Familie

Teil­habe und Zusammen­halt für gleichwertige Lebens­verhältnisse

Eine Gruppe von Menschen verschiedenen Alters

Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und der Zusammenhalt der Gesellschaft beschäftigten den Unterausschuss im Fachgespräch. (© GettyImages/Hinterhaus Productions)

Das Engagement der Vielzahl an ehrenamtlich Tätigen und Vereinen ist eine wesentliche Voraussetzung für das Ziel, gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland zu erreichen, waren sich die Teilnehmer des öffentlichen Fachgesprächs einig, zu dem der Unterausschusses „Bürgerschaftliches Engagement am Mittwoch, 23. Oktober 2019, eingeladen hatte. Wie sich die Arbeit von Ehrenamtlichen und Vereinen erleichtern lässt und welche Vorschläge dazu der Bericht einer Facharbeitsgruppe macht, darüber diskutierten die Mitglieder des Unterausschusses mit geladenen Sachverständigen unter der Leitung des Vorsitzenden Alexander Hoffmann (CDU/CSU). Anlass der Diskussion war der Bericht „Teilhabe und Zusammenhalt der Gesellschaft“ der Facharbeitsgruppe 6 der von der Bundesregierung eingesetzten „Kommission gleichwertige Lebensverhältnisse“.

Herausforderung Bürokratieabbau

Dass Bürokratieabbau eine Herausforderung bleibt, machten mehrere Beiträge deutlich. Man müsse das Recht durchforsten, wo es das Ehrenamt behindert, sagte Uwe Lübking vom Deutschen Städte- und Gemeindebund und Ko-Vorsitzender der AG „Teilhabe und Zusammenhalt der Gesellschaft“. „Viele kleine Projekte finden sich kaum zurecht in dem Dschungel an Förderinstrumenten“ und liefen Gefahr, teure Fehler zu machen, wenn sie sich in Bereichen bewegten, wo Gemeinnützigkeitsrecht und Steuerrecht aufeinandertreffen.

Lübking wies auch auf die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten von Kommunen, Bundesländern und dem Bund hin und forderte, die Kommunen bei einer ihrer ureigensten Aufgaben, der Unterstützung des Bürgerschaftlichen Engagements und von Engagementsstrukturen,  zu stärken. Dabei dürfe man auch die Bundesländer nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Immer wenn der Bund neue Programme auflege, laufe man Gefahr, dass die Bundesländer entsprechend Kürzungen vornehmen würden. Dann habe man keinen Zuwachs an Mitteln, sondern neutralisiere sich bestenfalls.

Berücksichtigung regionaler Unterschiede

Gleichwertige Lebensverhältnisse lassen sich nicht mit gleichen Lösungen für das ganz Land herbeiführen, darin waren sich die Diskussionsteilnehmer einig. Bei der Förderung ehrenamtlicher Strukturen müsse man die regionalen Unterschiede des Landes berücksichtigen, auch die Unterschiede zwischen Stadt und Land, und entsprechend flexibel handeln und lokale Schwerpunkte setzen, sagte Petra Lotzkat, Staatsrätin bei der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) der Freien und Hansestadt Hamburg und Ko-Vorsitzende der AG „Teilhabe und Zusammenhalt der Gesellschaft“.

Es gehe darum, sich jenseits der Logik einzelner Rechtskreise und von Ressortdenken vor Ort umzuschauen, was aus der Perspektive der Menschen dort gebraucht werde, um so die Möglichkeit von Teilhabe, vor allem auch im Bereich der Bildung zu verbessern. Mehrere Referenten unterstrichen dabei die Bedeutung der frühkindlichen Bildung zentrale Voraussetzung für Chancengerechtigkeit. Ebenso wurde auf den engen Zusammenhang zwischen Engamentförderung und Demokratieförderung hingewiesen, dies seien zwei Seiten einer Medaille, sagte Lotzkat.

Grundlagen der Demokratieförderung

Dass eine der wichtigsten Aufgaben zugleich eine der anspruchsvollsten sei, darauf wies Martin Patzelt (CDU/CSU) hin, indem er die Bedeutung der frühkindlichen Erziehung für die Entwicklung und das spätere soziale Verhalten des Menschen unterstrich. In diesem Bereich würden die wichtigsten Voraussetzungen für Demokratieförderung gelegt. „Auf die ersten Beziehungen kommt es an, auf der Intimität der ersten Beziehungen ruht alles.“ Und es sei schwer, gerade für Institutionen wie die Kitas, an dieser Stelle, wo das Kind seine ersten Beziehungen aufbaue, und wo es um Grunderfahrungen und -einstellungen wie Empathie und Toleranz gehe, jenseits der Eltern als Bezugspunkt für die Kinder wirksam zu werden.  

„Freiwilliges Engagement ist der Immunstoff gegen Radikalisierung“, unterstrich Patzelt den Zusammenhang zwischen der Förderung bürgerschaftlicher ehrenamtlicher Vereinsarbeit und Demokratieförderung. Und auch andere Mitglieder des Unterausschusses wie Grigorios Aggelidis (FDP) schlossen sich dem an: „Das beste Demokratieförderprogramm ist die Stärkung des Ehrenamts.“

Förderung von „Kümmerer-Strukturen“

Prof. Dr. Matthias von Schwanenflügel, Vorsitzender der AG „Teilhabe und Zusammenhalt der Gesellschaft“, Abteilungsleiter 3 im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), verwies auf das Gute-Kita-Gesetz, das seit seit 2019 in Kraft sei. Die Bundesregierung beabsichtige das Angebot im frühkindlichen Bereich  über das Jahr 2022 bedarfsgerecht auszubauen. Dies, wie auch die Qualität der Schulen, seien wesentliche Beiträge, um das Miteinander in den Kommunen zu fördern und so das Wohn- und Lebensumfeld der Menschen zu verbessern.

Es müsse darum gehen, mit einem umfassenden Ansatz passgenaue Lösungen für jedes einzelne Wohnquartier anzubieten und alle Bevölkerungsgruppen zu erreichen. Der Bund setze daher stark darauf, sogenannte „Kümmerer-Strukturen“ zu fördern, sagte von Schwanenflügel. 

Auch der Vorsitzende des Unterausschusses, Alexander Hoffmann, verwies darauf, dass es differenzierter Instrumente bedürfe, um den unterschiedlichen regionalen und inhaltlichen Anforderungen und Startvoraussetzungen von Vereinen und Projekten gerecht zu werden. Und Dr. Karamba Diaby (SPD) warb eindringlich dafür, die Potenziale von Menschen mit Zuwanderungshintergrund im Rahmen der Engagementförderung zu heben.

Engagement im ländlichen Raum

Auf die besondere Rolle des ehrenamtlichen Engagements im ländlichen Raum wies Antje Frehse vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hin. Wer die Zukunft der Regionen stärken will, müsse sich stärker um das Miteinander kümmern. Ein aktives Vereinsleben ist ein ganz wesentlicher Standort-, Bleibe- und Rückkehrfaktor für die Menschen„, sagte Frehse. Es gehe dabei nicht darum, die häufig von der angeblich steigenden Bedeutung der Städte geprägte Debatte umzudrehen.

In der Facharbeitsgruppe sei es Konsens gewesen, dass man nicht Stadt gegen Land ausspiele, berichteten auch die anderen Sachverständigen. Vielmehr ließen sich von Erfahrungen der integrierten ländlichen Entwicklung einige Ideen in die urbanen Zentren einbringen, so Frehse.

Empfehlungen der Arbeitsgruppe

Zu den wichtigsten Empfehlungen der Arbeitsgruppe gehöre, hauptamtliche Begleitstrukturen in den Kommunen für die Ehrenamtlichen zu stärken, um durch professionelle Ansprechpartner die Vereine beispielsweise beim Umgang mit dem Zuwendungsrecht zu unterstützen. Der Umgang mit den zahlreichen Rechtsvorschriften sei für viele kleine Vereine zu anspruchsvoll.

Damit einher gehen müsse, die rechtlichen Rahmenbedingungen für das Ehrenamt zu vereinfachen. Um den Verwaltungsaufwand zu reduzieren, und beispielsweise zu vereinfachten Zuwendungsverfahren zu kommen, sei schließlich vor allem der Gesetzgeber gefordert.

Bundesstiftung ehrenamtliches Engagement

Mehrere Nachfragen hatten die Mitglieder des Unterausschusses zur geplanten Bundesstiftung für bürgerschaftlichen Engagement. Über den Gesetzentwurf des Bundeskabinetts hinaus gebe es lediglich einige sich widersprechende Gerüchte über Zeitpunkt, Sitz und Konzept der Einrichtung. Markus Priesterath vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), Referat H I 5 “Ehrenamt und Bürgerschaftliches Engagement„, erläuterte, dass der Gesetzesentwurf der Regierung, der unter Einbindung der Zivilgesellschaft entstanden sei, am Freitag, 25. Oktober, in das parlamentarische Verfahren gehe.

Grundidee der Bundesstiftung sei, damit eine zentrale Anlauf- und Servicestelle zu schaffen, an die sich jeder Verein, etwa mit Fragen zum Vereinsrecht oder zu Fragen ungewollter negativer Auswirkungen durch andere Rechtskreise wie dem Steuerrecht, richten könne. Mit der Stiftung solle etwas geschaffen werden, “was nachhaltig vor Ort wirkt„, sagte Priesterath. Die neue Einrichtung solle den Input von Vereinen aus allen Regionen und Kommunen aufgreifen und weiterverarbeiten, und nicht nur einzelne Vereine zu beraten, wie man sich in dem bestehenden Rechtsrahmen bewegt, sondern auch Handlungsstrategien für Gesetzgeber und Regierungen in Bund und Ländern verfassen.

Meinungen zur Bundesstiftung gehen auseinander

Mit der Einrichtung der Stiftung wolle man keinesfalls Doppelstrukturen schaffen, sondern vorhandene Strukturen mitnehmen, aber durchaus Impulse in die Zivilgesellschaft geben, überkommene Strukturen weiterzuentwickeln. In Deutschland gebe es Bundesländer, die bereits über gute Beratungsangebote für das ehrenamtliche Engagement verfügten wie Bayern oder Baden-Württemberg, aber auch Regionen und Kommunen, aus denen Vereine und Ehrenamtliche Expertise bei der neuen Stiftung nachfragen, unterstrich Priesterath den Bedarf für eine Bundesstiftung. 

Grigorios Aggelidis (FDP) sah dagegen den ursprünglichen Zweck der Bundesstiftung in dem aktuellen Regierungsentwurf nicht verwirklicht. Die Stiftung sollte als Interessenvertretung der Ehrenamtlichen und der Zivilgesellschaft auftreten und nicht als zusätzliche Verwaltungsebene einzelne Förderprojekte in den Kommunen fördern. 

Und Katrin Werner (Die Linke) würde die Gründung der Stiftung am liebsten verschieben. Jetzt sei ein denkbar schlechter Zeitpunkt für den Start der Stiftung, da von den ursprünglichen ambitionierten Zielen in dem aktuellen Entwurf nicht mehr viel übrig sei.

“Gleichwertige Lebensverhältnisse„

Ende September 2018 hatte die von der Bundesregierung mit Kabinettbeschluss eingesetzte Kommission “Gleichwertige Lebensverhältnisse„ die Arbeit aufgenommen. Sie sollte Handlungsempfehlungen mit Blick auf unterschiedliche regionale Entwicklungen und den demografischen Wandel in Deutschland erarbeiten. Das Thema Engagement-, Ehrenamts- und Demokratieförderung wurde dabei in der Facharbeitsgruppe 6 “Teilhabe und Zusammenhalt der Gesellschaft„ behandelt.

Die Mitglieder des Unterausschusses “Bürgerschaftliches Engagement„ hatten den Vorsitzenden der Facharbeitsgruppe, Prof. Dr. Matthias von Schwanenflügel, die Co-Vorsitzenden Petra Lotzkat und Uwe Lübking sowie Markus Priesterath vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat eingeladen, um mit ihnen die Ergebnisse der Kommissionsarbeit im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements zu erörtern. Der Bericht der Facharbeitsgruppe 6 ist in dem Bericht der Kommission “Gleichwertige Lebensverhältnisse„ mit dem Titel “Unser Plan für Deutschland – Gleichwertige Lebensverhältnisse überall – Schlussfolgerungen von Bundesminister Horst Seehofer als Vorsitzendem sowie Bundesministerin Julia Klöckner und Bundesministerin Dr. Franziska Giffey als Co-Vorsitzenden„ enthalten (siehe “Weitere Informationen„). (ll/24.10.2019)

Liste der geladenen Sachverständigen

  • Prof. Dr. Matthias von Schwanenflügel, Vorsitzender der AG “Teilhabe und Zusammenhalt der Gesellschaft„, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Abteilungsleiter 3
  • Uwe Lübking, Co-Vorsitz der AG “Teilhabe und Zusammenhalt der Gesellschaft„,
  • Deutscher Städte- und Gemeindebund (DStGB)
  • Petra Lotzkat, Co-Vorsitz der AG “Teilhabe und Zusammenhalt der Gesellschaft„, Staatsrätin bei der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI),
  • Freie und Hansestadt Hamburg
  • Markus Priesterath, Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), Referat H I 5 “Ehrenamt und Bürgerschaftliches Engagement
  • Antje Frehse, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), Leiterin des Referates 815 “Ehrenamt, Landfrauen, Landjugend„

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