Mit einem äußerst komplexen und sensiblen Thema hat sich der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz unter Leitung von Stephan Brandner (AfD) in einer öffentlichen Anhörung am Mittwoch, 8. Mai 2019, befasst. Geladen waren neun Sachverständige aus den Bereichen Medizin, Rechtswissenschaft und Justiz, die zum Entwurf der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD für ein Gesetz zur Stärkung der Rechte von Betroffenen bei Fixierungen im Rahmen von Freiheitsentziehungen (19/8939) Stellung nahmen und die Fragen der Abgeordneten beantworteten.
Mit dem Entwurf soll einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen werden. Die Vorgaben begründen der Vorlage zufolge auch im Bereich des Straf- und Maßregelvollzugs, der Zivilhaft sowie im Bereich des Vollzugs der Untersuchungshaft und der einstweiligen Unterbringung die Notwendigkeit, Rechtsgrundlagen für Fixierungen, Regelungen zur sachlichen und örtlichen gerichtlichen Zuständigkeit für freiheitsentziehende Fixierungsanordnungen, zum anzuwendenden gerichtlichen Verfahrensrecht und zur Kostenerhebung zu schaffen. Auch Fälle der freiheitsentziehenden Fixierung von Personen, die nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker erfolgen, sollen bundeseinheitlich geregelt werden.
„Handwerkliche Schwächen“
Die Sachverständigen begrüßten die schnelle Umsetzung des Urteils durch den Gesetzgeber, äußerten sich gleichwohl kritisch sowohl zu inhaltlichen Punkten wie auch zu handwerklichen Schwächen, die der Entwurf aus ihrer Sicht aufweist. So bemängelte der Strafrechtler Alexander Baur von der Universität Hamburg, dass der Richtervorbehalt effektiver gestaltet werden müsse. Auch die vorgesehene geteilte gerichtliche Zuständigkeit werde nicht näher begründet. Die Belastung der Gerichte werde zunehmen.
Baur sprach sich für eine schnelle Evaluation des Gesetzes aus, da der vorliegende Entwurf vielfach auf einer wackeligen Tatsachengrundlage stehe. So lasse sich derzeit noch nicht einmal sagen, wie viele Fixierungen pro Jahr es bundeseinheitlich gebe. Generell gebe es zu wenig Problembewusstsein.
„Richtervorbehalt nachbesserungswürdig“
Auch der Strafrechtler Heinz Kammeier und die Rechtsanwältin Jenny Lederer vom Deutschen Anwaltverein halten den Richtervorbehalt für nachbesserungswürdig. Kammeier sprach von einen Phantom, Lederer hält ihn für bedenklich.
Beide Experten warnten vor einer Aushöhlung des Richtervorbehalts, da dieser auf andere Personen ohne erforderliche Qualifizierung abgewälzt werden könne. Die Anordnungsbefugnis sei sehr problematisch, fügte Lederer hinzu. Kammeier sagte, der Entwurf entspreche zum Teil nicht verfassungsrechtlichen Anforderungen.
„Gerichtliche Zuständigkeit bündeln“
Mehrere Sachverständige sprachen sich dafür aus, die gerichtliche Zuständigkeit bei den Amtsgerichten zu bündeln. Die Justiz müsse in der Lage sein, den effektiven Rechtsschutz bei Fixierungen in den Einrichtungen vor Ort zu gewährleisten, sagte Marc Petit, Richter am Landgericht Lübeck. Das klappe seiner Erfahrung nach mit dem Amtsgerichten am besten. Gleichwohl gebe es praktische Probleme bezüglich Ausstattung und Personal.
Auch Dr. Ragnar Schneider, Richter am Amtsgericht München, sprach sich für ein einheitliches Verfahren mit nur einem Spruchkörper aus. Einen nächtlichen richterlichen Bereitschaftsdienst muss es seinen Erfahrungen nach aber nicht geben.
„Probleme in der Praxis“
Nicht klar genug formuliert ist den Sachverständigen zufolge auch die Frage, ob sich die Voraussetzungen einer Fixierung im Strafvollzug der Sache nach nicht grundlegend von denen in einer Fixierung in der landesrechtlichen Unterbringung oder auch im Vollzug der strafrechtlichen Behandlungsmaßregeln unterscheiden. Nicht eindeutig ist Petit zufolge auch die Definition der Fixierungen. Dies bringe Probleme in der Praxis mit sich.
Auch der Vizepräsident des DBH-Fachverbandes für Soziale Arbeit, Strafrecht und Kriminalpolitik, Johannes Sandmann, mahnte Verbesserungen bei Formulierungen des Entwurfs an.
Verfassungsrechtliche Bedenken
Peter Fölsch, stellvertretender Direktor des Amtsgerichts Bad Segeberg, begrüßte im Namen des Deutschen Richterbunds die geplanten Regelungen. Diese müssten aber mit dem systematischen Gesamtgefüge der bereits existierenden rechtlichen Grundlagen in Einklang stehen. Auch der Richterbund hat verfassungsrechtliche Bedenken zu verschiedenen Regelungsvorschlägen, weil sie laut Fölsch die besondere Schwere des Eingriffs durch eine Fixierung und die hiermit verbundenen Gesundheitsgefahren nicht ausreichend berücksichtigen.
So könne es nicht richtig sein, erklärte Fölsch, dass für ein Hauptsacheverfahren die Anforderungen an eine Sachverhaltsaufklärung abgesenkt werden und die Einholung eines ärztlichen Zeugnisses – statt eines Gutachtens – ausreichen soll. Auch müssten Qualifikationen für den behördlich beteiligten und den gerichtlich bestellten Arzt gesetzgeberisch festgelegt werden müssen.
„Fixierung ist eine Ultima Ratio“
Die Ärzte Dr. Christian Koßmann und Dr. Dyrk Zedlick gaben den Abgeordneten Einblicke in ihre Arbeit in psychiatrischen Kliniken. Zedlick bedauerte, dass der Entwurf nicht widerspiegele, dass es sich wie vom Bundesverfassungsgericht betont bei einer Fixierung um eine Ultima Ratio handele. Dies müsse betont werden, denn zunächst müssten andere Methoden der Ruhigstellung zur Anwendung kommen. Wichtig für die Umsetzung sei auch ausreichendes Personal.
Koßmann betonte die Notwendigkeit der Gewährleistung einer Eins-zu-eins-Betreuung. Mehr Personal bedeute weniger Fixierungen. Eine richterliche Genehmigung, wenn die Fixierungsdauer eine halbe Stunde überschreitet, mag gerechtfertigt sein, sagte Koßmann. Die Dauer von 30 Minuten ist seines Erachtens allerdings zu kurz, manchmal dauere es länger, bis sich die Situation und der Patient beruhigt hat. 60 Minuten wären sinnvoller, sagte er.
Zedlick sagte, auch wenn das Bundesverfassungsgericht nur die 5- und 7-Punkt-Fixierung betrachtet, sei es für den Betroffenen egal, ob er 2-, 3-, 4- oder 5- oder 7-Punkt fixiert ist. Jede Fixierung sei eine Freiheitsentziehung und bedürfe des Richtervorbehalts. Dieser Sachverhalt werde im Entwurf nicht ausreichend gewürdigt. Auch die Regelungen zur jederzeitigen ärztlichen Überwachung und deren Zielsetzung seien nicht ausreichend konkret.
Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD
Mit dem Gesetzentwurf wollen die Koalitionsfraktionen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umsetzen, die mit Urteil vom 24. Juli 2018 (Aktenzeichen: 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16) für Fixierungen in der gerichtlich angeordneten Ordnungs-, Sicherungs-, Zwangs- und Erzwingungshaft (Zivilhaft) festgelegt worden waren. Für freiheitsentziehende Fixierungsanordnungen in der Strafhaft, dem Maßregelvollzug, der Untersuchungshaft, der vorläufigen Unterbringung und im Jugendarrest soll ein richterliches Verfahrensrecht geschaffen werden.
Wie es in dem Entwurf weiter heißt, hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil festgestellt, dass die Fixierung einen Eingriff in das Grundrecht auf die Person darstellt. Sowohl bei einer 5-Punkt- als auch bei einer 7-Punkt-Fixierung von nicht nur kurzfristiger Dauer handele es sich um eine Freiheitsentziehung im Sinne des Artikels 104 Absatz 2 des Grundgesetzes, die von der zugrundeliegenden Entscheidung über die Freiheitsentziehung als solcher nicht gedeckt sei und daher den Richtervorbehalt abermals auslöse.
Daher sei im Bereich des Straf- und Maßregelvollzugs sowie im Bereich des Vollzugs der Untersuchungshaft und der einstweiligen Unterbringung eine Rechtsgrundlage für freiheitsentziehende Fixierungen zu schaffen, die den Richtervorbehalt vorsieht. Hierzu seien die Länder aufgerufen. Der Anwendungsbereich der bundesgesetzlichen Ermächtigung beschränke sich auf die nach der Föderalismusreform im Jahr 2006 weiterhin in die Kompetenz des Bundes fallenden Gefangenen der Zivilhaft. (mwo/08.05.2019)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Prof. Dr. Alexander Baur, M.A./B.Sc., Universität Hamburg, Juniorprofessur für Strafrecht, Institut für Kriminalwissenschaften
- Peter Fölsch, Deutscher Richterbund e. V., Berlin, stellvertretender Direktor des Amtsgerichts Bad Segeberg
- Dr. jur. Heinz Kammeier, Münster
- Dr. Christian Koßmann, LWL-Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Prävention
- Dr. Jenny Lederer, Deutscher Anwaltverein e. V., Mitglied des Ausschusses Strafrecht, Rechtsanwältin, Essen
- Marc Petit, Richter am Landgericht Lübeck
- Johannes Sandmann, Vizepräsident des DBH e. V., Fachverband für Soziale Arbeit, Strafrecht und Kriminalpolitik, Köln
- Dr. Ragnar Schneider, Richter am Amtsgericht, München
- Dr. Dyrk Zedlick, Rudolf Virchow Klinikum Glauchau, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik,
Akademisches Lehrkrankenhaus des Universitätsklinikums Jena, Chefarzt