Streit über die Zukunft der Pflegeversicherung
Die langfristige Finanzierung der Pflegeversorgung bereitet Gesundheitspolitikern einiges Kopfzerbrechen. Bei einer Aussprache am Freitag, 15. Februar 2019, im Bundestag über Anträge der Fraktionen von FDP (19/7691) und Die Linke (19/7480) machten Experten der Fraktionen klar, dass in den kommenden Jahren mit deutlich höheren Kosten zu rechnen sei, die im Zweifel über höhere Beiträge finanziert werden müssten. Eine Systemänderung hin zu einer allgemeinen Pflegebürgerversicherung, wie von Linken, Grünen und SPD seit Langem gefordert, ist allerdings im Parlament umstritten. Der Bundestag überwies im Anschluss beide Anträge zur federführenden Beratung an den Gesundheitsausschuss.
Anträge von Die Linke und FDP
Die Linksfraktion fordert in ihrem Antrag einen Finanzausgleich zwischen der privaten und sozialen Pflegeversicherung. Zudem sollte perspektivisch die private Pflegeversicherung in die soziale Pflegeversicherung überführt werden. Die FDP-Fraktion spricht sich in ihrem Antrag für eine verstärkte private Vorsorge und den Aufbau einer kapitalgedeckten Säule der Pflegeversicherung aus. Die künftige Finanzierung der Pflege müsse sich an einem Dreisäulenmodell aus sozialer Pflegeversicherung, privater Pflegevorsorge und betrieblicher Pflegevorsorge orientieren.
Die 1995 eingeführte soziale Pflegeversicherung arbeitet nach dem Teilkostenprinzip. Es werden also nicht alle Kosten übernommen, ein Anteil muss privat finanziert werden. Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind zugleich in gesetzlichen Pflegekassen versichert. Mitglieder der Privaten Krankenversicherung (PKV) müssen sich bei einer privaten Pflegeversicherung absichern.
Minister will andere Finanzierungsmodelle diskutieren
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte unlängst eine Grundsatzdebatte über die langfristige Finanzierung der Altenpflege gefordert. Der „Bild“-Zeitung sagte er im Januar: „Wir müssen noch mal ganz neu austarieren, was die Familien selbst leisten können und wo sie Unterstützung brauchen.“
Er fügte hinzu: „Und wenn die Beiträge nicht immer weiter steigen sollen, dann wird man auch über andere Finanzierungsmodelle diskutieren müssen.“
Linke: Pflege für alle solidarisch finanzieren
Pia Zimmermann (Die Linke) sagte in der Aussprache, die ganze Dramatik des Pflegenotstands sei schon daran zu erkennen, dass der Minister eine solche Grundsatzdebatte angeregt habe. Sie verwies auf die eklatante Schieflage zwischen den geringen Rücklagen in der solidarischen und den hohen Rücklagen in der privaten Pflegeversicherung. Diese Entwicklung hänge damit zusammen, dass viele junge, gesunde Leute privat versichert seien. Hier gehe es also um eine Systemfrage.
Um gute Pflege für alle solidarisch finanzieren zu können, müssten auch alle in ein System einzahlen und das ohne Beitragsbemessungsgrenze. Die Eigenanteile müssten sofort gedeckelt werden.
FDP: Generationen nicht gegeneinander ausspielen
Die FDP hielt der Linken vor, mit völlig falschen Konzepten zu operieren. Nicole Westig (FDP) sagte, das System beinhalte eine Teilkaskoversicherung, viele Menschen hätten aber eine Vollkaskomentalität.
Die Bürger meinten, bei höheren Beiträgen werde auch die Pflege besser. Um zu besserer Pflege zu kommen, sei jedoch mehr Eigenvorsorge nötig. Westig betonte, es gehe um eine langfristige Ausrichtung der Pflege. Dabei dürften die Generationen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
CDU/CSU: Gefragt sind gute Ideen für die Pflege
Auch Erwin Rüddel (CDU/CSU) wies die Vorstellungen der Linken zurück, die teilweise verfassungswidrig seien. Das Problem müsse von mehreren Seiten angegangen werden. Es gehe darum, mehr Stellen zu schaffen, die Digitalisierung in der Pflege besser zu nutzen, die Eigenanteile zu begrenzen und die Sektorengrenzen zu überwinden. Zunächst müssten qualifizierte Fachkräfte gewonnen werden. Dazu seien faire Löhne und ein attraktives Berufsbild nötig.
Mit digitalen Innovationen könnten Pflegekräfte entlastet werden. Auch künftig werde die Eigenvorsorge gefordert sein, jedoch müsse die systembedingte Steigerung der Eigenanteile in Pflegeheimen eingegrenzt werden. Schließlich gehe es auch darum, innovative Versorgungsformen zu entwickeln. Rüddel betonte, gefragt seien gute Ideen für die Pflege, aber keine ideologisch aufgeladenen Debatten.
AfD: Regierung betreibt Symbolpolitik
Nach Ansicht der AfD sind die mit dem Pflegepersonalstärkungsgesetz beschlossenen 13.000 neuen Stellen in der stationären Altenpflege eher Symbolpolitik. Die Stellen stünden erst einmal nur auf dem Papier, sagte Jörg Schneider (AfD) in Anspielung auf die wenigen verfügbaren Fachkräfte. Er sprach sich dafür aus, die Angehörigen stärker für die Pflege zu Hause zu motivieren.
Paul Viktor Podolay (AfD) forderte mehr Prävention und eine nachhaltige Familienförderung. Die Menschen müssten möglichst gesund alt werden. Den Konzepten von Linken und FDP erteilte er eine Absage. Ein funktionierendes System sollte nicht einfach aufgelöst werden.
SPD: Doppelsystem in der Pflege abschaffen
Heike Baehrens (SPD) verwies auf den völlig gegensätzlichen Charakter der Konzepte von Linken und FDP und forderte eine ehrliche Debatte. Der FDP schwebe offenbar ein Konjunkturprogramm für die private Versicherungswirtschaft vor. Die deutlich höheren Rücklagen in der privaten Pflegeversicherung hingen mit den geringeren Leistungsausgaben für die jungen und besser verdienenden Mitglieder zusammen.
Das Doppelsystem in der Pflege müsse abgeschafft werden, sinnvoll sei eine Pflegeversicherung, in die alle einzahlten. Niemand dürfe Angst haben, mit der Pflege finanziell überfordert zu sein.
Grüne: Familien werden allein gelassen
Auch Kordula Schulz-Asche (Bündnis 90/Die Grünen) warb für eine ehrliche Diskussion. „Wenn wir verhindern wollen, dass der Pflegenotstand in eine Pflegekatastrophe verwandelt wird, müssen wir die Probleme offen benennen“, sagte sie. Der demografische Wandel führe zu mehr Pflegebedürftigen. Benötigt würden mehr Fachkräfte, von denen viele jedoch wegen der schlechten Bezahlung ausgestiegen seien.
Familien würden allein gelassen oder überfordert, es fehle an allen Ecken und Enden Personal in der Altenpflege. Die Grünen-Politikerin sagte, mit der Pflegebürgerversicherung könnten Versorgungssicherheit und stabile Beiträge erreicht werden.
CDU/CSU: Gute Arbeitsbedingungen für Pflegefachkräfte
Erich Irlstorfer (CDU/CSU) bemerkte, die Debatte zeige schon, wie wichtig und gesellschaftspolitisch relevant das Thema sei. Die Finanzierung der Pflege müsse immer wieder überprüft werden. Er mahnte zugleich, die Menschen in der Pflege zu motivieren und keine Horrorszenarien an die Wand zu malen.
Auch sollte nicht jedes unternehmerische Engagement verteufelt werden. Ohne private Investitionen und Betreiber sei das System gar nicht denkbar. Nötig seien aber auch gute Arbeitsbedingungen für die Pflegefachkräfte. Die Anträge wurden zur weiteren Beratung in den Gesundheitsausschuss überwiesen.
Antrag der Linken
In der Vorlage wird die Bundesregierung dazu aufgefordert, unverzüglich einen Finanzausgleich zwischen der privaten und sozialen Pflegeversicherung herzustellen. Dadurch sollen die unterschiedlichen Ausgaben pro Versichertem vollständig ausgeglichen werden.
Danach sollen innerhalb der nächsten zwölf Monate Regelungen erarbeitet werden, die in weiteren Schritten die private Pflegeversicherung in die soziale Pflegeversicherung mit dem Ziel der vollständigen Integration überführt.
Antrag der FDP
Die Liberalen fordern die Bundesregierung auf, noch in der laufenden Legislaturperiode einen Vorschlag zur zukünftigen Finanzierung der Pflege vorzulegen, der sich an einem Dreisäulenmodell aus sozialer Pflegeversicherung, privater Pflegevorsorge und betrieblicher Pflegevorsorge orientiert. Darüber hinaus sollen der Bedarf zur privaten Pflegevorsorge offen kommuniziert, wettbewerbliche Elemente im System der Pflegeversicherung erhöht und kapitalgedeckte Instrumente der Pflegeversicherung wie den Pflegevorsorgefonds weiterentwickelt werden.
Des Weiteren sollen Modellprojekte zur betrieblichen Pflegevorsorge unterstützt und gefördert werden. Zudem sollen die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Beitragssatzanpassungen der privaten Pflegeversicherung verändert werden, um die Beitragssatzentwicklung zu glätten. (pk/eis/15.02.2019)