Dietmar Nietan: Sicherheit nur mit den USA und mit Russland
Nach der Kündigung des INF-Vertrags durch die USA und Russland „dürfen wir uns nicht in eine neue Aufrüstungsspirale treiben lassen“, warnt Dietmar Nietan im Interview. Der SPD-Abgeordnete ruft dazu auf, sich vielmehr „mit Nachdruck für Abrüstung und Rüstungskontrolle zu engagieren“, Sicherheit für Europa gebe es „nur mit den USA und mit Russland“. Nietan leitet die Bundestagsdelegation bei der Interparlamentarischen Konferenz, die sich mit der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU befasst und sich am 7. und 8. März 2019 in Bukarest zur Frühjahrstagung trifft. In dem Gremium sind Abgeordnete aus dem EU-Parlament und den nationalen Parlamenten der EU-Staaten vertreten. Das Interview im Wortlaut:
Herr Nietan, die Debatten in Bukarest drehen sich um die europäische Sicherheitspolitik. Wo liegen die größten Herausforderungen? Was erwarten Sie vom Auftritt der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini?
Unsere Versammlung ist ein ganz wichtiges Forum, um mit Abgeordneten aus anderen EU-Ländern ins Gespräch zu kommen. Ohne Zuhören und ohne Gedankenaustausch lassen sich unterschiedliche, auch gegensätzliche Positionen nicht verstehen. An Letzteren mangelt es uns wahrlich nicht. Die größte Herausforderung ist es, gemeinsam die europäische Einigung in außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen voranzubringen. Dazu erhoffe ich mir von Mogherini Denkanstöße für die Parlamentarier.
Für Unruhe sorgt die Kündigung des INF-Vertrags durch die USA und Russland. Manche westlichen Politiker schließen jetzt atomare Rüstungsmaßnahmen nicht aus, andere wie etwa Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wollen keine neuen Atomraketen in Europa. Wie diskutiert Ihre Versammlung das INF-Problem?
Sicherheit für Europa gibt es nur mit den USA und mit Russland. Die Kündigung des INF-Vertrags birgt ein großes Risiko. Dennoch dürfen wir uns nicht in eine Aufrüstungsspirale treiben lassen. Vielmehr sollten wir uns mit Nachdruck für Abrüstung und Rüstungskontrolle engagieren, wobei Deutschland sein ganzes Gewicht in die Waagschale werfen muss. Die europäische Außen- und Sicherheitspolitik ist als Friedenspolitik konzipiert, und das soll so bleiben.
Zur Diskussion steht in Bukarest die Kooperation zwischen Nato und EU. Könnte sich die Nato langfristig zum militärischen Arm der EU ausformen? Nato-Truppen sind schneller aufgestellt als eine europäische Armee, die noch im Nebel liegt.
Dies dürfte kaum den Vorstellungen des größten Truppenstellers der Nato entsprechen, nämlich der USA. Natürlich ist es richtig, die Zusammenarbeit zu vertiefen und über Synergieeffekte zu sprechen. Eine stärkere europäische Verteidigung liegt auch im Interesse der Nato. Andererseits ist Europa noch nicht imstande, ohne die Nato für die eigene Sicherheit zu sorgen.
Wie wird sich der Brexit auf die Sicherheitspolitik auswirken? Wird London aus der EU austreten – und ansonsten ändert sich nichts, da Großbritannien ja Nato-Mitglied bleiben wird? Sieht man insofern in Ihrer Versammlung dem Brexit gelassen entgegen?
Das Land ist ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat und eine Nuklearmacht. London verfügt über eine der personalstärksten Armeen Europas. Da werden wir den Austritt aus der EU deutlich spüren. Aber in der Tat sichert der Verbleib des Landes in der Nato auch weiterhin ein hohes Maß an Zusammenarbeit. Gelassenheit fällt mir gleichwohl schwer. Der Brexit ist falsch, er spaltet Großbritannien und schadet der EU.
Man mag denken, der Brexit werde kaum Auswirkungen haben, weil Verteidigungspolitik bei der EU bisher keine große Rolle gespielt hat. Das Militärische gewinnt indes in Brüssel an Gewicht. Da kann es doch nicht folgenlos bleiben, wenn eine Militärmacht wie Großbritannien außen vor bleibt.
Mit Großbritannien verliert die EU einen sehr starken Partner in der Verteidigungspolitik. So muss etwa britisches Personal bei EU-Missionen oder bei anderen europäisch gesteuerten Operationen ersetzt werden. Lücken hinterlässt der Brexit auch beim Material. Die Sicherung der europäischen Verteidigung erfordert zusätzliche Anstrengungen. Da gewinnt als Folge des Brexits die deutsch-französische Kooperation noch mehr an Bedeutung.
Auch Cyber-Sicherheit und hybride Kriegführung beunruhigen die Abgeordneten. Bedrohen Internet und Computer oder hybrid agierende Armeen und Attentäter tatsächlich EU und Nato?
Nicht Internet und Computer gefährden uns, sondern deren Missbrauch. Hackerattacken, Spionage im Internet, die schnelle Online-Verbreitung von Propaganda und Desinformation zwecks Manipulation der Meinungsbildung können zur Destabilisierung von ganzen Staaten genutzt werden. Beim hybriden Krieg wird Verschiedenes vermischt. So kämpfen etwa neben regulären Streitkräften noch paramilitärische Einheiten, eingesetzt werden zudem Cyberangriffe, Desinformationsmaßnahmen und Wirtschaftssanktionen. Ein Musterbeispiel für hybride Kriegführung ist das russische Vorgehen auf der Krim und in der Ostukraine. Nato und EU wollen bei der Bekämpfung hybrider Bedrohungen eng kooperieren. Diesen neuen Gefahren kann man nicht allein mit militärischen Mitteln begegnen, wir brauchen entsprechende hybride Abwehrkonzepte.
(kos/28.02.2019)