Kontroverse Debatte über „kalte Progression“ bei der Einkommensteuer
Änderungen an der Einkommensteuer lehnt die Koalition derzeit ab. Das hat sie am Donnerstag, 14. Februar 2019, im Bundestag deutlich gemacht. Unterbrochen wurde die Sitzung durch eine Abstimmung per Hammelsprung, ob Finanzminister Olaf Scholz (SPD) herbeigerufen werden solle. Jan Korte (Die Linke) hatte einen entsprechenden Geschäftsordnungsantrag gestellt, der mit 291 gegen 217 Stimmen abgelehnt wurde.
Anträge der FDP und der AfD
Grundlage der Debatte waren ein Antrag der FDP (19/7697) mit dem Titel „Chancentarif statt Belastungstarif – Abschmelzen des Mittelstandsbauchs“ und ein Antrag der AfD (19/7718) mit der Überschrift „Keine Progression -Tarif auf Rädern“. Die FDP möchte den Tarifeckwert ab kommenden Jahr um 1000 Euro auf 15.532 Euro anheben und damit „nach rechts verschieben“, sodass der jeweils nächste Steuersatz erst bei einem höheren Einkommen greift. Längerfristiges Ziel solle ein „linear-progressiver Tarif ohne Stufen“ sein.
Die AfD schlägt vor, die Tarifformel im Einkommensteuergesetz solle ab 2021 an die Entwicklung der Verbraucherpreise angepasst werden. Damit will sie die „kalte Progression“ verhindern, bei der unter Umständen Lohnerhöhungen wegen eines dann erreichten höheren Steuersatzes zu einem geringeren Nettoeinkommen führen können. Die Abgeordneten überwiesen beide Anträge zur weiteren Beratung an die Ausschüsse.
Einen früheren Antrag zum Abbau der „kalten Progression“ (19/1844), zu dem eine Beschlussempfehlung des Finanzausschusses (19/7765) vorlag, hatte die AfD kurz vor der Sitzung zurückgezogen, sodass dessen Beratung von der Tagesordnung abgesetzt wurde.
FDP: Wir brauchen eine Agenda für die Fleißigen
In der Debatte hielt Christian Dürr (FDP) der CDU „Wählertäuschung der Fleißigen in unserem Lande“ vor und bezog sich auf Zitate der Union aus dem letzten Wahlprogramm. Der SPD warf er vor, sie sehe nicht mal ein Problem bei der Entlastung kleiner Einkommen. Am letzten Wochenende sei viel gesprochen worden über Menschen, „die nicht oder nicht mehr arbeiten“. Es dürfe aber nicht sein, dass „in Deutschland nicht geredet wird über die, die arbeiten und ihre Steuern zahlen“.
Was die FDP mit ihrem Antrag vorschlage, sei „keine Träumerei, sondern ein sehr realistischer Schritt“ und zudem „finanzierbar“. Dürr: „Wir brauchen in Deutschland eine Agenda der Fleißigen.“
CDU/CSU: Die „kalte Progression“ ist neutralisiert
Antje Tillmann (CDU/CSU) machte geltend, die „kalte Progression“ sei „ab 2016 neutralisiert“. Sie verwies auf „zahlreiche andere Entlastungen“. Die AfD habe ihren Antrag „vom Bund der Steuerzahler abgeschrieben“. Der FDP hielt sie vor, sie hätte ja mitwirken können an steuerlichen Entlastungen, sich aber der Regierungsbeteiligung verweigert.
Tillmann wies darauf hin, dass der Mittelstandsbauch ja entlastet werde durch den Abbau des Solidaritätszuschlags für 90 Prozent der Steuerzahler. Die Union wolle im Gegensatz zum Koalitionspartner die komplette Abschaffung des „Soli“. Darüber würden CDU und CSU „weiter freundschaftlich mit der SPD streiten“.
AfD: Jetzt werden teure Versprechungen gemacht
Kay Gottschalk (AfD) beklagte, dass sich die Koalition nicht mit den Argumenten der AfD auseinandersetze. Die Politik der Großen Koalition habe dazu geführt, dass sich „Leistung in diesem Land nicht mehr lohnt“. Jetzt würden teure Versprechungen gemacht, „weil Sie einen blauen Erdrutsch in den neuen Ländern befürchten“.
Er fragte die SPD, wie sozial sie wirklich sei. Der CDU riet er, endlich zur sozialen Marktwirtschaft zurückzukehren. Die von der FDP vorgeschlagene Anhebung des Tarifeckwerts um 1.000 Euro nannte er „billiges Wahlkampfgetöse“.
SPD: Das Problem ist aktuell nicht vorhanden
Dr. Wiebke Esdar (SPD) stufte die Steuerprogression als gut ein, weil dadurch starke Schultern mehr trügen als schwache, und verwies auf das „Prinzip der Leistungsfähigkeit“. Die „kalte Seite der Progression“ sei „nicht im Sinne des Erfinders“. Indes: „Das Problem ist aktuell nicht vorhanden.“
Die Wirkungen der „kalten Progression“ seien „immer kompensiert, teils überkompensiert“ worden. Dies geschehe nicht automatisch. Doch gebe es seit 2015 den Steuerprogressionsbericht. An der Begründung der FDP für ihren Antrag kritisierte sie: „Durchschnittsverdiener zahlen nicht den Spitzensteuersatz.“
Linke: Billig ist das neue Teuer
Fabio De Masi (Die Linke) warnte vor Steuerentlastungen etwa durch Abschmelzen des Mittelstandsbauchs: „Billig ist das neue Teuer“. Steuermittel müssten vorhanden sein, etwa um in Brücken oder Schulen zu investieren. Eine mögliche Mehrwertsteuerhöhung treffe auch die kleinen Einkommen. „Wer die Mitte entlasten will, muss die wirklich Reichen zur Kasse bitten“, meinte er.
Um den Mittelstandsbauch abzuflachen, setze Die Linke darauf, den Spitzensteuersatz zu erhöhen, aber später greifen zu lassen. Er forderte einen Spitzensteuersatz von 53 Prozent –„wie bei Helmut Kohl“ – bei Entlastung von Bruttoeinkommen bis 7.100 Euro brutto. Eine Reichensteuer von 75 Prozent solle ab jedem Euro über einer Million greifen.
Grüne: Bei Steuerentlastungen gezielt vorgehen
Anja Hajduk (Bündnis 90/Die Grünen) empfand es als „kleine Überraschung“, dass die FDP eine Entlastung gezielt für kleinere Einkommen beantrage. Doch die FDP sehe darin nur einen Einstieg. Werde der Tarif weiter abgeschmolzen, beziehe sich das dann auf alle anderen Steuerstufen. Wer viel verdiene, zahle bei der progressiv ausgestalteten Einkommensteuer mehr, werde „am Ende logischerweise mehr entlastet“.
Die sich verschärfende Haushaltslage zwinge dazu, bei Steuerentlastungen gezielt vorzugehen und sie auf untere und mittlere Einkommen zu begrenzen statt mit der Gießkanne vorzugehen. (fla/14.02.2019)