Fraktionen bekennen sich zum Recht auf freie Meinungsäußerung
Alle Fraktionen des Bundestages haben sich am Mittwoch, 23. Oktober 2019, klar zum Recht auf freie Meinungsäußerung bekannt. Zugleich machten sie sich aber auch gegenseitig dafür verantwortlich, dass die Meinungsfreiheit in Deutschland bedroht sei. Die FDP-Fraktion hatte verschiedene Ereignisse wie die Morddrohungen im thüringischen Landtagswahlkampf gegen Politiker wie den CDU-Spitzenkandidaten Mike Mohring, die Verhinderung einer Vorlesung des ehemaligen AfD-Vorsitzenden Prof. Dr. Bernd Lucke an der Universität Hamburg und die Buchlesung des früheren Bundesinnenministers Dr. Thomas de Maizière in Göttingen durch politische Aktivisten zum Anlass genommen, eine Aktuelle Stunde im Bundestag zum Thema „Meinungsfreiheit in Deutschland verteidigen“ auf die Tagesordnung zu heben.
FDP rügt „Bild“-Berichterstattung
Wolfgang Kubicki (FDP) mahnte, der Bundestag müsse klarstellen, dass Gewalt kein Mittel in der politischen Auseinandersetzung sein dürfe. Kein noch so gutes Motiv rechtfertige ein gewaltsames Vorgehen gegen Andersdenkende. Kubicki erinnerte daran, dass der Schutz der Menschenwürde oberstes Gebot des Grundgesetzes sei. Wer aber Bernd Lucke als „Nazi-Schwein“ beschimpfe oder eine Lesung von Thomas de Maizière verhindere, der habe nicht die Menschenwürde im Sinn, sagte Kubicki.
Die Meinungs- und auch die Pressefreiheit in Deutschland sei verfassungsrechtlich annähernd grenzenlos, dies sei auch immer wieder durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt worden. Allerdings gebe es auch Grenzen. Ausdrücklich benannte Kubicki die Berichterstattung der „Bild“-Zeitung über Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) in den vergangenen Tagen. Wer Politiker „steckbriefartig als Antisemiten bezeichnet“, demontiere die Grundlagen einer freien Gesellschaft, monierte Kubicki.
CDU/CSU verurteilt „Meinungsterror“
Die Unionsabgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker verurteilte den „Meinungsterror“ in der Gesellschaft, „der keine andere Meinung zulässt“. Mit Verweis auf die Bedrohung von Politikern und Anschläge auf deren Häuser, bekannte sie: „Das sind Ereignisse, die ich mir noch vor wenigen Jahren nicht hätte vorstellen können. Und ich weigere mich, daran zu gewöhnen.“
Betroffen seien aber nicht nur Politiker, sondern jeder Bürger, der beispielsweise im Internet seine Meinung kundtue. Auffällig sei, dass sich das linke und das rechte Lager in ihren Extremen nicht unterscheiden würden. Dies alles führe zu einer zunehmenden Polarisierung in der Gesellschaft, die die Meinungsfreiheit bedrohe.
AfD spricht von „Gesinnungstotalitarismus“
Der AfD-Parlamentarier Martin Reichardt führte die „Shell-Jugendstudie 2019“ als Beleg für mangelnde Meinungsfreiheit ins Feld. So würden zwei Drittel der Jugendlichen der Aussage zustimmen, man dürfe nichts Negatives über Ausländer sagen, ohne als Rassist zu gelten. Dies sei das Ergebnis des links-grünen „Gesinnungstotalitarismus“.
Der Unionsfraktion warf Reichardt vor, mit „diesen Kräften“ zusammen zu arbeiten. Das „linke Establishment“ in Deutschland schaue „wohlwollend“ zu, wenn Gewalt gegen Andersdenkende ausgeübt werde. Dies stehe in der Tradition des RAF-Terrors und Leuten wie dem ehemaligen Außenminister Joschka Fischer, der mit der RAF sympathisiert habe. Fischer sei heute noch eine Ikone bei den Grünen, und bei der Linksfraktion arbeite der ehemalige RAF-Terrorist Christian Klar.
SPD: Es gibt keine staatliche Einschränkung der Meinungsfreiheit
Die SPD-Abgeordnete Saskia Esken wies die Kritik der AfD zurück. Mit einer Partei, die Internet-Portale einrichte, auf denen Schüler ihre Lehrer „denunzieren“ sollen, müsse man nicht über Meinungsfreiheit reden. Esken erinnerte daran, dass es in Deutschland keine staatliche Einschränkung der Meinungsfreiheit gebe. Lediglich Volksverhetzung oder die Leugnung des Holocausts stünden unter Strafe. Diese Einschränkung der Meinungsfreiheit sei allerdings auch gesellschaftlich ein mehrheitlicher Konsens.
Meinungsfreiheit bedeute zudem nicht, dass es ein Recht darauf gebe, seine eigene Meinung widerspruchslos zu äußern, argumentierte die Sozialdemokratin. Scharf kritisierte sie die Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach, Renate Köcher. Wenn diese mit Blick auf die Umfrage ihres Instituts behaupte, in Deutschland gebe es keine Meinungsfreiheit, dann bediene sie „rechte Ressentiments“.
Grüne: Meinungsfreiheit durch Morddrohungen bedroht
In diesem Sinne argumentierte auch Dr. Manuela Rottmann (Bündnis 90/Die Grünen). Das Recht auf Meinungsfreiheit beinhalte nicht das Recht, dass die eigene Meinung unwidersprochen bleibt. Ebenso wenig gebe die Meinungsfreiheit niemandem das Recht, Drohungen gegen andere Menschen auszusprechen. Bedroht seien die demokratische Gesellschaft und Meinungsfreiheit durch Morde an Politikern oder Morddrohungen gegen Politiker.
Keine Bedrohung lege allerdings vor, wenn die Universität Hamburg dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner keinen Raum für eine Diskussionsveranstaltung mit der Liberalen Hochschulgruppe zur Verfügung stelle. Dies sei „keine Verletzung der Wissenschaftsfreiheit“, wie Lindner behauptet habe, sagte Rottmann.
Linke: Meinungsfreiheit durch AfD-Geschrei bedroht
Friedrich Straetmanns (Die Linke) sagte, das Recht auf freie Meinungsäußerung sei vor allem ein Schutzrecht gegen den Staat. Doch dies sei offenbar gar nicht das Problem. Problematisch sei allerdings mitunter die Lautstärke in der politischen Auseinandersetzung. Er rief alle Fraktionen – ausdrücklich auch die eigene – dazu auf, „etwas runterzufahren“.
Auch Vorfälle wie die Verhinderung einer Vorlesung des ehemaligen AfD-Vorsitzenden Bernd Lucke an der Universität Hamburg durch Demonstranten lehne er ab. Keinen Zweifel ließ Straetmanns aber daran, dass er die Meinungsfreiheit vor allem durch das „Geschrei und das Gepöbel“ der AfD bedroht sieht. (aw/23.10.2019)