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Experten berichten von Büro­kratie und Hemm­nissen in der Vereins­arbeit

Stapel von Aktenordnern auf einem Tisch

Bürokratie macht vielen ehrenamtlich Tätigen in den Vereinen zu schaffen. (© picture alliance / imageBROKER)

Ehrenamtliches Engagement „ist der eigentliche Kitt unserer Gesellschaft“. Dieses Statement von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier von vor zwei Jahren wurde gleich mehrfach zitiert in der öffentlichen Sitzung des Unterausschusses „Bürgerschaftliches Engagement am Mittwoch, 25. September 2019, zum Thema „Generelle Hemmnisse der Vereinsarbeit/Bürokratie“. Hemmnisse, die Millionen von Freiwilligen und Ehrenamtlichen in ihrer Arbeit bremsen. 

Zeitfressende bürokratische Monster, an sich sinnvolle Regelungen, die bezogen auf die Vereinsarbeit aber keinen Sinn machen, eine große Rechtsunsicherheit, beispielsweise darüber ob und wie neue Rechtsvorschriften anzuwenden sind. Was die Vereinsarbeit heute schwer macht, darüber haben sich die Abgeordneten in der aktuellen Sitzung unter der Leitung des Vorsitzenden Alexander Hoffmann (CDU/CSU) im Gespräch mit fünf Sachverständigen einen aktuellen Eindruck verschafft. Die Rahmenbedingungen für Vereine zu verbessern und Gesetze engagementfreundlich auszugestalten, dieser Aufgabe hat sich der Unterausschuss verschrieben.

Hoher bürokratischer Aufwand in der Kritik

„Pro Stunde Engagement gehen im Schnitt 32 Minuten für Verwaltungstätigkeiten drauf“, berichtete Bernadette Hellmann, Programm-Leiterin Bürgerstiftungen der Stiftung Aktive Bürgerschaft, aus einer bundesweiten Befragung von 410 Bürgerstiftungen im Mai. Dieser Aufwand sei definitiv zu hoch. „Das ehrenamtliche Engagement wird zu stark durch bürokratische Vorgaben belastet.“ Zur Verfolgung der eigentlichen ideellen Zwecke bleibe zu wenig Zeit. Egal, ob man den Bereich der Versicherungen, Sozialversicherungs- und Haftungsfragen, das Arbeits- oder Steuerrecht betrachte, die Datenschutzgrundverordnung, das Transparenzregister, jährlich wiederkehrende Nachweispflichten, den Umgang mit Führungszeugnissen, oder die Anforderungen der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) und die Auseinandersetzung mit Abmahnungen.

Die geladenen Sachverständigen zählten eine lange Reihe von zeit- und kraftraubenden Hemmnissen auf, die zudem eine große rechtliche Unsicherheit bei den Aktiven auslösten, und so das eigentliche Engagement bremsten. Der Gesetzgeber müsse berücksichtigen, dass von einer Regelung außer dem Hauptadressanten wie beispielsweise Unternehmen auch gemeinnützige Organisationen betroffen seien, und für diese entsprechende Ausnahmen schaffen, empfahl Hellmann. 

Rechtliche Unsicherheit als Engagementproblem

Die enorme Fülle und Komplexität an Vorschriften und die damit verbundene Unsicherheit bedrohe am Ende sogar das Vereinswesen an sich, warnte Matthias Laurisch, Referent für Bildung und Jugendpolitik der Deutschen Bläserjugend - Jugendorganisation der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände e. V. „Die Lage ist super unübersichtlich für Vereine. Da sitzen keine Verwaltungsprofis. Die müssen die Dinge aber trotzdem umsetzen.“ Die Ehrenamtlichen arbeiteten sich vorsichtig und langsam durch das „Kleingedruckte“, das lenke stark von der eigentlichen Vereinsarbeit ab, lasse die kostbare Ressource Zeit schmelzen. „Dabei fühlen wir uns dafür zuständig, die Dinge einfach zu tun“, erklärte Laurisch. Und die rechtliche Unsicherheit sei noch in einer weiteren Hinsicht ein großes Problem. Es bestehe stets die Gefahr, sich durch Fehler strafbar zu machen. „Niemand will Präzedenzfall werden. Im Zweifelsfall bleiben die Menschen dann lieber weg.“

Andreas Silbersack, Vizepräsident Breitensport und Sportentwicklung, des Deutschen Olympischen Sportbund e. V. (DOSB), der mit 27 Millionen Mitgliedern, darunter acht Millionen Ehrenamtlichen die größte Mitgliederorganisation in Deutschland vertritt, unterstrich diesen Punkt: Der Kampf um die Ehrenamtlichen werde immer größer, die Nachwuchsgewinnung sei generell schwieriger geworden. Die Sorge um die Nutzung kommunaler Ressourcen wie Sporthallen setzten dem Vereinssport bereits kräftig zu. Bürokratieaufwand und Rechtsunsicherheit machten zahlreiche Menschen dem Vereinssport abspenstig, sorgte sich Silbersack um den Erhalt des Ehrenamtes. „Dann wird alles fragiler. Dann entstehen gesellschaftliche Probleme. Dabei beneidet uns die ganze Welt um diese Strukturen, die ein extrem hohes Gut sind.“

Gemeinsam mit der Politik müsse man nun dringend Erleichterungen für die Ehrenamtlichen schaffen, mahnte Sildebrsack, und nannte als Handlungsfelder neben dem der Zeitaufwand wie er durch die neue Datenschutzgrundverordnung entstehe, und der den Ehrenamtlichen nicht mehr vermittelbar sei, ungeklärte Haftungsfragen, die den  Engagierten Angst machten, die steuerliche Behandlung der finanziellen Aufwandsentschädigung für ehrenamtliche Tätigkeit. Eine wichtige Signalwirkung an die Vereine würde das neue Jahressteuergesetz entfalten. Die Freibeträge für  Übungsleiter, aber auch für den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb müssten angehoben werden.

Alltagsprobleme in der Vereinsarbeit

Olaf Sill, Landesjugendwart Berliner Schachverband e.V., zweiter Vorsitzender des Vereins SG Borussia Lichtenberg, berichtete von den Alltagsproblemen in seinem Verein mit 60 Mitgliedern. Die Zahl schachspielender Kinder und Jugendlicher wachse seit einiger Zeit kontinuierlich. Aber eine Schach-AG an einer Schule oder ein Turnier durchzuführen, würde durch vielfältige Hürden erschwert. Räume existieren zwar, aber Dienstzeiten verhinderten Zugang und die Aufsichtsperson müsse unbedingt 18 Jahre alt sein. 

Große Rechtsunsicherheit herrsche auch im Bereich der Medien, alle hätten Angst vor Fehlern, beispielsweise, wenn es um das Fotografieren oder das Hochladen von Bildern gehe. Wolle man Symbolbilder aus dem Internet nutzen, warteten Mahnanwälte nur, copyrightbelegte Bilder zu suchen. „Die Angst regiert und bremst die Motivation der Kinder“, so Still, der sich mehr „Digitalisierung statt Papierkram“ seitens der Behörden wünschte. Auch die Idee eines verbilligten Tickets für den öffentlichen Nahverkehr sei eine gute Idee, um Ehrenamtlichen und vor allem Kindern und Jugendlichen und begleitenden Eltern die Arbeit zu erleichtern. 

Haftungsfragen als Engagementsbremse

Auch Dr. Gabriele Weitzmann, Geschäftsführerin des Bayerischen Jugendrings, wies darauf hin, wie sehr viele Regelungen die Motivation bremsten und die Angst schürten, und nannte den Umgang mit dem erweiterten Führungszeugnis. Plötzlich lägen Daten vor, die beim Verein eigentlich gar nicht zu suchen hätten. „Der Vereinsvorsitzende erfährt so möglicherweise Dinge über das halbe Dorf, die er vielleicht gar nicht wissen wollte.“ Seitens der GEMA drohten Strafen, sobald etwas in einem Formular nicht richtig ausgefüllt sei. Auch Probleme mit der Sozialversicherung gebe es. Studenten müssen sich für ehrenamtlich verbrachte Zeit als abhängige Beschäftige rechtfertigen.

Haftungsfragen seien eine weitere starke Engagementsbremse. „Viele haben Angst was falsch zu machen, straffällig zu werden.“ Ehrenamtliche in Positionen mit Verantwortung dürften nicht „mal eben was ausprobieren und auch mal Fehler machen.“ Auf die Frage, was für die Ehrenamtlichen am hinderlichsten sei, nannten die Sachverständigen am häufigsten die Rechtsunsicherheit und die bürokratische Komplexität. Und es sei kein Ende absehbar. „Es wird von Jahr zu Jahr schwieriger, die aktuelle Rechtslage für die Laien verständlich zu übersetzen“,  sagte Weitzmann. (ll/26.09.2019)

Liste der geladenen Sachverständigen

  • Olaf Sill, Landesjugendwart des Berliner Schachverbandes
  • Andreas Silbersack, Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB)
  • Matthias Laurisch, Deutsche Bläserjugend
  • Dr. Gabriele Weitzmann, Geschäftsführerin des Bayerischen Jugendrings
  • Bernadette Hellmann, „Stiftung Aktive Bürgerschaft“

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