Agrarexperten bewerten Digitalisierung sehr unterschiedlich
Eine gemeinsame Vision von der Landwirtschaft der Zukunft teilen führende Agrarexperten derzeit nicht. Einig waren sich neun Sachverständige in einem Fachgespräch des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu den „Chancen und Risiken der Digitalisierung in der Landwirtschaft“ am Montag, 11. Februar 2019, nur darüber, dass die Auswirkungen beträchtlich sein werden. Ausschussvorsitzender Alois Gerig (CDU/CSU) äußerte die Hoffnung, dass die landwirtschaftlichen Betriebe vom digitalen Fortschritt profitieren, vorausgesetzt sie können sich diese Technologien auch leisten. Eine Chance sah der praktizierende Landwirt Gerig darin, dass durch die Digitalisierung für alle Arten der landwirtschaftlichen Produktion mehr Tierwohl, mehr Umweltschutz und noch mehr Lebensmittelsicherheit erreicht werden könne.
Vor- und Nachteile neuer Wertschöpfungsketten
Marita Wiggerthale, Referentin bei Oxfam Deutschland e.V., monierte hingegen, dass in der Landwirtschaft derzeit die Vor- und Nachteile der Nutzung künstlicher Intelligenz kaum diskutiert würden. Es werde sich blind auf von Unternehmen bereitgestellte Technologien verlassen, die am Ende zu einem Verlust von Souveränität führen können. Wiggerthale argumentierte, dass den Nutzern von zur Verfügung gestellten Farmmanagementsystemen nur bestimmte Produkte vermittelt werden. Dadurch könnte die Bindung an wenige große Unternehmen noch enger werden. Ob die Digitalisierung die Landwirtschaft vor diesem Hintergrund nachhaltiger mache, sei nach derzeitiger Wissenslage nicht sicher.
Eine Chance sah Prof. Dr. Sonoko Bellingrath-Kimura vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e.V. darin, dass durch die Digitalisierung neue Wertschöpfungsketten und neue Anbausysteme etabliert und miteinander verbunden werden können. Erzeugte landwirtschaftliche Produkte könnten nachvollziehbarer an Umweltmaßnahmen gekoppelt und entsprechend honoriert werden.
Bereitstellung von Wissen und Daten
Für eine unvoreingenommene Herangehensweise an die neuen Technologien plädierte Prof. Dr. Reiner Brunsch vom Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie e.V. (ATB). Bereits in naher Zukunft könnten Algorithmen bessere Handlungsempfehlungen als erfahrene Landwirte erstellen, sagte er voraus. Eine Gefahr sah er im dadurch drohenden Wissensverlust, denn digitalisiertes Wissen sei dadurch nicht mehr personengebunden und könne beliebig kopiert und monopolisiert werden. Eine entscheidende Frage stelle sich deshalb nach dem Eigentum des Wissens. Wenn dieses der Menschheit gehöre, dann sei es als Gemeingut zu betrachten und müsse als solches geschützt werden. Aus der Perspektive der Imker war für Walter Haefeker vom Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerbund e.V. (DBIB) wichtig zu betonen, dass mit öffentlichen Mitteln geförderte Forschungsergebnisse auch der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden müssen.
Aus Sicht des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA) führte Dr. Hermann Buitkamp aus, dass die digitale Vernetzung von mobilen und stationären Maschinen in landwirtschaftlichen Betrieben flächendeckend ausgebaute, durchgehend zugängliche und leistungsfähige Mobilfunknetze voraussetze. Nicht weniger von Bedeutung sei die kostenlose Bereitstellung von digitalen Planungsdaten durch Vermessungsämter, Einwohner- und Gewerbeämter, die Bundesnetzagentur und die Netzbetreiber. Außerdem müsse die Förderung von Aufbau und Betrieb flächendeckender 5G-Funknetze im gesamten ländlichen Raum und allen landwirtschaftlichen Gebieten gewährleistet werden. Neben kostenlosem Roaming zwischen nationalen, regionalen und lokalen Mobilfunknetzbetreibern müsse zudem der sichere Datenaustausch möglich sein.
Landwirte brauchen Plattformen zur Datennutzung
Dass die Einführung digitaler Verfahren an der unzureichenden Infrastruktur leide, kritisierte auch Hubertus Paetow, Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft e. V. (DLG). Nicht nur physisch aufgrund unzureichender Netzabdeckung, sondern auch im Bereich der Software. Es würde an entsprechenden Plattformen fehlen, um die Daten konsistent speichern und auswerten zu können. Außerdem hinke die Ausbildung des Fachpersonals hinterher, denn selbst die Ausbildung junger Landwirte sei in dieser Hinsicht nicht auf dem aktuellsten Stand.
Dass sämtliche Äcker und Wiesen in ganz Deutschland innerhalb von zwei bis drei Tagen durch Satelliten erfasst und anschließend ausgewertet werden können, erklärte Prof. Dr. rer. Nat. Hansjörg Dittus, Mitglied des Vorstandes des Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR). Solche Daten zur Verfügung zu stellen sei mittlerweile leichter als diese anschließend zu nutzen. Dittus bot an, den Aufbau einer „Agrarmasterplattform“ durch das DLR unterstützen zu wollen, denn die vielen zur Verfügung stehenden Daten müssen miteinander verknüpft und die Produktionssysteme vernetzt werden.
Verbesserungen für Landwirte, Tiere und Umwelt
Mehr Vertrauen bei den Verbrauchern durch Transparenz zu schaffen, erhoffte sich Prof. Dr. Engel Friederike Hessel, Digitalisierungsbeauftragte des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Sie sah die Chance, dass Produktionsprozesse effizienter, ressourcenschonender und tiergerechter gestaltet werden können. In der Zukunft gelte es eine Fülle von Umweltdaten zu verarbeiten, um die Pflanzenproduktion und die Nutztierhaltung gezielt zu steuern.
Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes e.V. (DBV), warb dafür, die derzeitige Praxis der Antrags- und Prüfverfahren durch digitale Systeme zu ersetzen. Darüber hinaus forderte er eine bessere Breitbandversorgung auf dem Land, um allen Landwirten die Möglichkeiten der neuen Technologien zu eröffnen. Ebenso wichtig sei es, dass Geo-, Wetter- und Sattelitendaten allen zur Verfügung gestellt werden. (eis/11.02.2019)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Prof. Dr. Engel Friederike Hessel, Digitalisierungsbeauftragte des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft
- Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes e.V. (DBV)
- Dr. Ing. Hermann Buitkamp, Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA)
- Prof. Dr. rer. Nat. Hansjörg Dittus, Mitglied des Vorstandes des Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR)
- Prof. Dr. Reiner Brunsch, Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie e.V. (ATB)
- Prof. Dr. Sonoko Bellingrath-Kimura, Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e.V.
- Hubertus Paetow, Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft e.V. (DLG)
- Marita Wiggerthale, Referentin bei Oxfam Deutschland e.V.
- Walter Haefeker, Deutscher Berufs- und Erwerbsimkerbund e.V. (DBIB)