Wie der Mangel an Wohnraum beseitigt werden kann
Der Bundestag hat sich in einer interfraktionell vereinbarten erweiterten Aktuellen Stunde am Mittwoch, 10. April 2019, mit den Entwicklungen im Bereich Wohnen, Mieten und Bauen beschäftigt. Die zunächst vorgesehenen weiteren Aktuellen Stunden zu diesem Thema am Donnerstag, 11. April, und Freitag, 12. April, sind damit entfallen. Dafür konnte jede Fraktion in der Aktuellen Stunde am Mittwoch einen zusätzlichen Redner mit einer Redezeit von fünf Minuten aufbieten, sodass sich die Dauer der Aktuellen Stunde auf 90 Minuten verlängerte. Zusätzlich ausgeweitet wurde die Sitzung durch einen Antrag der FDP-Fraktion auf ein Herbeirufen von Bauminister Horst Seehofer (CSU), der per Hammelsprung negativ entschieden wurde. Der Minister zeigte sich nach dem Hammelsprung gleichwohl in der Sitzung.
Justizministerium: Die soziale Frage der Zeit
Einig waren sich die Redner lediglich darin, dass die Demonstrationen in mehreren Städten am Wochenende zuvor ernst zu nehmen seien. Bei den daraus zu ziehenden Schlüssen unterschieden sie sich deutlich. Die Parlamentarische Staatssekretärin der Justiz und für Verbraucherschutz, Rita Hagl-Kehl (SPD), eröffnete die Debatte mit den Worten, bezahlbares Wohnen sei noch nicht seit allzu Langem „die“ soziale Frage der Zeit. Hätte man die Mietpreisbremse von vornherein schärfer gestellt, würde sie besser greifen, fügte sie hinzu und verwies auf die Bedeutung von Maßnahmen gegen soziale Verdrängung: Sozialer Zusammenhalt setze Räume für Begegnung voraus.
Hagl-Kehl führte ergriffene und geplante Maßnahmen der Bundesregierung im Mietenbereich an, unter anderem eine Verlängerung der Mietpreisbremse und ein Bestellerprinzip auch bei Immobilienkauf (analog zur Regelung bei Vermietungen). Letzteres könne dazu beitragen, dass sich junge Menschen möglichst frühzeitig für Wohneigentum entscheiden.
Bauministerium: Situation in Deutschland sehr unterschiedlich
Marco Wanderwitz, Parlamentarischer Staatssekretär im Bauministerium, ergänzte für den Bereich Bauen ebenfalls eingeleitete, beschlossene und geplante Vorhaben der Bundesregierung – etwa das Baukindergeld, mehr Attraktivität für die Wohnbauprämie, Maßnahmen für mehr Bauland. Das Wohngeld solle regelmäßig angepasst werden, ob man das dann Dynamisierung nenne, sei innerhalb der Bundesregierung noch nicht entschieden.
Wanderwitz erinnerte außerdem daran, dass sich die Situation in Deutschland stark unterschiedlich gestalte: Neben der angespannten Situation in Ballungsräumen gebe es Regionen, die mit Abwanderung umgehen müssten. Auch die angestrebte Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse sei somit eine Antwort auf Mietpreissteigerungen.
Koalition: Enteignung ist keine Antwort
Ebenso wie Kai Wegner (CDU/CSU) kritisierte Wanderwitz zudem scharf die Anwesenheit von Berlins Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) bei einer Mieten-Demonstration am Wochenende.
Bernhard Daldrup (SPD) sagte, Enteignung sei keine Antwort auf die derzeitige Situation, die allerdings so nicht weitergehen könne: Eigentum verpflichte auch. Daldrup plädierte für einen „New Housing Deal“ mit dem Ziel einer Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum. Öffentliche und private Akteure müssten dabei zusammenwirken.
AfD: Zustrom wirkt sich auf Mietpreise aus
Tino Chrupalla (AfD) verwies auf Fehler in der Vergangenheit – etwa den Verkauf von kommunalen Wohnungsbeständen in den Jahren nach 2000, beispielsweise in Dresden oder in Berlin. Der Zustrom auf Städte wirke sich auf Mietpreise aus. Die Zeche müssten Steuerzahler zahlen, so Chrupalla.
Nicht zuletzt erforderten die zahlreich nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge massiven Neubau. Der Abgeordnete forderte unter anderem Maßnahmen gegen „asoziale Immobilienspekulanten“ und die Rückführung nicht anerkannter Flüchtlinge, um zu Lösungen in der Wohnungsfrage zu kommen.
FDP: Enteignung schafft keine neue Wohnung
Für die FDP-Fraktion ergriff zunächst Christian Lindner das Wort. Die Situation zeigt nach seiner Ansicht, dass die Märkte sehr gut funktionieren. Eine hohe Nachfrage treffe auf knappes Angebot. Nur mehr Bauen könne die Situation ausgleichen; Enteignung hingegen schaffe keine einzige neue Wohnung. Letztere Maßnahme führe nur dazu, dass der Mangel anders verwaltet werde.
Lindner plädierte dafür, die Energiekosten unter Kontrolle zu bekommen – man müsse auch über die Warmmiete sprechen. Zudem gelte es, in Landesentwicklungsplänen Siedlungsflächen vorzuhalten, Bauland auszuweisen, nachzuverdichten, aufzustocken. Gerade in Berlin gebe es Fälle, in denen zugunsten von Parks auf Bauland verzichtet werde. Die Milliardensummen, die für den Bau neuer Wohnungen notwendig seien, könnten nur von Privaten kommen, sagte Lindner und warnte davor, diese abzuschrecken.
Linke: Nicht dem Gesetz der Spekulanten beugen
Dr. Dietmar Bartsch (Die Linke) sprach von der Angst der Menschen, ihre Wohnung zu verlieren. Die derzeitige Situation zeige, dass der Markt nicht alles regele. Er warf anderen Parteien vor, dafür gesorgt zu haben, dass die Verantwortung für sozialen Wohnungsbau an die Länder übergegangen ist. Die Linke sei dagegen gewesen. Nun würden die Menschen nur noch den Ausweg Enteignung sehen – auch wenn so keine einzige neue Wohnung entstehen würde.
Niemand habe etwas gegen Bauen oder gegen mehr Bauland. Nur gehe es um bezahlbaren Wohnraum, nicht ums Spekulieren. Enteignen würde nach seinen Worten den Haushalt des Landes Berlin überhaupt nicht belasten, wenn man es rechtlich vernünftig organisiere. Wohnen bleibe ein Menschenrecht, man solle sich nicht dem Gesetz der Spekulanten beugen, sagte Bartsch.
Grüne: Enteignung als allerletztes Mittel
Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen) schließlich wünschte sich eine Diskussion in der Sache anstatt ideologischer Kämpfe. Enteignung müsse es als allerletztes Mittel geben und stehe im Grundgesetz, bekräftigte sie. Es sei auch möglich gewesen, dass Menschen zwangsumgesiedelt werden, für Straßenbauprojekte enteignet oder Banken verstaatlicht werden. Mit Enteignung aus Zeiten des Sozialismus habe das nichts zu tun. Göring-Eckardt kritisierte zugleich die Maßnahmen der Bundesregierung wie das Baukindergeld. Es löse reine Mitnahmeeffekte aus, Großinvestoren profitierten, das Geld fehle an anderer Stelle. Ihr Fraktionskollege Christian Kühn warf vor allem der Union vor, wirksame politische Vorhaben in dem Bereich zu blockieren.
Ursprünglich hatte die FDP-Fraktion für Mittwoch, 10. April, eine Aktuelle Stunde zum Thema „Keine Enteignung – Wohnraummangel durch Neubau lösen“ beantragt. Die Linke hatte für Donnerstag, 11. April, eine Aktuelle Stunde mit dem Titel „Proteste gegen die Mietenpolitik der Bundesregierung“ verlangt. Am Freitag, 12. April, wollten Bündnis 90/Die Grünen in einer Aktuellen Stunde über das Thema „Notwendige Maßnahmen ergreifen, um bezahlbares Wohnen zu ermöglichen“ debattieren. (pez/vom/10.04.2019)