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Rede von Sejmmarschallin Elżbieta Witek am 1. September 2019 auf dem Askanischen Platz in Berlin

Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident,

Sehr geehrte Damen und Herren,


der 1. September 1939 schien sowohl damals als auch viele Jahre später noch die Krönung einer unumkehrbaren Feindschaft zwischen Deutschland und Polen zu sein, bei dem Polen die Rolle des Besiegten, Unterdrückten und durch eine unvorstellbar grausame Besatzungszeit Gestraften zukam, einschließlich der Vernichtung des polnischen Volks, und insbesondere der Bürger jüdischer Herkunft.

Die Unmenschlichkeit, mit der Polen militärisch angegriffen wurde und die später in der Besatzungspolitik ihre Fortsetzung fand, war mit der klassischen, spontanen Grausamkeit der vorherigen Jahrhunderte nicht zu vergleichen. Der 1. September 1939 war der Vorbote einer neuen Ära – einer Ära der geplanten, wohl überlegten und gut organisierten Barbarei.

Der Polenfeldzug, dem nicht nur Soldaten, sondern auch viele Zivilisten zum Opfer fielen, die im Zuge der Bombardierungen starben oder litten, dauerte sechs Wochen lang. Danach begann der zweite, viel länger währende Teil des Dramas. Die Bürger des Staates, der, wie Hitler triumphal erklärte „zerfallen ist und weggefegt wurde“, wurden einer drastischen deutschen Besetzung unterworfen, die die Herabwürdigung und Auslöschung der Menschen im Land zum Ziel hatte. Dies wurde mit allen Methoden und an verschiedenen Orten verfolgt, insbesondere in den Ghettos und Konzentrationslagern, wobei die Vernichtung der jüdischen Bürger Polens der so genannten „endgültige Lösung der Judenfrage“ dienen sollte. Die Besatzungs- und Vernichtungspolitik kostete sechs Millionen polnische Staatsbürger das Leben.

Das Jahr 1945 brachte trotz der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands nicht den Sieg Polens, das sich trotz des riesigen Blutzolls, der an allen Fronten des Kriegs und in den deutschen und sowjetischen Folterkammern bezahlt worden war, und trotz des formalen Status als Staat aus dem siegreichen Lager in der sowjetischen Einflusszone wiederfand. Und letztendlich war es die siegreiche Sowjetunion, die ihren Satellitenstaaten vorschrieb, wer als Freund und wer als Feind zu behandeln war.

Aber dennoch ließen sich die Staaten, während sie ihre Wunden zu heilen versuchten, nicht von Überlegungen zum Krieg und zur Verantwortung des deutschen Volkes sowie von der Formulierung der Frage abhalten, was sie selbst tun können und welche Schlüsse aus diesem so schweren Erbe zu ziehen sind. In den sechziger Jahren wurden Überlegungen zu Krieg, Schuld und der gemeinsamen Zukunft im Tübinger Memorandum, im Memorandum der evangelischen Kirche und auf polnischer Seite im Brief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder geäußert. Die Reaktionen auf polnischer Seite zeigten, welch schwieriges Thema dies für die Menschen in Polen erst zwanzig Jahre nach Kriegsende war. Auch die Reaktionen der deutschen Bischöfe fielen nicht erwartungsgemäß aus. Dennoch nahm auf dieser Basis, dank dieser Initiativen, eine breite Welle der Überlegungen und Umdeutungen ihren Lauf, die die Regierungen zum Handeln drängten und gleichzeitig die Grundlage für die in beiden Fällen schwierigen Entscheidungen bildeten.

Ohne die gesellschaftliche Unterstützung sind gute und langfristige Ergebnisse jedoch nicht möglich. Die von mir erwähnten Initiativen ermöglichten den Umbruch in Form des Normalisierungsvertrags von 1970, die Unterstützung der Deutschen für die „Solidarność“ und die gemeinsamen Aktivitäten für die europäische Einheit, später dann den Sturz des Kommunismus, die Souveränität Polens und die deutsche Wiedervereinigung. Im Zuge dieses mächtigen Wandlungsprozesses in Europa haben wir in einander freundschaftlich gesinnte Nachbarn, Partner in der Europäischen Union und Verbündete in der NATO gefunden. Ein deutsch-polnisches Phänomen ist die große Annäherung, das Verständnis und die Versöhnung unserer Völker. Mit großer Dankbarkeit denke ich dabei an die gute Arbeit, die das Deutsch-Polnische Jugendwerk in den vergangenen 28 Jahren geleistet hat. Viele der Teilnehmer der Projekte sind mittlerweile erwachsen geworden und propagieren nun im Erwachsenenleben die Werte, die uns vereinigt haben. Gleichzeitig verstehen wir dank dieser Initiativen den Wert des historischen Erbes und die Pflicht zur Pflege dieses Erbes und zum Gedenken auf beiden Seiten. Das sind wohl die wichtigsten Quellen dieses Projekts, das uns an diesem Ort am 80. Jahrestag des Überfalls des nationalsozialistischen Deutschlands auf Polen hier versammelt hat. Meine Damen und Herren, dies ist ein Beweis für den Erfolg der seit vielen Jahrzehnten dauernden großen moralischen Mobilisierung der deutschen Gesellschaft mit Blick auf die deutsch-polnischen Frage – von Politikern, Vertretern der Wissenschaft, Kultur und Medien. Viele von ihnen, darunter auch die früheren Bundestagspräsidenten Rita Süssmuth und Wolfgang Thierse, haben im November 2017 einen Appell an den Bundestag und die Menschen in Deutschland gerichtet, in dem sie den Bau eines Denkmals zu Ehren der polnischen Opfer der deutschen Besatzung in den Jahren 1939-1945 anregten. Mich persönlich haben insbesondere die Worte des deutschen Außenministers Heiko Maas in Polen bei den Feierlichkeiten anlässlich des 75. Jahrestags des Warschauer Aufstands bewegt, der sagte, dies sei nicht nur eine Geste der Versöhnung gegenüber Polen, und damit nicht nur eine einseitige Geste, sondern auch eine Geste von großer Bedeutung für Deutschland selbst. Der Bau dieses Denkmals wird nämlich als Mittel gesehen, die vorhandenen Wissenslücken zu füllen und das nicht ausreichende Bewusstsein der Menschen in Deutschland zu verbessern. Das Denkmal ist eine moralische Wiedergutmachung für die Millionen von Opfern der deutschen Besatzung in Polen.

Wichtig ist auch, einen angemessenen Standort für dieses Denkmal zu finden. Einen Ort, der dazu geeignet ist, sechs Millionen Ermordeten und weiteren Millionen Verfolgten zu gedenken. Uns ist es wichtig, dass der Ort von den letzten noch lebenden Zeitzeugen und ihren Familien gut angenommen wird.

Allen Abgeordneten, Unterzeichnern und Personen, die am Bau des Denkmals und der Verbreitung von Wissen über das Leid und die Verluste der Menschen in Polen während der Kriegs- und Besatzungszeit beteiligt sind, möchte ich hiermit meinen herzlichen Dank aussprechen.