Parlament

Andreas Nick: Russ­land sollte möglichst Mit­glied des Europa­rates bleiben

Andreas Nick (CDU/CSU) leitete die Delegation des Bundestages zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg

(© DBT/Melde)

„Russland sollte nach Möglichkeit Mitglied des Europarates mit allen Rechten und Pflichten bleiben“, sagt Dr. Andreas Nick (CDU/CSU), Delegationsleiter der deutschen Abgeordneten nach der Frühjahrstagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 8. bis 12. April 2019 in Straßburg. „Menschenrechtsorganisationen, die in Russland aktiv sind, fordern uns auf, die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für 140 Millionen Bürger der Russischen Föderation aufrechtzuerhalten“, betont der CDU-Abgeordnete im Interview. Das Interview im Wortlaut:


Herr Dr. Nick, inwieweit ist es der Parlamentarischen Versammlung während der zurückliegenden Sitzungswoche gelungen, die institutionelle Krise des Europarates entschärfen?

Der mit Zweidrittelmehrheit verabschiedete Bericht von Tiny Kox (niederländischer Abgeordneter in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats; die Redaktion) schafft eine wichtige Grundlage, die drohende institutionelle Krise zwischen den beiden Organen des Europarates zu überwinden. Damit haben wir die Chance, vor der entscheidenden Sitzung des Ministerkomitees Mitte Mai in Helsinki mit einer möglichst breit getragenen Position der Parlamentarischen Versammlung diese Diskussion zu beeinflussen. Zwei Punkte sind hierbei besonders wichtig: Zum einen muss es uns gemeinsam darum gehen, einen neuen effektiveren Sanktionsmechanismus zu etablieren. Zum anderen muss es darum gehen, auch die zukünftige Finanzierung des Europarats sicherzustellen.

Sie haben in Ihrem Redebeitrag vor dem Plenum von einem „deutlich wirksameren Sanktionsmechanismus“ gegen Mitglieder, die sich regelwidrig verhalten, und einem „robusteren Instrumentarium“ gesprochen. Wie werden diese neuen Instrumente und Verfahren aussehen?

Wenn Mitgliedstaaten in gravierender Weise gegen unsere Regeln verstoßen, müssen wir wirkungsvoll und in Übereinstimmung mit unseren Statuten reagieren können. Manche behaupten nun, dadurch würde unsere Parlamentarische Versammlung geschwächt – aber das Gegenteil ist richtig. Unser Anspruch ist es, zusammen mit dem Ministerkomitee – also unter Einbindung der Mitgliedstaaten – einen deutlich wirksameren Sanktionsmechanismus für die Zukunft zu schaffen. Wir wollen also dem Europarat als Institution zum Schutz der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der pluralistischen Demokratie ein deutlich robusteres Instrumentarium für die Zukunft an die Hand geben. Die genaue Ausgestaltung ist jetzt Gegenstand des weiteren Dialogs mit dem Ministerkomitee.

Wie will der Europarat den Spagat schaffen, einerseits Mitglieder zu sanktionieren, die sich regelwidrig verhalten, und andererseits solche Mitglieder nicht auf die Idee zu bringen, ihre Mitgliedsbeiträge nicht zu zahlen oder gar die Organisation zu verlassen?

Wir müssen die künftige Finanzierung des Europarats auf eine nachhaltigere Basis stellen, insbesondere auch in einer Weise, die uns künftig weniger verwundbar macht, wenn einzelne Mitgliedstaaten aus politischen Motiven Beiträge reduzieren oder zurückbehalten. Zunächst appelliere ich sehr stark, dass wir in der aktuellen Situation nicht als Getriebene über möglicherweise einschneidende Kürzungen sprechen, die den Europarat und seinen Auftrag deutlich schwächen könnten.

Wie wichtig ist Russland für den Europarat?

Die grundsätzliche Position der deutschen Delegation zur illegalen Annexion der Krim und zum militärischen Konflikt in der Donbass-Region ist absolut klar und bleibt unverändert. Ich habe persönlich als Berichterstatter die unmissverständliche Position der Versammlung im Januar 2019 zur Krise in der Straße von Kertsch und dem Asowschen Meer formuliert. Diese Entschließung wurde auch von der ukrainischen Regierung und Delegation weitgehend begrüßt. Die deutsche Delegation unterstützt auf der anderen Seite auch die Bemühungen der finnischen Präsidentschaft des Ministerkomitees, die drohende institutionelle Krise zwischen den Organen des Europarates zu überwinden. Dabei ist die deutsche Position, die von der Regierung und der Delegation gleichermaßen geteilt wird, dass Russland nach Möglichkeit Mitglied des Europarates „mit allen Rechten und Pflichten“ bleiben sollte. Menschenrechtsorganisationen, die in Russland aktiv sind, fordern uns auf, die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für 140 Millionen Bürger der Russischen Föderation aufrechtzuerhalten.

Wie kann die Finanzierung des Europarats trotz ausbleibender Beitragszahlungen sichergestellt werden?

Wir vertreten hier ja als Abgeordnete unsere nationalen Parlamente, die auch Haushaltsgesetzgeber sind. Wir als Abgeordnete sollten daher die Initiative ergreifen, um gemeinsam einen Weg zu finden, möglicherweise ausbleibende Beitragszahlungen einzelner Mitgliedstaaten auszugleichen. In der Haushaltsdebatte des Bundestages habe ich dazu erklärt, dass wir uns mit der Finanzierung des Europarates gegebenenfalls noch einmal grundsätzlich werden befassen müssen. Als deutsche Delegation haben wir bei unserem Bundestagspräsidenten angeregt, die Frage der Finanzierung des Europarates auch zum Thema der Konferenz der Parlamentspräsidenten im Oktober hier in Straßburg zu machen.

Welche Themen müssen die Parlamentarier im Europarat jenseits der institutionellen Fragen aus deutscher Sicht jetzt anpacken?

Der Europarat steht – ebenso wie die Europäische Union – vor neuen Herausforderungen, die er aus seiner Geschichte eigentlich nicht kennt. Wir blicken zurück auf eine Erfolgsgeschichte der Unterstützung junger Demokratien bei der Heranführung an die Standards von Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und pluralistischer Demokratie. Gegenwärtig haben wir es aber vermehrt mit Mitgliedstaaten zu tun, die sich nicht mehr in diese Richtung bewegen wollen, sondern im Hinblick auf diese Standards einen anderen Weg einschlagen. Dafür muss der Europarat – ebenso wie die EU – ein geeignetes Instrumentarium schaffen und auch konsequent anwenden.

Wie handlungsfähig ist der Europarat denn noch in seinem Kernbereich der Menschenrechte in Mitgliedsländern, deren Regierungen sich den Grundsätzen des Clubs verweigern und die Organisation lahmlegen wollen?

Im Rahmen einer engeren Abstimmung zwischen dem Ministerkomitee und der Parlamentarischen Versammlung kann die Schaffung eines effektiven und glaubwürdigen gemeinsamen Monitoring-Verfahrens des Europarates in Bezug auf die Einhaltung aller eingegangenen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten erreicht werden. Dabei sind der Zugang der Institutionen zu den Mitgliedstaaten sowie die Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Grundvoraussetzungen für die Mitgliedschaft im Europarat. Es bleibt daher vorrangiges Ziel, den Europarat für die Zukunft noch handlungsfähiger zu machen und ihm Instrumentarien an die Hand zu geben, die es ermöglichen, seinen zentralen Auftrag – Schutz der Menschenrechte, der pluralistischen Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit in Europa – weiterhin konsequent wahrzunehmen.

(ll/12.04.2019)