Geschichte

Vor 65 Jahren: Erste Bundesversammlung in Berlin

17. Juli 1954: Bundesversammlung in der Ostpreußenhalle am Funkturm, Berlin

Bundesversammlung am 17. Juli 1954 in der Ostpreußenhalle am Funkturm in West-Berlin (© picture-alliance/akg-images)

Vor 65 Jahren, am 17. Juli 1954, tagte die Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten zum ersten Mal in Berlin. Die Wahl des Staatsoberhauptes der Bundesrepublik fand damals, anders als heute, nicht im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes, sondern in der Ostpreußenhalle am Funkturm im damaligen West-Berlin statt. Die erste Bundesversammlung hatte am 12. September 1949 im Bundeshaus in Bonn, dem „vorläufigen Sitz der Bundesorgane“, getagt.

„Willen zur Einheit Deutschlands bekundet“

Um die Verbundenheit zu Berlin zu unterstreichen und der Verfestigung einer deutschen Teilung entgegenzuwirken, hatte sich Bundestagspräsident D. Dr. Hermann Ehlers (CDU/CSU) für eine Verlegung der Bundesversammlung nach Berlin ausgesprochen. In seiner Ansprache zur Wahl des Bundespräsidenten erläuterte er deshalb: „Das starke Drängen darauf, dass die Bundesversammlung nach Berlin einberufen werden sollte, gründete sich zweifellos auf das Wissen, dass hier die Darstellung des Willens, die Einheit aller Deutschen wiederherzustellen, am überzeugungskräftigsten möglich ist.“

Weiter führte er aus: „Wir beziehen heute in die Bekundung unseres Willens zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands nicht nur Berlin ein, sondern die weiten Gebiete, in denen die Menschen wohnen, die nicht durch ihren oder unseren Willen, sondern durch die Folgen der Politik anderer Mächte noch von uns getrennt sind. Der Deutsche Bundestag und die Regierung der Bundesrepublik haben immer wieder ihren Willen zur Einheit Deutschlands bekundet. Sie haben praktische Vorschläge zu ihrer Wiederherstellung gemacht, insbesondere auch bei den Mächten, die heute eine entscheidende Bedeutung für die Ermöglichung der Wiedervereinigung Deutschlands haben. Wir stehen mit unseren Brüdern in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands vor der erschütternden Tatsache, dass alle diese Versuche bisher zu keinem Erfolg geführt haben. Unsere Bereitschaft, jeden möglichen Weg zu beschreiten, um die Einheit der Deutschen zu gewinnen und das Recht aller Deutschen, in ihrer Heimat zu wohnen, wiederherzustellen, ist unverändert.“

Außenpolitische und rechtliche Bedenken

Politisch war die Entscheidung, die Wahl des Bundespräsidenten nach Berlin zu verlegen, aufgrund des Viermächte-Status der Stadt umstritten. Die Bundesregierung hatte außenpolitische und rechtliche Bedenken geltend gemacht. Bundeskanzler Konrad Adenauer hielt es angesichts der politischen Lage für glücklicher, die Wahl weiterhin in Bonn abzuhalten.

Innerhalb der Regierung gab es aber auch Zustimmung für den Tagungsort Berlin. Der Bundesminister für besondere Aufgaben Dr. Robert Tillmanns (CDU) sprach sich in der Kabinettssitzung am 5. Mai 1954 für eine einheitliche Stellungnahme der Koalitionsfraktionen aus, stellte bei allen Vorbehalten aber fest, dass sich diese Maßnahme in der Sowjetzone politisch sehr günstig auswirken würde. Auch der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen Jakob Kaiser (CDU) hielt diese Geste für nötig, um den Berlinern neuen Glauben und neue Kraft in ihrem Kampf zu geben.

Westalliierte nicht begeistert

Von alliierter Seite hatte vor allem Frankreich Bedenken gegen eine Wahl des Verfassungsorgans in Berlin geäußert und sich dagegen ausgesprochen. Auch Großbritannien und die USA waren nicht begeistert, da sie hierin eine mögliche Provokation gegenüber der Sowjetunion sahen, erklärten sich aber bereit, dem Tagungsort Berlin zuzustimmen. Nach Ansicht der Sowjetunion und der DDR widersprach die Wahl des Bundespräsidenten in Berlin dem besonderen Status West-Berlins.

Trotz der Bedenken, auch aus Teilen seiner eigenen Fraktion, gab Bundestagspräsident  Hermann Ehlers am 15. Juni bekannt, dass er zur Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten für den 17. Juli nach Berlin einlädt. Nach Artikel 54 Absatz 4 des Grundgesetzes wird die Bundesversammlung vom Präsidenten des Bundestages einberufen. Ein Tagungsort ist nicht festgelegt.

Theodor Heuss in Berlin wiedergewählt 

In gleichlautenden Anträgen hatten auch die FDP (Drucksache 2/492) und die SPD (Drucksache 2/577) gefordert: „Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesversammlung (Art. 54 GG) tritt am 16. Juli in Berlin zusammen.“ Die Deutsche Partei hatte sogar gefordert, den Sitz des Bundespräsidenten nach Berlin zu verlegen (Drucksache 2/586).

In Berlin wurde Dr. Theodor Heuss (FDP) von der zweiten Bundesversammlung mit großer Mehrheit erneut zum Bundespräsidenten gewählt. Im ersten Wahlgang erhielt er 871 von 987 abgegebenen Stimmen, das bis heute höchste Ergebnis, das je ein Kandidat erzielte. Bereits in seiner Rede anlässlich seiner Vereidigung am 12. September 1949 vor dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat hatte er die Bindungen Berlins an die Bundesrepublik Deutschland betont: „Berlin ist heute an das Schicksal Westdeutschlands gebunden; aber das Schicksal von Gesamtdeutschland bleibt an Berlin gebunden. Dessen müssen wir uns bewusst bleiben.“

Spannungen im Kräftespiel der Weltpolitik

Angesichts der vorangegangenen Diskussion zur Einberufung der zweiten Bundesversammlung nach Berlin stellte er klar: „Es gab — Sie wissen es alle — Vorerörterungen über die technische Möglichkeit und sachliche Zweckmäßigkeit, Sie hierher zu berufen. Wir sind hier, um das, was politischer Wille und geistiges Bedürfnis fordern, im Symbolhaften darzutun: im Symbolhaften, im geschichtlich Begründeten und im seelisch immer Gesicherten, nicht im rational Taktischen.“

Und weiter: „Die Bundesversammlung ist in einem Zeitpunkt zusammengetreten, da die Spannungen im Kräftespiel der Weltpolitik die sorgende Phantasie von uns allen bewegen. Aber dies ist uns allen deutlich: auch unser Schicksal hängt davon ab, was immer in diesem Ringen um Frieden und Friedensformen mit entschieden wird.“

Sowjetische Kampfflugzeuge über der Stadt

Noch drei weitere Mal, zuletzt für den 5. März 1969, berief Ehlers' Nachfolger als Bundestagspräsident, D. Dr. Eugen Gerstenmaier, die Bundesversammlung nach Berlin ein. 1959 und 1964 wurde Dr. h. c. Heinrich Lübke (CDU) am gleichen Ort ins höchste Amt der Bundesrepublik Deutschland gewählt. 1969 spitzte sich die politische Lage jedoch zu. Die Sowjetunion protestierte scharf gegen die „grobe Provokation“. Gemeinsam mit der DDR bereitete sie Militärmanöver vor. Die Transitautobahn wurde zeitweilig gesperrt. Am Tag der Bundesversammlung, dem 5. März 1969, flogen sowjetische Kampfflugzeuge über Berlin. Die fünfte Bundesversammlung konnte trotzdem stattfinden, und Dr. Dr. Gustav W. Heinemann (SPD) wurde zum dritten Bundespräsidenten gewählt.

Mit dem Viermächte-Abkommen über Berlin vom 3. September 1971 änderte sich die Situation. Zwar einigten sich die Alliierten auf die Anerkennung des Staus quo, die Einberufung der Bundesversammlung nach Berlin war danach jedoch nicht mehr möglich. Dazu heißt es in Anlage II des Abkommens: „Der Bundespräsident, die Bundesregierung, die Bundesversammlung, der Bundesrat und der Bundestag, einschließlich ihrer Ausschüsse und Fraktionen, sowie sonstige staatliche Organe der Bundesrepublik Deutschland werden in den Westsektoren Berlins keine Verfassungs- oder Amtsakte vornehmen.“

Wahl Roman Herzogs wieder in Berlin

Von 1974 bis 1989 tagte die Bundesversammlung daraufhin wieder in der provisorischen Bundeshauptstadt Bonn in der Beethovenhalle. Erst nach der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 fanden Bundesversammlungen wieder in der inzwischen gesamtdeutschen Hauptstadt Berlin statt. Im Reichstagsgebäude wählte die Bundesversammlung am 23. Mai 1994 Prof. Dr. Roman Herzog (CDU) zum siebenten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland.

Heute ist Schloss Bellevue im Berliner Tiergarten der erste Amtssitz des Bundespräsidenten. Weiterer Amtssitz ist die Villa Hammerschmidt in Bonn, die bis 1994 Hauptsitz des Bundespräsidenten war. (klz/10.07.2019)