedenken. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zeuge von einem reaktionären Prozessverständnis.
Grüne warnen vor Gruppendiskriminierung
Canan Bayram (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, Gesetzesvorhaben müssten auf gesicherten und empirischen Erkenntnissen beruhen, um rechtsstaatlichen Anforderungen zu genügen. Das gelte insbesondere für einen so sensiblen Bereich wie das Strafrecht. Der von der Koalition vorgelegte Entwurf genüge diesen Anforderungen nicht. Innerhalb einer Woche solle der Entwurf beraten und beschlossen werden. Es gebe aber keine Begründung für eine solche Eilbedürftigkeit.
Bei der sogenannten Modernisierung des Strafverfahrens handele es sich in Wahrheit um einen in der Verkürzung von Beschuldigten- und Verteidigerrechten zum Ausdruck kommenden Generalverdacht der Prozesssabotage und der Prozessverschleppung gegenüber den Strafverteidigern. Belege dafür gebe es genauso wenig wie eine Untersuchung der Wirkung der Strafprozessrechtsänderungen von 2017. Als gravierenden Tabubruch bezeichnete Bayram die Ausweitung der forensischen DNA-Analyse. An die Gefahr rassistischer Gruppendiskriminierung scheine die Bundesregierung überhaupt nicht gedacht zu haben.
SPD: Opfer von Sexualdelikten besser schützen
Dr. Eva Högl (SPD) verwies ebenfalls auf den Pakt für den Rechtsstaat zwischen Bund und Ländern. Dessen dritte Säule seien effektive und moderne Verfahren in allen Bereichen mit dem Ziel, das Vertrauen in den Rechtsstaat zu stärken, die Opfer zu schützen und die Strafverfahren zu beschleunigen. An die Opposition gewandt sagte sie, das Vorhaben ziele weder auf einen kurzen Prozess, noch zeuge es von einem reaktionären Verständnis, sondern sei eine moderne Weiterentwicklung der Strafprozessordnung. Von den zwölf Punkten des Vorhabens betonte Högl die Stärkung und den besseren Schutz der Opfer von Sexualdelikten.
Mit der Bündelung der Nebenklage sollten die Verfahren vereinfacht, aber nicht die Rechte von Nebenklägern beeinträchtigt werden. Högl rechtfertigte die zügige Beratung des Entwurfs. Das Vorhaben werde schon seit langem diskutiert und die Vorlage liege schon lange auf dem Tisch.
Eckpunktepapier der Bundesregierung
In ihren Eckpunkten zur Modernisierung des Strafverfahrens schreibt die Bundesregierung unter anderem, mit einer Bündelung der Nebenklagevertretung solle zum einen die wirksame und nachhaltige Wahrnehmung der Opferinteressen in der Hauptverhandlung ermöglicht werden. Zum anderen sollen Verfahrensverzögerungen vermieden und die „Waffengleichheit“ als konstituierendes Element einer fairen Verfahrensführung sichergestellt werden.
Vorgesehen ist auch, die Möglichkeiten, Hauptverhandlungen durch – statistisch gesehen – in aller Regel unbegründete Befangenheitsanträge zu blockieren, zu verringern. Um missbräuchlich gestellte Beweisanträge leichter ablehnen zu können, sollten nach Auffassung der Bundesregierung die Voraussetzungen für die Annahme der Verschleppungsabsicht abgesenkt werden. Mit dem Ziel der Bekämpfung des Einbruchsdiebstahls sollte laut der Unterrichtung bei Verdacht insbesondere eines serienmäßig begangenen Einbruchdiebstahls in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung soll den Ermittlungsbehörden die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation ermöglicht werden (TKÜ-Befugnis).
Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD
CDU/CSU und SPD wollen das gerichtliche Strafverfahren beschleunigen und verbessern. So sollen missbräuchlich gestellte Befangenheits- und Beweisanträge unter erleichterten Voraussetzungen abgelehnt werden können. Durch die Einführung eines Vorabentscheidungsverfahrens für den Besetzungseinwand soll zeitnah Rechtssicherheit über die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts geschaffen werden. Die Nebenklagevertretung soll durch die Bestellung oder Beiordnung eines gemeinschaftlichen Nebenklagevertreters gebündelt werden können. Auch sollen künftig gesetzlicher Mutterschutz und Elternzeit Gründe dafür sein, die Fristen für die Unterbrechung der Hauptverhandlung bis zu einer Dauer von zwei Monaten zu hemmen. Schließlich soll in Gerichtsverhandlungen das Verbot eingeführt werden, das Gesicht ganz oder teilweise zu verdecken.
Zur Verfolgung des Wohnungseinbruchdiebstahls soll die Telekommunikationsüberwachung erweitert werden. Auch sollen die Möglichkeiten der DNA-Analyse im Strafverfahren noch weitreichender genutzt werden können. Schließlich soll eine Eilkompetenz der Führungsaufsichtsstellen zur Übermittlung personenbezogener Daten an die Polizeibehörden geschaffen und eine umfassende Informationsweitergabe im Rahmen von „Runden Tischen“ ermöglicht werden. Darüber hinaus wollen die Koalitionsfraktionen den Opferschutz im Strafverfahren weiter stärken. Der Entwurf sieht vor, die audiovisuelle Aufzeichnung von richterlichen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren von zur Tatzeit erwachsenen Opfern von Sexualstraftaten verpflichtend vorzuschreiben.
Um Vollzugsdefizite zu beseitigen, soll die derzeitige Sollvorschrift des Paragrafen 58a Absatz 1 Satz 2 der Strafprozessordnung (StPO) als Mussvorschrift für die Fälle gefasst werden, in denen Opfer von Sexualstraftaten richterlich vernommen werden. Ferner soll der Anspruch des Nebenklägers auf privilegierte Bestellung eines Rechtsbeistandes insbesondere auf Fälle der Vergewaltigung ausgedehnt werden. Mit der Einführung eines bundesweit geltenden Gerichtsdolmetschergesetzes sollen die derzeit in den Ländern unterschiedlich ausgestalteten Standards für die Beeidigung von Gerichtsdolmetschern vereinheitlicht werden. Sowohl die persönlichen als auch die fachlichen Voraussetzungen eines Gerichtsdolmetschers sollen dabei festgelegt werden.
Antrag der FDP
Die FDP will die Bundesregierung auffordern, einen Gesetzentwurf zur Reform der Strafprozessordnung vorzulegen. Damit sollen Strafprozesse effektiver, schneller, moderner und praxistauglicher gestaltet werden, heißt es im Antrag der Fraktion. Die Arbeitsweise an den Gerichten entspreche an manchen Stellen nicht mehr den Erfordernissen eines modernen, effektiven Strafverfahrens. Gerade die Möglichkeiten der Digitalisierung könnten sowohl die Qualität des Strafprozesses verbessern als auch zu seiner Beschleunigung beitragen.
Der Antrag enthält eine Vielzahl von Eckpunkten zu den Themen Gerichte, Verteidiger, Staatsanwaltschaft, Nebenklage, Beweismittel und konventionsfreundliche Ausgestaltung der Strafprozessordnung, an denen sich der Gesetzentwurf orientieren soll. (mwo/hau/vom/07.11.2019)