Stromsperren wegen Zahlungsrückständen möglichst vermeiden, aber als allerletztes Mittel weiterhin zulassen: Darin waren sich die Sachverständigen einig bei einer Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie am Mittwoch, 15. Januar 2020. Der Sitzung unter der Leitung von Klaus Ernst (Die Linke) lagen zwei Anträge zugrunde. Die Fraktion Die Linke hat ihren Vorstoß (19/14334) überschrieben mit „Stromsperren gesetzlich verbieten“. Bündnis 90/Die Grünen (19/9958) verlangen „Stromsperren verhindern – Energieversorgung für alle garantieren“.
Die Sitzung wird am Mittwoch, 15. Januar, ab 18 Uhr zeitversetzt im Internet auf www.bundestag.de übertragen.
Beratung und Hilfsangebote
Juliane Leinitz von den Stadtwerken München riet dazu, mit der Androhung einer Stromsperre zugleich Verweise auf Beratungsstellen und Hilfsangebote zu verknüpfen. Auch sollten dabei die zu erwartenden Kosten für die Sperre sowie für die erneute Inbetriebnahme aufgeführt sein. Eine Verlängerung der Mahn- und Sperrfristen sah sie kritisch, da dies nur eine zeitliche Verlagerung und ein unnötiges Anwachsen des Schuldenbergs bedeute. Sie warnte davor, Stromsperren gesetzlich zu verbieten. Dies würde nur zur Kündigung zahlungsunfähiger Kunden führen und sie automatisch in die Grundsicherung bringen.
Robert Busch vom Bundesverband Neue Energiewirtschaft machte deutlich, dass frühzeitige Hilfen für Betroffene unter Beteiligung relevanter Akteure das Entstehen von Energieschulden begrenzen oder verhindern könnten. Darum sei eine Kooperation aller Akteure wie Jobcenter, Sozialamt, Schuldnerberatung sowie Wohlfahrtsverbände, Verbraucherzentralen und Energieversorger enorm wichtig. Die gültigen gesetzlichen Regelungen reichten aus. Die Ungleichbehandlung von Strom und Wärme in den Sicherungssystemen müsse abgeschafft werden.
Warnung vor dem „Spiraleffekt“
Dr. Paula Hahn vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft erklärte, eine Verlängerung der Mahnfristen und eine Anhebung der Schwelle von 100 Euro Zahlungsrückstand führe dazu, dass eine rechtzeitige Intervention verhindert werde und sich die Schulden zu noch höheren Summen auftürmten. Ein Verbot von Stromsperren wegen Zahlungsunfähigkeit hätte zur Folge, dass die Einnahmeverluste auf die zahlenden Verbraucher umzulegen wären. Dadurch erhöhe sich wiederum die Belastung einkommensschwacher Haushalte in der Grundversorgung, beschrieb sie einen „Spiraleffekt“. Es gehe in erster Linie um Sozialrecht, nicht um Energierecht.
Ulrich Ropertz forderte namens des Deutschen Mieterbundes die Erstattung der Stromkosten für Grundsicherungsbezieher wie bei den Heizkosten in tatsächlicher Höhe und eine Verlängerung der Mahn- und Sperrfristen. Bei drohenden Energieschulden sollten Jobcenter und Sozialämter zwingend informiert werden. Er setzte sich für die Absenkung des Grundversorgungstarifs oder die Einführung eines Sozialtarifs oder Basistarifs ein. Ein Verbot von Stromsperren leuchte ihm nicht hundertprozentig ein. Auch die Zahlungswilligkeit müsse sichergestellt werden.
Verlängerung der Mahn- und Sperrfristen
Sabine Frantzen von Rhein-Energie verwies auf die gesetzliche Pflicht von Grundversorgern, jedem Interessierten einen Zugang zu Strom zu verschaffen. Dieses „Rundum-Sorglos-Paket“ sei in einer Marktwirtschaft nur möglich, wenn die erbrachte Leistung auch entsprechend bezahlt werde. Grundversorgern sei eine Bonitätsprüfung meist nicht möglich. Auch könnten sie in den seltensten Fällen Kunden ablehnen. Deshalb müsse als Ultima Ratio eine Sperrung des Anschlusses möglich sein, wenn der Kunde seinen Vertragspflichten nicht nachkomme.
Dörte Elß von der Verbraucherzentrale Berlin sprach sich für eine Verlängerung der Mahn- und Sperrfristen aus. Vier Wochen seien vollkommen ungenügend, um Fragen wie die Begründetheit der Forderung oder eine mögliche Übernahme durch den Sozialversicherungsträger zu klären. Fatal sei es, wenn wie in Berlin mit der Mahnung gleich schon die Sperrandrohung ausgesprochen werde – dies dazu noch im Fließtext und nicht deutlich hervorgehoben. Sie setzte sich angesichts der deutlich gestiegenen Strompreise dafür ein, die derzeit geltende Schwelle von 100 Euro Zahlungsrückstand anzuheben. Insbesondere Grundversorger sollten freiwillig auf 200 Euro gehen.
Senkung des Strompreises
Dr. Thorsten Kasper vom Verbraucherzentrale Bundesverband setzte sich generell für eine Senkung des Strompreises durch eine Reform bei Steuern, Abgaben und Umlagen ein. Sinkende Einkaufspreise müssten zügig an die Kunden weitergegeben werden.
Von mehr Wettbewerb im Sonderkundensegment verspricht er sich Druck auf die Grundversorgungspreise. In der Grundversorgungsverordnung seien Maßnahmen für einen besseren Schutz vor Stromsperren zu ergreifen. Energieeffizienzmaßnahmen als nachhaltigste Kostenentlastung seien gezielt zu fördern.
Antrag der Linken
Die Linksfraktion will Stromsperren gesetzlich verbieten lassen. Die Versorgung mit Strom müsse als Grundrecht jedes Bürgers anerkannt und sichergestellt werden, erklären die Abgeordneten in ihrem Antrag (19/14334). Sie sei eine Grundvoraussetzung für ein menschenwürdiges Wohnen und die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.
Daher müsse die Bundesregierung unverzüglich einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen. Außerdem sollten durch eine Neuregelung der Stromgrundversorgungsverordnung Stromsperren durch die Energieversorger aufgrund von Zahlungsunfähigkeit von Verbrauchern gesetzlich untersagt werden.
Antrag der Grünen
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert in ihrem Antrag (19/9958), die Energieversorgung für alle zu garantieren und Stromsperren grundsätzlich zu verhindern. Energiearmut sei ein zunehmendes Problem für viele Haushalte in Deutschland, die Zahl der Stromsperren habe im Jahr 2017 bei knapp 344.000 gelegen. Für die Betroffenen seien nicht nur die alltäglichen Folgen solcher Sperren eklatant, sie würden dadurch auch in eine Schuldenspirale geraten, die das Risiko, erneut mit einer Energiesperre belegt zu werden, erhöhe.
Die Grünen verlangen deshalb unter anderem eine aus dem Regelsatz der Grundsicherung ausgelagerte Stromkostenpauschale, die sicherstellt, dass die tatsächlichen Kosten auch abgedeckt werden. Außerdem plädieren sie für präventive Beratung und eine bessere Schuldnerberatung für Menschen mit geringem Einkommen. (fla/15.01.2020)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Juliane Leinitz, Stadtwerke München GmbH (Stadtwerke München)
- Robert Busch, Bundesverband Neue Energiewirtschaft e.V. (bne)
- Dr. Paula Hahn, Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW)
- Ulrich Ropertz, Deutscher Mieterbund e. V. (Mieterbund)
- Sabine Frantzen, RheinEnergie AG (RheinEnergie)
- Dörte Elß, Verbraucherzentrale Berlin e. V. (VZ Berlin)
- Dr. Thorsten Kasper, Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (VZBV)