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Regenwald und Rebellen: Ab­ge­ord­ne­te in Pe­ru und Ko­lum­bien

Fünf Frauen und drei Männer stehen nebeneinander in einem holzgetäfelten Saal auf rotem Teppichboden.

Im Plenarsaal des Nationalkongresses von Peru: von links Natacha Sánchez (Dolmetscherin), Abgeordnete Simone Barrientos (Die Linke), Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU), Botschafter Stefan Herzberg, Abgeordnete Dr. Bettina Hoffmann (Bündnis 90/Die Grünen), Monika Hein (Bundestagsverwaltung), Abgeordneter Erwin Rüddel (CDU/CSU), Cecilia Rodríguez (Deutsche Botschaft Lima) (© Deutsche Botschaft Lima)

Um die Fort- und Rückschritte beim Friedensprozess in Kolumbien sowie bei der Rettung des Regenwaldes in Peru und um den Ausbau der bilateralen Beziehungen ging es bei einer Delegationsreise von Bundestagsabgeordneten der Parlamentariergruppe Anden-Staaten in diese beiden Länder vom 15. bis 24. Juli 2019.

Mittlerweile steckt Peru mitten in einer schweren Verfassungskrise, ausgelöst durch den Streit um die Besetzung eines Richterpostens, durch Korruptionsvorwürfe sowie die wechselseitige Auflösung beziehungsweise Absetzung von Parlament und Präsident. Im Sommer aber konnten sich die Peruaner und ihre deutschen Gäste noch um einen der größten Schätze des Landes und zugleich der Welt kümmern: den tropischen Regenwald. Nach den verheerenden Bränden in Brasilien ist die Bedrohung des Amazonas-Regenwaldes wieder verstärkt in den Blick der Öffentlichkeit geraten.

Peru schützt seine Wälder und das globale Klima

Wie Peru, das nach Brasilien über die zweitgrößte zusammenhängende Fläche des Regenwaldes verfügt, mit seinem Waldbestand umgeht, darüber informierten sich die deutschen Abgeordneten beim Treffen mit peruanischen Abgeordneten sowie im Gespräch mit Regierungs- und Behördenvertretern in der peruanischen Hauptstadt Lima und bei einem Abstecher nach Pucallpa im Amazonasgebiet.

„Wir haben bei unseren Gastgebern intensiv dafür geworben, den Weg der nachhaltigen Bewirtschaftung der Tropenwälder und der Einrichtung großer Schutzgebiete konsequent fortzusetzen und auf diese Weise den Regenwald als globale Klimaressource zu bewahren“, berichtet Delegationsleiter Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU), stellvertretender Vorsitzender der Parlamentariergruppe Anden-Staaten, und fügt hinzu: „Der Schutz und die nachhaltige forstwirtschaftliche Nutzung des Regenwaldes funktioniert in Peru in Teilen recht gut. Das Land ist bereit, seinen lokalen Beitrag zum globalen Klimaschutz zu leisten.“

Ein gutes Viertel der Waldgebiete Perus stehe unter besonderem Schutz. Das Land habe eine nationale Strategie für Schutzgebiete sowie für die kontrollierte wirtschaftliche Nutzung der dafür vorgesehenen Bereiche entwickelt. Die riesigen Flächen zu überwachen, sie vor illegaler Abholzung zu schützen, sei eine sehr anspruchsvolle logistische und finanzielle Aufgabe, bei der Peru auf internationale Hilfe angewiesen sei und diese auch von vielen Seiten bekomme.

Deutscher Einsatz für den Regenwald stößt auf Anerkennung

Dass Deutschland sich, im Rahmen einer solchen Delegationsreise, aber auch generell, für den Erhalt des Amazonas-Regenwaldes als Naturerbe der Menschheit sowie für ein Handelsverbot von Tropenhölzern beziehungsweise für den Handel mit zertifiziertem Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft stark macht, das betrachteten die Peruaner keinesfalls als Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten oder postkoloniale Attitüde, so Luczak.

Im Gegenteil, der Einsatz der Deutschen für den Regenwald stoße in Peru auf Anerkennung. „Unsere peruanischen Gesprächspartner haben zum Ausdruck gebracht, dass sie dasselbe Ziel verfolgen wie wir, und dass lokale wirtschaftliche, gesellschaftliche Erwägungen und globaler Klimaschutz keinesfalls im Widerspruch zueinander stehen müssen.“

GIZ arbeitet mit der INRENA zusammen

Die Verantwortlichen in Lima zeigten sich nicht nur offen für einen nachhaltigen Umgang mit den Wäldern, sondern hätten mittlerweile auch Zahl und Fläche der Schutzbereiche ausgeweitet und die nachhaltige Forstwirtschaft verbessert, berichtet Luczak. Die Appelle zum Umwelt- und Klimaschutz und auch die technischen und finanziellen Hilfen seitens der Deutschen würden als ernsthafte Anliegen und wertvolle Unterstützung wahrgenommen.

Konkrete Hilfe von deutscher Seite leiste wie an so vielen Orten der Welt die bundeseigene Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die in Peru mit der dortigen Schutzgebietsbehörde für den tropischen Regenwald (INRENA, El Instituto Nacional de Recursos Naturale) zusammenarbeitet, fachliche Beratung anbietet und technische Unterstützung leistet.

Zahlreiche Schutzzonen eingerichtet

Der fortschreitenden Zerstörung des Waldes, beispielsweise durch illegale Brandrodung, um landwirtschaftliche Flächen zu gewinnen, sei die peruanische Regierung mit der Einrichtung zahlreicher Schutzzonen begegnet. Mittlerweile gibt es 76 Nationalparks, Reservate und Schutzgebiete, darunter so bekannte Gebiete wie das Santuario Histórico de Machu Picchu oder die Unesco-Weltnaturerbestätte Reserva de la Biosfera del Manu. Anfang 2018 wurde zudem das 8.700 Quadratkilometer große Regenwaldgebiet Yaguas zum Nationalpark erklärt.

Über alle Landschaftstypen und Klimazonen hinweg, handele es sich um ein einzigartiges, komplexes Ökosystem mit einer unglaublichen Vielfalt an Lebewesen und Pflanzenarten – kurzum, um eine Schatztruhe der Menschheit, deren Bedeutung weit über die Funktion als globaler CO2-Speicher hinausreiche und die auf diese Weise der unkontrollierten Ausbeutung entzogen und bewahrt werden soll.

Tropenholz aus nachhaltiger Forstwirtschaft

Wie bestimmte Teile des Waldes dennoch für eine wirtschaftliche Nutzung geöffnet werden können, auch dieser Aufgabe hätten sich die Peruaner gestellt, so Luczak. Peru bietet in begrenzter Menge Tropenholz aus nachhaltiger Forstwirtschaft an. Schonend werden bei dieser Methode dem Wald einzelne Bäume entnommen, ausgewählt nach einem genau festgelegten Katalog von Holzarten, nach Alter und Größe der Pflanzen. Die entnommenen Hölzer werden mit einer Herkunftsmarkierung zertifiziert, also für den weiteren Handel unverwechselbar als Produkt aus nachhaltiger Forstwirtschaft kenntlich gemacht.

Die nachhaltige Forstwirtschaft sei ein Ansatz, der Ökonomie und Ökologie in Einklang bringt, ist Luczak überzeugt. In den ausgewiesenen Gebieten werde lediglich einmal alle 40 Jahre Holz geschlagen, danach bekomme der Wald Zeit, sich zu regenerieren. Die Konzessionen zum Holzschlagen würden an geprüfte, vertrauenswürdige Firmen vergeben. Um den Schutz für die Wälder lückenlos zu machen, liege noch ein großes Stück Arbeit vor allen Beteiligten, aber ein Anfang sei gemacht.

„Verantwortliche vor Ort unterstützen und ermutigen“

Es gehe jetzt darum, die Verantwortlichen vor Ort zu unterstützen und zu ermutigen. Auch, um ein solches Signal zu senden, seien die Parlamentarier dort gewesen. „Bei unseren Gesprächen mit den Verantwortlichen vor Ort haben wir unterstrichen, dass wir es ernst meinen mit dem Schutz der Regenwälder, sowie, dass sich die wirtschaftlichen und ökologischen Ziele miteinander vereinbaren lassen, und wir Europäer den internationalen Handel mit Tropenhölzern begrenzen wollen und lediglich Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft nachfragen – wenn überhaupt.“

Dass die zunehmende Umweltgesetzgebung zum Schutz des Regenwaldes nicht nur eine Umorientierung für die lokale Wirtschaft bedeutet, sondern auch zu Konflikten mit den Ureinwohnern im Einzugsgebiet des Amazonas führt, die über die Entwicklung ihres Lebensraumes mitbestimmen wollen – auch dieses Thema wollten die deutschen Abgeordneten in Peru besprechen.

„Indigene Bevölkerung einbeziehen“

Würden neue Flächen zum Nationalpark erklärt, würden deren ursprüngliche Bewohner regelmäßig mit den neuen Regeln konfrontiert und vor vollendete Tatsachen gestellt: Demnach dürfen natürliche Ressourcen aus einem Nationalpark nicht außerhalb des Parks vermarktet werden. Jagd und Fischerei sind nur zum eigenen Lebensunterhalt erlaubt, Holz darf nur für den Bau des eigenen Hauses geschlagen werden. Dagegen haben sich auch in den letzten Monaten wieder einige Indigenen-Gemeinschaften rund um das Yaguas-Gebiet gewandt.

Deutschland unterstützt Länder wie Peru bei der Integration seiner indigenen Bevölkerungsteile. Die Delegation traf sich daher im Sommer mit Angehörigen dieser in Peru relativ breiten und gut integrierten Gruppe und besuchte die Indigenengemeinschaft San Francisco de Yarinacocha mit etwa 2.000 Einwohnern, nicht zuletzt, um ihnen zu signalisieren, dass man sie als Teil der peruanischen Gesellschaft wahrnehme und es als selbstverständlich erachte, sie auch bei dem Thema Klimaschutz und Schutz der Wälder, die zu dem angestammten Lebensraum dieser Menschen gehörten, einzubeziehen, unterstreicht Luczak.

„Bessere Perspektiven durch Zugang zu Bildung“

Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit engagiere sich Deutschland, um diesen Menschen durch den Zugang zu Bildung bessere Perspektiven zu geben, erläutert der Delegationhsleiter. Die beauftragten Bildungsträger vermittelten Schlüsselqualifikationen und allgemeine internationale Themen, ausgehend von der Kultur und den kulturellen Gewohnheiten und Techniken der Peruaner. Zu den klassischen Hilfen vor Ort gehöre auch der Schulbau.

Im Vergleich zu anderen Ureinwohner-Kulturen seien die indigenen Einwohner Perus zwar bereits sehr internationalisiert und keineswegs abgeschottet vom Rest der Welt. Noch immer aber stünden auch in Peru die Bewahrung von traditionellem Brauchtum mit den Erfordernissen der modernen Welt im Konflikt.

Deutschland und Südamerika

Luczak ruft die bereits lange Tradition des deutschen Engagements für den südamerikanischen Kontinent insgesamt in Erinnerung. Da sei man thematisch und regional sehr breit aufgestellt, von der Entwicklungszusammenarbeit über die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen mit beträchtlichen privaten Investitionen bis hin zu den Handelsbeziehungen im Rahmen der Europäischen Union, die erst kürzlich durch das EU-Mercosur-Abkommen auf eine neue Stufe gehoben worden seien.

Mit dem 30-Millionen-Einwohner-Land Peru arbeite man zudem über die bilateralen und innenpolitischen Themen hinaus im multilateralen Rahmen sowohl auf regionaler als auch auf globaler Ebene sehr intensiv zusammen, etwa in der 14 Länder umfassenden Lima-Gruppe, die sich mit der Staatskrise in Venezuela befasst und in der Peru federführend ist, oder im Sicherheitsrat der Verdienten Nationen, dem der Anden-Staat in den Jahren 2018 und 2019, wie ein Jahr später auch Deutschland, als nichtständiges Mitglied angehörte.

Kolumbien mit vielen Problemen

Im Nachbarland Kolumbien, zweite Station der Delegationsreise, interessierte die Deutschen vor allem, wie es um den 2016 zwischen der Regierung und der Guerillabewegung FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia, Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) begonnenen Friedensprozess sowie um die Bekämpfung des illegalen Drogenanbaus steht – das Land ist einer der größten Produzenten von Kokain. Aber auch der Zustrom von über einer Million Bürgerkriegsflüchtlinge aus Venezuela war Thema der Gespräche.

Seit 1964 tobte in Kolumbien ein blutiger Guerillakrieg der von der kolumbianischen Regierung und vielen anderen Ländern als terroristische Organisation eingestuften FARC gegen den Staat. Die Jahrzehnte dauernden Kämpfe forderten über 200.000 Todesopfer. Dabei brachte die damals größte Guerillaorganisation Lateinamerikas weite Teile des Landes unter ihre Kontrolle und baute ein auf ihre paramilitärischen Kräfte gestütztes paralleles Staatswesen auf, das sein wirtschaftliches Überleben vor allem auf den illegalen Drogenanbau und -handel von Cannabis und Kokain stützte. 2016 einigte sich die Regierung in Bogotá mit den Rebellen auf einen Waffenstillstand. Im September 2016 unterschrieben beide Seiten einen Friedensvertrag.

Fragiler Friedensprozess

Offiziell hat sich die FARC nach dem Waffenstillstand und der Einwilligung in einen formalen Friedensprozess zurückgezogen und sich formal in eine politische Partei umgewandelt. Viele ehemalige Kämpfer haben ihre Waffen abgegeben und versuchen nun, ein bürgerliches Leben zu führen. Ende Juni 2017 bestätigten die Vereinten Nationen, dass die Entwaffnung der FARC abgeschlossen sei.

Zwar gebe es nun ein formales Abkommen, ein Friedensprozess konnte in Gang gesetzt werden, der aber zunehmend fragil erscheint. Beide Seiten werfen sich gegenseitig vor, vertragsbrüchig zu sein. Teile der FARC standen dem Abkommen außerdem von vor herein ablehnend gegenüber und wollen den bewaffneten Kampf wieder aufnehmen. Es komme hinzu, dass auch der neue Präsident Iván Duque den Friedensvertrag im Wahlkampf abgelehnt hatte und in Nachverhandlungen härtere Strafen für die Guerilleros durchsetzen wollte.

Prekäre Sicherheitslage mit hohem Eskalationspotenzial

In weiten Teilen des Landes herrsche daher eine prekäre Sicherheitslage mit hohem Eskalationspotenzial, sagt Luczak. Einerseits gebe es weiterhin viele bewaffnete Gruppen, auch ehemalige FARC-Kämpfer, im Land. Andererseits habe es der Staat bis heute nicht vermocht, das Machtvakuum zu füllen, das die Rebellen vielerorts nach ihrer Entwaffnung hinterlassen haben. Genauso bestehe das Problem des Drogenanbaus weiter fort.

Unter diesen schwierigen Bedingungen laufe nun seit knapp drei Jahren die juristische Aufarbeitung der FARC-Verbrechen. Die Kolumbianer haben zu diesem Zweck eine Übergangsjustiz geschaffen sowie eine Wahrheitskommission und eine Kommission für die Suche nach Verschwundenen. Die Regierung habe der Nachfolgeorganisation der FARC im Friedensvertrag außerdem eine politische Beteiligung im Parlament zugesagt, was in Teilen der Bevölkerung sehr kritisch betrachtet werde.

Schwierige juristische Aufarbeitung

Dabei habe man sich auf einen Kompromiss eingelassen, um dem Land seine gesellschaftliche Stabilität zurückzugeben, erläutert der Rechtspolitiker Luczak: Ehemaligen Kämpfern, die bei der Aufklärung der Verbrechen der FARC vollständig und umfassend kooperieren und so zur Wahrheitsfindung beitragen, werden moderatere Sanktionen in Aussicht gestellt als sie das Strafrecht eigentlich vorsieht. So sollten selbst schwere Kriegsverbrechen mit lediglich maximal acht Jahren bestraft werden.

Luczak erinnert daran, welches Ausmaß die Herrschaft der FARC auf ihrem Höhepunkt angenommen hatte und wie tief verwurzelt die Organisation in der gesamten Gesellschaft war. „Der Konflikt hat jede Familie in Mitleidenschaft gezogen.“ Bei ihrer Rekrutierung schöpfte die Rebellenorganisation aus der gesamten Einwohnerschaft des beherrschten Gebietes. Ihrer Gewalt habe sich de facto niemand entziehen können, sodass sich dortige Politiker entschieden hätten, bei der Aufarbeitung die Täter auch ein Stück weit als Opfer zu betrachten.

„Gesellschaftliche Integration erste Herausforderung“

Entsprechend schwierig sei die Aufarbeitung dieser Epoche, in der es eben nicht nur Täter und Opfer gebe, sondern Schattierungen, und nach der sich dieselben Menschen unter neuen Bedingungen wieder begegneten und miteinander auskommen müssten, so Luczak. Daher hätten sich die Kolumbianer entschieden, die juristische mit der gesellschaftlichen Dimension zu verknüpfen. „Die gesellschaftliche Integration ist für die Kolumbianer die erste Herausforderung.“

So müssen etwa 7.000 Kämpfer wieder in ein ziviles Leben eingegliedert werden. Wie das, in vielen kleinen Schritten, beispielsweise mit Entwicklungsprogrammen gelingen kann, das hat sich die deutsche Delegation in dem landwirtschaftlichen Themenpark Panaca angesehen, der den Kontakt zwischen Mensch und Natur fördert, für die in der Stadt lebenden Menschen gedacht ist und ein Bewusstsein für die Natur und Landwirtschaft schafft. Der Park arbeitet mit ehemaligen FARC-Guerilleros, die der Gewalt abgeschworen haben, zusammen, um deren Reintegration zu fördern. Den Abgeordneten aus Deutschland bot sich hier die Gelegenheit, im Gespräch mit Ex-Guerilleros mehr über den Konflikt und die Aussichten des Friedensprozesses herausfinden.

Ein Hotspot des Drogenanbaus

Luczak macht klar, dass es bei dem Konflikt in Kolumbien im Kern um Drogenkriminalität gehe. Das beschäftige das Land, das einer der größten Produzenten von Kokain ist, enorm. Gerade in den Landesteilen, in denen die Regierung das Gewaltmonopol des Staates noch nicht habe durchsetzen können und die Menschen kaum andere Perspektiven hätten, würden Bauern von Mafia-Clans, sowohl Verbündeten als auch Gegnern der ehemaligen FARC, weiterhin gedrängt, Koka-Pflanzen zur Drogenproduktion anzubauen.

Die Regierung in Bogotá hatte nun im Sommer beschlossen, wieder mit dem umstrittenen Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat gegen den Koka-Anbau vorzugehen, nachdem die Vorgängerregierung von Präsident Juan Manuel Santos den Einsatz von Glyphosat aus Gesundheits- und Umweltschutzgründen 2015 gestoppt hatte.

Erneut auf Konfrontationskurs

Wie sehr die Reintegration ehemaliger FARC-Kämpfer, ja der Aussöhnungsprozess der verfeindeten gesellschaftlichen Gruppen in Kolumbien insgesamt gleich von mehreren Seiten gefährdet ist, hätten die Bundestagsabgeordneten bei ihren Gesprächen vor Ort von allen Seiten erfahren, berichtet Luczak.

Nicht nur, dass es weiterhin Regionen der Unsicherheit gebe, in denen die Bauern von rivalisierenden militanten Gruppen belästigt werden und sich kaum mehr auf ihre Felder trauen, sowie den inkonsequenten Umgang mit dem Drogenanbau. Es komme hinzu, dass der neue Präsident Iván Duque den von seinem Vorgänger, dem Friedensnobelpreisträger Juan Manuel Santos, ausgehandelten Friedensvertrag mit der FARC im Wahlkampf abgelehnt hatte. Er habe zudem das Budget der Wahrheitskommission gekürzt, sodass diese ihren Aufgaben kaum noch nachkommen könne.

„Hilfe bei der Wiedereingliederung ins Zivilleben unzureichend“

Aber auch auf der anderen Seite rumore es, erzählt Luczak. Einerseits standen Teile der FARC, und das bedeute einige Hundert Kämpfer, nie hinter dem Abkommen. Andererseits seien frühere FARC-Kämpfer, die zunächst den Friedensschluss unterstützt hatten, nun von dem Vertrag abgerückt. Sie seien erneut in den Untergrund gegangen und wollten den bewaffneten Kampf wieder aufnehmen. Die Ex-Guerilleros werfen der Regierung in Bogotá vor, ihre Verpflichtungen nicht zu erfüllen. Sie prangerten an, dass die Hilfe bei der Wiedereingliederung ins Zivilleben unzureichend sei und nur schleppend vorangehe.  Zahlreiche frühere Rebellen seien außerdem, vermutlich von ehemaligen rechten Paramilitärs, getötet worden, ohne dass die Regierung dagegen etwas unternommen habe.

„Während der Delegationsreise konnten wir uns vor Ort ein eigenes, differenziertes Bild von der Lage in beiden Ländern machen, im Gespräch mit den verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Kräften“, sagt Luczak. Das sei das Wertvolle an der internationalen Arbeit der Parlamentarier: Zu wissen, was in den anderen Ländern los sei. Umgekehrt könne man die Verantwortlichen dort motivieren, trage aber auch als Vertreter Deutschlands wo nötig Kritik vor.

„Wir werden Menschenrechtsverstöße nicht dulden“

Man spreche mit Regierungsvertretern und Abgeordneten, aber auch mit Vertretern der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft sowie mit Mitarbeitern von internationalen Organisationen, die ebenfalls einen eigenen Blick auf das Geschehen vor Ort hätten. So habe sich der Gesandte der Europäischen Union sehr positiv über die Vorgehensweise der kolumbianischen Regierung geäußert, während Nichtregierungsorganisationen mit dem Kurs der Führung eher kritisch umgingen.

Die deutschen Abgeordneten hätten der kolumbianischen Regierung, die unter anderem Unterstützung seitens der EU erhält, deutlich gemacht, dass man die Menschenrechtslage in dem Land im Auge behalten werde. „Kritische Fragen reichen meist, um zu signalisieren, dass wir Menschenrechtsverstöße nicht dulden werden und dauerhaft ein wachsames Auge auf den Friedensprozess richten werden. Wer finanzielle Mittel von EU erhält, muss auch deren Werte achten“, betont Luczak.

Venezuela-Konflikt Herausforderung für alle Nachbarstaaten

Um die Kolumbianer bei in dieser kritischen Phase ihres Aussöhnungsprozeses weiterhin umfassend unterstützen zu können, müsse Deutschland wieder einen Sonderbeauftragten in das Land entsenden, betont der Berliner Unionsabgeordnete. „Wir als Parlamentariergruppe wünschen uns von der Bundesregierung eine schnelle Neubesetzung der seit einigen Monaten vakanten Position des Beauftragten der Bundesregierung für den Friedensprozess in Kolumbien.“

Als wäre das der Probleme für das kleine Land nicht genug, wurde Kolumbien in den vergangenen zwei Jahren auch noch zum Zufluchtsort für 1,2 Millionen Flüchtlinge aus dem benachbarten in einem Bürgerkrieg versinkenden Venezuela. Diese hätten die Kolumbianer jedoch als kulturell und sprachlich Verwandte ganz selbstverständlich bei sich aufgenommen. Bei der Besichtigung einer Flüchtlingsunterkunft habe die Delegation den Eindruck gewonnen, dass es dort sehr organisiert und entspannt zugeht. Von Überforderung und Aggressivität keine Spur, obwohl die hohe Zahl der Geflüchteten das Land logistisch und finanziell an den Rand des Machbaren bringe. (ll/05.11.2019)