Geschichte

Vor 175 Jahren: Paulskirche verabschiedet Verfassung des Deutschen Reiches

Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche, Holzstich

Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche (Holzstich) (© picture alliance/imageBROKER)

Vor 175 Jahren, am 27. März 1849, verabschiedete die Frankfurter Nationalversammlung in der Paulskirche zu Frankfurt am Main die „Verfassung des Deutschen Reiches“. Nachdem diese verabschiedet worden war, wurde sie von der Nationalversammlung einen Tag später, am 28. März, verkündet.

Der Verabschiedung waren zehn Monate der Beratung unter lebhafter öffentlicher Beteiligung der Bevölkerung vorausgegangen. Am 18. Mai 1848 waren die gewählten Vertreter der deutschen konstituierenden Nationalversammlung zunächst im Kaisersaal des Frankfurter Römers zusammengekommen, bevor sie sich feierlich an ihren Tagungsort, die Frankfurter Paulskirche, begaben. Bereits eine Woche nach ihrer Konstituierung begann die Nationalversammlung ihre Arbeit mit der ihr dringlichsten Aufgabe und setzte am 24. Mai mit großer Mehrheit einen Verfassungsausschuss ein.

Persönliche und politische Freiheitsrechte

Am 3. Juli begannen mit der ersten Lesung des Ausschussentwurfs die Beratungen der Grundrechte. Die zweite Lesung der Grundrechte folgte am 19. und 20. Dezember.

Nach zwei Lesungen beschlossen die Parlamentarier am 21. Dezember 1848 mit der Verabschiedung des Einführungsgesetzes den Grundrechtskatalog, der als Kernelemente die Gleichheit aller vor dem Gesetz, die Aufhebung aller Standesvorrechte, die Gewährleistung persönlicher und politischer Freiheitsrechte (wie Meinungs-, Presse-, Religions-, Versammlungs- und Gewerbefreiheit, Vereinsrecht, Freizügigkeit und so weiter) sowie die Abschaffung der Todesstrafe enthielt.

Kostenlose öffentliche Bildung

Auch die Unverletzlichkeit des Eigentums, die Freiheit der Person, das Briefgeheimnis, die Freiheit von Wissenschaft und Lehre und das Petitionsrecht gehörten neben weiteren Rechten dazu.

Von besonderer Bedeutung war für die Abgeordneten auch der Zugang zu einer öffentlichen kostenlosen Bildung der Staatsbürger. So sieht Paragraf 155 eine allgemeine Schulpflicht und die Schaffung genügend öffentlicher Schulen vor. Auch sollen Lehrer als Staatsdiener beschäftigt werden.

Bundesstaatliche Reichsverfassung

Im Anschluss an die Grundrechte beriet die Nationalversammlung die weiteren Bestimmungen der Reichsverfassung. Es folgten die Abschnitte über Reich und Reichsgewalt, das Reichsgericht, die Selbstständigkeit der deutschen Staaten, den Reichshaushalt, das Reichsoberhaupt und über den Reichsrat. Die zweite Lesung der Reichsverfassung begann am 23. und endete am 27. März 1849.

Am Ende der zweiten Lesung war die „Verfassung des deutschen Reiches“ verabschiedet. Einen Tag später, am 28. März 1849, wurde sie von der Nationalversammlung verkündet. Nach der überwiegenden Vorstellung der Abgeordneten trat sie damit in Kraft.

Gewaltenteilung

Die Reichsverfassung sollte einen föderalen deutschen Einheitsstaat konstituieren, dem mit Ausnahme des Kaisertums Österreich alle Staaten des Deutschen Bundes angehörten (sogenannte kleindeutsche Lösung mit 38 Mitgliedstaaten). Sie sah einen erblichen Kaiser als Staatsoberhaupt vor, der auch das Recht zur Einsetzung der Regierung hatte.

Dem Reichstag, der sich aus einem Staatenhaus und einem demokratisch zu wählenden Volkshaus zusammensetzte, oblagen vor allem die Gesetzgebung, das Budgetrecht und die Kontrolle der Exekutive, der Reichsregierung. Die Regierung hatte ein Vetorecht gegen Beschlüsse des Reichstages. Dieser wiederum konnte Minister anklagen. Der Kaiser war Staatsoberhaupt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und für die völkerrechtliche Vertretung zuständig. Außerdem übte er das Begnadigungsrecht aus.

Einklagbare Grundrechte

Das Reichsgericht (Judikative), sollte unabhängig von Reichstag (Legislative) und Reichsregierung (Exekutive) Recht sprechen. Die Nationalversammlung führte nicht nur die Gewaltenteilung ein; beim Reichsgericht (Abschnitt V) sollte der einzelne Staatsbürger, vergleichbar mit der heutigen Verfassungsbeschwerde, seine verfassungsmäßigen Rechte selbst durchsetzen können.

Das Reichsgericht war unter anderem auch zuständig für Streitigkeiten zwischen den Verfassungsorganen.

Ablehnung durch den preußischen König

Am 3. April 1849 lehnte der von der Nationalversammlung zum „Kaiser der Deutschen“ gewählte preußische König Friedrich Wilhelm IV. das ihm angetragene Amt unter Berufung auf seine im Gottesgnadentum begründete monarchische Legitimation ab.

Damit waren die Bemühungen der Nationalversammlung um eine Verfassung und die Errichtung eines deutschen Nationalstaats gescheitert.

Anerkennung der Reichsverfassung durch einige Bundesstaaten

Zwar hatten in einer Note vom 14. April 1849 28 Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes (Abschnitt IV, Artikel 2 § 87) ihre Anerkennung der Reichsverfassung erklärt, Ende April und Anfang Mai waren Württemberg, Sachsen und die bayerische Rheinpfalz gefolgt. Auch die preußischen Kammern hatten sich für die Anerkennung ausgesprochen. Trotzdem wurde die Verfassung nie eingeführt.

Der preußische König ließ am 27. April 1849 die Erste Kammer vertagen und die Zweite Kammer auflösen. Mit einer Depesche vom 28. April ließ er definitiv die Verwerfung der Reichsverfassung erklären.

Scheitern der Reichsverfassung

Die Nationalversammlung forderte daraufhin die deutschen Regierungen, Parlamente und Gemeinden auf, die Verfassung alsbald in Kraft zu setzen und nach ihr zu verfahren, insbesondere die vorgesehenen Wahlen durchzuführen, konnte sich damit jedoch nicht durchsetzen. In der Folge verließen viele Abgeordnete die Nationalversammlung, entweder weil sie von ihren Regierungen zurückberufen wurden oder weil sie die Einführung der Verfassung als gescheitert ansahen. Im Juni wurde die übrige Versammlung gewaltsam aufgelöst.

Die „Verfassung des Deutschen Reiches“ trat zwar nie in Kraft, war aber Vorbild für alle späteren deutschen Verfassungswerke und schuf die Grundlagen für den Parlamentarismus in Deutschland. (klz/25.03.2024)