1. Untersuchungsausschuss

LKA-Beamtin berichtet über Versäumnis im Ausschuss

Barrikaden auf dem Weihnachtsmarkt 2018 auf dem Breitscheidplatz

Der Untersuchungsausschuss befasst sich unter anderem mit dem Verdacht der Aktenmanipulation. (© picture alliance/ZUMA Press)

Eine Oberkommissarin aus dem Berliner Landeskriminalamt hat dem 1. Untersuchungsausschuss („Breitscheidplatz“) unter Vorsitz des Abgeordneten Klaus-Dieter Gröhler (CDU/CSU) über Ermittlungen gegen den späteren Attentäter Anis Amri wegen Rauschgifthandels berichtet und dabei ein Versäumnis ihrer Behörde hervorgehoben. Sie sei „aus allen Wolken gefallen“, als habe feststellen müssen, dass ein von ihr verfasster Bericht über Amris Drogenaktivitäten ohne Folgen geblieben war, sagte die Zeugin A. B. in ihrer Vernehmung am Donnerstag, 7. November 2019. Die heute 38-jährige Beamtin hatte im April 2016, als sie noch in der Ausbildung war, ihre Tätigkeit in dem für die Abwehr radikalislamischer Bestrebungen zuständigen Staatsschutz-Kommissariat 541 begonnen.

Großteil der Arbeitszeit mit dem Fall Amri verbracht

Sie habe dort ein Büro mit dem damaligen Kriminaloberkommissar L. geteilt, der ihr als „Bärenführer“ zugeordnet gewesen sei, berichtete sie. Aufgabe des „Bärenführers“ ist es, Berufsanfängern mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Gleich zu Beginn sei ihr deutlich gemacht worden, dass sie einen Großteil ihrer Arbeitszeit mit dem Fall Amri verbringen werde, den L. damals gemeinsam mit zwei weiteren Kollegen federführend betreut habe. Sie habe dabei unterstützend wirken sollen.

Während ihrer Probezeit im Kommissariat sei sie noch mit zwei weiteren Islamisten befasst gewesen, berichtete die Zeugin. Im einen Fall sei es um die Vorbereitung einer Abschiebung gegangen, im anderen um die Klärung einer Identität. Amri sei indes in jenen Monaten ihr „einziger großer Fall“ gewesen. Über die damalige Einschätzung des späteren Breitscheidplatz-Attentäters durch das Berliner LKA sagte sie: „Er war kein kleiner Fisch, sondern einer, den man schon ernst genommen hat.“ Das gehe allein schon daraus hervor, dass sie als Beamtin in der Probezeit nur unter Anleitung erfahrener Kollegen damit befasst gewesen sei. Weniger wichtige Sachverhalte habe man sie auch selbständig bearbeiten lassen.

Auswertung übersetzter Telefonate

Im wesentlichen sei sie damit beschäftigt gewesen, Übersetzungen abgehörter Telefonate Amris auszuwerten. Der Tunesier wurde überwacht, weil die Behörden in Nordrhein-Westfalen ihn nach Hinweisen auf Anschlagspläne, als islamistischen Gefährder eingestuft hatte. In Berlin entstand im Sommer 2016 allerdings den Eindruck, es nicht mit einem religiösen Fanatiker, sondern gewöhnlichen Kriminellen zu tun zu haben. Daraus ergab sich die Frage, ob sich womöglich mit einer neuen Begründung eine richterliche Genehmigung erwirken ließ, die Überwachung fortzusetzen.

In einem Gespräch mit dem zuständigen Oberstaatsanwalt habe dieser angeregt, alle Erkenntnisse über Amris Aktivitäten auf dem Drogenmarkt zusammenzufassen als Grundlage eines entsprechenden Antrages. Ihr „Bärenführer“ L. habe sie beauftragt, „mal einen kurzen Bericht“ zu schreiben, sagte die Zeugin. Er selbst wollte die zugehörige Strafanzeige verfassen. Dies sei auch geschehen, wie sie später von L. erfahren habe. Als sie den ersten Entwurf vorgelegt habe, habe es geheißen: „Na ja, er sollte schon noch ausführlicher sein.“ Sie habe schließlich einen Text von zehn Seiten abgeliefert, in dem die Rede von „banden- und gewerbsmäßigem“ Rauschgifthandel Amris war.

Weiterleitung des Berichts wurde versäumt

Sie habe diese Formulierung mit Absicht gewählt, betonte die Zeugin, weil sich sonst eine Telekommunikationsüberwachung nicht hätte begründen lassen. L. versäumte allerdings, Bericht und Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten.

Dies geschah erst nach dem Anschlag, freilich in einer Fassung, in der Amri nur noch als Kleindealer erschien. Sie habe das „schmerzhaft“ empfunden, sagte die Zeugin: „Ich war der Meinung, dass alles seinen korrekten Gang ging. Ich bin aus allen Wolken gefallen, als sich herausstellte, dass das nicht so war.“

„Verdächtige Person sollte überprüft werden“

Im weiteren Verlauf der Sitzung schilderte ein Beamter der Bundespolizei die Umstände, die im Sommer 2016 zur Festnahme Anis Amris auf dem Busbahnhof in Friedrichshafen geführt haben. Die beabsichtigte Ausreise in die Schweiz sei Amri wegen der Vorwürfe der Urkundenfälschung, des Drogenbesitzes und des illegalen Aufenthalts untersagt worden, sagte Polizeioberkommissar Volker Schotten in seiner Vernehmung. Der heute 27-jährige Zeuge ist nach eigenen Worten seit Abschluss seiner Ausbildung 2014 im „grenzpolizeilichen Bereich“ eingesetzt.

Bei Beginn seines Nachtdienstes am Abend des 29. Juli 2016, berichtete Schotten, habe er eine Mail vorgefunden mit dem Hinweis, eine „verdächtige Person“ werde möglicherweise versuchen, in einem Flixbus aus München das Land zu verlassen. Der Auftrag habe gelautet, den Mann zu überprüfen, nicht, ihn auf jeden Fall festzunehmen und an der Ausreise zu hindern. Die Abfrage der einschlägigen polizeilichen Datenbanken habe ergeben, dass es sich um einen islamistischen Gefährder handelte, gegen den damals obendrein ein Verfahren wegen Körperverletzung anhängig war. Auch Lichtbilder des Verdächtigen lagen vor.

„Wurzel zum Zähneputzen“

Der doppelstöckige Bus, in dem Amri saß, traf kurz nach Mitternacht in Friedrichshafen ein. Gemeinsam mit einem Kollegen, berichtete der Zeuge, habe er die Insassen in Augenschein genommen und einige Personalien überprüft. Beide hätten unabhängig voneinander den Gesuchten im hinteren Teil des Busoberdecks erkannt. Er habe Englisch mit den Beamten gesprochen, einen Fahrschein nach Zürich und einen italienischen Personalausweis vorgewiesen und erklärt, er wolle seine Familie in Rom besuchen.

Da schnell erkennbar gewesen sei, dass mit der Prüfziffer des Personaldokuments etwas nicht stimmte, sei Amri gebeten worden, die Beamten zur weiteren Feststellung seiner Identität auf die Wache zu begleiten. Er habe sich zunächst „kooperativ“ gezeigt und nur gebeten, dafür zu sorgen, dass der Bus solange auf ihn wartete. Beim Abtasten im Polizeirevier sei ein weiterer gefälschter Personalausweis zutage gekommen sowie ein länglicher Gegenstand, den die Beamten für verdächtig im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes hielten. Amri habe angegeben, es handele sich um eine Wurzel, die im arabischen Kulturraum zum Zähneputzen benutzt werde.

Festnahme in Friedrichshafen

Als die Beamten ihm eröffneten, dass seine Reise beendet sei, habe sich Amri nicht mehr so kooperativ verhalten. Er sei immer unruhiger geworden und habe in seiner Zelle ein ums andere Mal die Alarmklingel betätigt. Währenddessen habe der Dienstgruppenleiter der in Friedrichshafen eingesetzten Beamten von Konstanz aus Rücksprache mit der baden-württembergischen Landespolizei sowie den Landeskriminalämtern in Berlin und Nordrhein-Wesfalen gehalten. Für den Vorgesetzten sei schnell klar gewesen, dass Amri unbedingt die Ausreise zu versagen war. Diskussionen habe es zunächst aber über die Rechtsgrundlage einer solchen Maßnahme gegeben.

Der Zeuge machte allerdings geltend, dass Amri über keine gültigen Dokumente für die Einreise in die Schweiz verfügte. Daher sei es ohnehin unumgänglich gewesen, ihn am Verlassen Deutschlands zu hindern. Wenige Stunden nach seiner Festnahme wurde Amri der baden-württembergischen Polizei überstellt, die ihn zwei Tage lang in Ravensburg in Gewahrsam hielt. (wid/07.11.2019)

Liste der geladenen Zeugen

  • KOK’in A. B., LKA Berlin, (Beweisbeschluss Z-136)
  • Polizeivollzugsbeamter, Bundespolizei, (Beweisbeschluss Z-121)
  • VPF-3, LKA NRW, (Beweisbeschluss Z-103)

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