Oppositionsvorlagen zu Hartz IV-Reformen erstmals debattiert
Der Bundestag hat am Donnerstag, 14. November 2019, erstmalig über einen gemeinsamen Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke mit dem Titel „soziale Garantien ohne Sanktionen“ (19/15078) beraten. Mitberaten wurde erstmalig auch ein Antrag der FDP-Fraktion mit dem Titel „Liberales Bürgergeld einführen – Einstiegs- und Ausstiegsdynamik im Arbeitsmarkt verbessern – Hartz IV reformieren“ (19/15040). Beide Vorlagen wurden im Anschluss zur Weiterberatung in den federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen.
Grüne: Soziale Grundrechte stehen allen Menschen zu
Zu Beginn der Debatte sagte Sven Lehmann (Bündnis 90/Die Grünen), das Bundesverfassungsgericht habe die Sanktionspraxis bei Hartz IV in Teilen für verfassungswidrig erklärt. Es gelte nun die Frage zu klären, ob es überhaupt Bedingungen für ein Mindestmaß an sozialer Absicherung geben sollte und ob diese Bedingungen durch Sanktionen erzwungen werden könnten.
„Wir finden: Nein, diese Sanktionen sollte es nicht geben. Soziale Grundrechte stehen allen Menschen zu und dürfen nicht unterschritten werden“, sagte Lehmann. Soziale Sicherung bedeute Teilhabe und die Möglichkeit, in Würde leben zu können. Das zu garantieren sei eine politische Aufgabe. Vertrauen und Sicherheit mache die Menschen stark, so dass sie ihre Talente entfalten könnten, sagte der Grünenabgeordnete. „Sanktionen unter dem Existenzminimum passen aber nicht dazu“, betonte er.
CDU/CSU: Vollständiger Verzicht wäre fatal
Während Linke und Grüne ständig davon redeten, die Sanktionen würden gegen die Menschenwürde verstoßen, habe nun das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass genau das nicht der Fall sei, entgegnete Prof. Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU). Sanktionen seien laut Urteil legitim und bei unter 30 Prozent auch unproblematisch. „Das Unterschreiten des sozio-kulturellen Existenzminimums um 30 Prozent ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden“, sagte Zimmer.
Weitergehende Sanktionen habe das Gericht nicht etwa deshalb verworfen, weil damit die Würde des Menschen beeinträchtigt wäre, „sondern ausschließlich deshalb, weil nicht ausreichend nachgewiesen sei, dass diese Sanktionen zweckmäßig sind“. Ein vollständiger Verzicht auf Sanktionen wäre aus Sicht Zimmers fatal. Es brauche sanktionsbewehrte Mitwirkungspflichten. „Die Grundidee der Solidarität wird in Frage gestellt, wenn sie nicht mehr ein Rettungsnetz sondern eine soziale Hängematte ist“, befand der Unionsabgeordnete.
AfD: Sanktionen haben auch positive Effekte
Norbert Kleinwächter (AfD) sagte, Linke und Grüne wollten, dass Hartz-IV-Empfängern nichts passiert, „wenn sie Termine schwänzen, keinen Bock auf Arbeit haben und auf Steuerzahlerknete ausschlafen“. Die Blöden seien die 92 Prozent sanktionsfreien Leistungsbezieher und vor allem jene, die morgens aufstehen und dies alles finanzieren würden, sagte er.
Bevor aber Müßiggang zur Staatsräson erklärt werde, sollten Linke und Grüne das Bundesverfassungsgerichtsurteil genauer lesen. Das Gericht erlaube Sanktionen, sagte der AfD-Abgeordnete. Diese hätten auch „erwiesenermaßen positive Arbeitsmarkteffekte“.
SPD: Sanktionen sind kein Selbstzweck
Das Bundesverfassungsgericht habe ein „weises, weil differenziertes Urteil“ gefällt, sagte Kerstin Tack (SPD). Weder finde sich darin die Aussage, dass Sanktionen weg müssten. Noch könne man daraus lesen, dass „alles so bleiben kann, wie es ist, nur ein bisschen weniger hart“. Daher könnten die ideologischen Überzeugungen auch mit dem Urteil nicht begründet werden, sagte Tack.
Aus Sicht der SPD-Abgeordneten sagt das Urteil aus, der Gesetzgeber müsse definieren, wie es künftig gelingen kann, „dass wir das Verhältnis der Fallmanager in den Jobcentern hin zu einer vertrauensvollen, bedarfsgerechten und passgenauen Unterstützung besser hinbekommen“. Sanktionen seien möglich, stellten aber keinen Selbstzweck dar. Es gehe um Vermittlung in Arbeit, wozu jeder seinen angemessenen Beitrag leisten müsse, sagte sie.
FDP fordert Reform der Zuverdienstgrenzen
„Hartz IV muss reformiert werden“, forderte Pascal Kober (FDP). Dabei gehe es aber nicht um die Abschaffung der Sanktionen. Ziel müsse es sein, Hartz IV motivierender und fairer auszugestalten. Selbstverständlich, so Kober, dürfe die Gesellschaft erwarten, dass Langzeitarbeitslose Termine wahrnehmen und Jobangebote ausprobieren. „Wir trauen den Menschen zu, dass sie arbeiten wollen und auch können“, sagte der FDP-Abgeordnete.
Um die Menschen nicht zu demotivieren, müssten die Zuverdienstgrenzen aber reformiert werden, damit sie mehr vom selbstverdienten Geld behalten könnten, forderte er. Wichtig sei auch eine Entbürokratisierung in den Jobcentern. Damit die Mitarbeiter sich intensiver um die Arbeitslosen kümmern können, sollten Aufstocker künftig von den Arbeitsagenturen betreut werden, regte Kober an.
Linke: Sanktionen komplett abschaffen
Die Forderung: „Weg mit den Hartz-IV-Sanktionen“ werde von immer mehr Menschen mitgetragen, sagte Katja Kipping (Die Linke). Nun habe auch das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass die jetzige Praxis der Hartz-IV-Sanktionen unvereinbar mit der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip sei, „soweit die Minderung mehr als 30 Prozent umfasst, soweit sie eine besondere Härte darstellt und soweit sie eine starre Dauer von drei Monaten hat“.
Zwar sei ihr bewusst, dass derartige Urteile unterschiedlich interpretiert würden, machte Kipping deutlich. Wie man aber daraus eine Bestätigung der bisherigen Sanktionspraxis herauslesen könne, sei unverständlich. „Das Urteil ist keine Verpflichtung zur kompletten Sanktionsfreiheit“, räumte die Linken-Abgeordnete ein. Es sei aber auch kein Verbot, da ein Gestaltungsspielraum dem Gesetzgeber zugebilligt werde. „Wir können uns sehr wohl für die komplette Abschaffung der Sanktionen aussprechen“, betonte sie.
Antrag der Linken und der Grünen
Die Linke und die Grünen fordern die Bundesregierung in ihrem gemeinsamen Antrag (19/15078) auf, die Sanktionspraxis im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und die Leistungseinschränkungen im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu beenden. Sanktionen wie Leistungseinschränkungen sollten gestrichen, ein Unterschreiten des menschenwürdigen Existenzminimums solle gesetzlich ausgeschlossen werden, schreiben die Fraktionen.
Die Jobcenter seien mit Personal und Mitteln zur Eingliederung und für die Verwaltung auszustatten und das Fallmanagement in den Jobcentern sei zu verbessern. Arbeitsuchende sollten passgenaue Hilfen und garantierte Angebote zur Qualifizierung und Weiterbildung erhalten, die individuell auf sie zugeschnitten sind, sowie ein Wunsch- und Wahlrecht hinsichtlich der Maßnahmen und der Gestaltung des Integrationsprozesses. Das Ziel einer stärker personenzentrierten und passgenauen Betreuung von Leistungsbeziehenden in den Jobcentern wollen die Fraktionen im SGB II verankern.
Antrag der FDP
Die FDP fordert in ihrem Antrag Verbesserungen der Zuverdienstregelungen. Anstelle eines Transferentzugs der Sozialleistung sollen sich die Hinzuverdienstgrenzen nach der sogenannten effektiven Grenzbelastung, also der Kombination aus Transferentzug der Sozialleistung und der Belastung durch Steuer- und Beitragszahlungen, richten. Die effektive Grenzbelastung solle auf das Bruttogehalt angewandt werden. Der bisher geltende Freibetrag für die ersten 100 € solle bleiben, bis zu 100 € würde die effektive Grenzbelastung null Prozent, zwischen 100 € und 400 € 80 Prozent, zwischen 400 € und 700 € 70 Prozent und ab 700 € nur noch 60 Prozent betragen.
Die FDP will auch das zu verschonende Vermögen anpassen. Es solle deutlich erhöht werden. Das speziell zur Altersvorsorge vorgesehene Schonvermögen will die Fraktion ausweiten. Die selbst genutzte Immobilie will sie aus der Anrechnung ebenso herausnehmen wie das für die Erwerbstätigkeit benötigte Kraftfahrzeug. (hau/sas/vom/14.11.2019)