Mehr Spitzenforscher, mehr Unternehmensausgründungen im Wissenschaftsbereich, besserer Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis – darauf drang die FDP in vier Anträgen zur Forschungspolitik, die der Bundestag am Freitag, 11. Juni 2021, abgelehnt hat. Den Antrag mit dem Titel „Digitale Freiheitszonen für Deutschland als Innovation Nation“ (19/19324) lehnten alle übrigen Fraktionen ab, den Antrag mit dem Titel „Ausgründungskultur und Ausgründungen aus dem Wissenschaftssystem endlich steigern“ (19/29168) unterstützten auch die Grünen.
Zu den Anträgen mit den Titeln „Innovationsbrücke bauen zwischen Hochschule und Praxis – Die Deutsche Transfergemeinschaft“ (19/6265) und „Spitzenforscherinnen und Spitzenforscher für Deutschland als führenden Standort internationaler Wissenschaft, Forschung und Innovation gewinnen und halten“ (19/5077) lagen Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung vor (19/13288, 19/13678 Buchstabe b). Die übrigen Fraktionen stimmten jeweils gegen diese Anträge.
FDP fordert digitale Sonderwirtschaftszonen
Dr. hc. Thomas Sattelberger (FDP) warf der Bundesregierung vor, die dringend gebrauchte Offensive für unternehmerisches Handeln verpasst zu habe. Die zuständige Ministerin Anja Karliczek sei „gefesselt beim Transfer und im Tiefschlaf bei der New Economy“, monierte der FDP-Abgeordnete. Die „fähigen Forscher und tüchtigen Unternehmer“ in Deutschland seien eingepfercht von einer überbordenden Bürokratie. Es brauche aber mehr „Experimentierterritorien und Freiheitszonen“, um Innovation zu erleichtern.
Frankreich, Großbritannien und Israel machten es vor: Dort griffen bereits seit Jahrzehnten in Sonderwirtschaftszonen „die Hebelkräfte unbürokratischer Gründungen, anwendungsstarker Hochschulen und incentivierte Industrieansiedelungen“.
CDU/CSU: Zusammenarbeiten statt Abwerben
Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU) wehrte die Kritik gelassen ab: Die FDP übersehe offenbar, dass die von ihr als Freiheitszonen „neu etikettierten“ Sonderwirtschaftszonen in der Praxis wenig überzeugten. Die Steuererleichterungen lockten vermehrt Briefkastenfirmen an; Gutachten wiesen zudem auf Probleme mit EU-Beihilfen hin, so der Abgeordneten.
Stefinger räumte ein, das Deutschland Nachholbedarf bei der Digitalisierung habe. Gerade die Verwaltung müsse „schlanker und moderner“ werden. Aber hier passiere bereits viel, so der CSU-Politiker mit Verweis etwa auf die Förderung des Breitbandausbaus. Anders als die FDP setze die Union zudem bei der Förderung von Spitzenforschung auf internationale Zusammenarbeit als auf das Abwerben von Spitzenforschern im Ausland.
AfD: Irrglauben einer wissenschaftlichen Planwirtschaft
Zum Rundumschlag holte Dr. Michael Espendiller (AfD) aus: Alle Parteien außer der AfD hingen dem „Irrglauben einer wissenschaftlichen Planwirtschaft an“, meinte der Abgeordnete. Welche Rohrkrepierer diese produziere zeige etwa die von der Bundesregierung mit viel Geld geförderte „Agentur für Sprunginnovationen“. Zu Erfolgen haben diese nicht geführt, so Espendiller.
Anstatt wissenschaftliche Exzellenz zu fördern, werde „Gendergerechtigkeit über alles gestellt“. Erfolgbringendes werde zugunsten von „Klimagedöns“ ignoriert. Ob fehlende Ausgründungen, Qualität in der Lehre oder MINT-Bildung – es werde viel geredet, aber wenig geschafft, so das Fazit des Abgeordneten. Was es wirklich brauche, sei eine „selbstbestimmte Forschungslandschaft“.
SPD: Mehr Anstrengung in der betrieblichen Ausbildung
Dass eine starke Forschungs- und Entwicklungslandschaft die Basis für eine zukunftsfähige Wirtschaft sei, betonte Gabriele Katzmarek (SPD). „Ob die Klimaziele, Ernährung, Mobilität oder die Heilung und Vermeidung von Krankheiten – immer stehen am Anfang Innovationen“, so die SPD-Abgeordnete. In diese zu investieren bedeute, die Zukunft zu gestalten.
Mit der steuerlichen Forschungszulage, die unter Federführung von Finanzminister Olaf Scholz eingeführt und in der Pandemie erhöht worden sei, tue die SPD genau das, sagte Katzmarek. „Die Zulage ist ein wirksames Mittel, damit Unternehmen in Forschung und Entwicklung investieren können.“ Es würden aber auch Fachkräfte benötigt, hielt die Abgeordnete der FDP entgegen und mahnte zugleich mehr Anstrengungen in der betrieblichen Ausbildung an.
Die Linke: Nein zu Sonderwirtschaftszonen
Dr. Petra Sitte (Die Linke) zeigte sich amüsiert über den Forderungskatalog der FDP: Wie selbstverständlich diese vom Staat fordere, Liegenschaften bereitzustellen, für bessere Bildung, „attraktive Wohnumgebungen“ oder bessere Breitbandleitungen zu sorgen, erstaune schon. „Ihr gelobter Markt hat in diesen Bereichen wohl versagt“, stichelte die Abgeordnete.
Für Die Linke sei klar: Wenn Mensch, Gesellschaft und Wirtschaft profitieren sollen, müsse sich die öffentliche Hand rühren. Sonderwirtschaftszonen und „verlängerte Werkbänke“, wo Menschen zu Niedriglöhnen schufteten, brauche man und wolle man aber nicht. Erfindungen und Innovationen bräuchten Zeit – und verlässliche Rahmenbedingungen, betonte Sitte und kritisierte „kurze Projektförderungen und noch kürzere Arbeitsverträge“.
Grünen fordern „innovationspolitischen Aufbruch“
In den „Laboren und Werkshallen“ stünden die Innovationen schon bereit, die es dringend für den Klimaschutz, für eine gerechtere Gesellschaft und zur Wohlstandsicherung brauche, sagte Dr. Anna Christmann (Bündnis 90/Die Grünen). Doch die Bundesregierung habe es versäumt, ihnen die „besten Rahmenbedingungen“ zur Umsetzung zu geben. Einziges „sichtbares Ergebnis“ ihrer Politik sei die bereits erwähnte „Bundesagentur für Sprunginnovationen“.
Aber die werde von drei Ministerien so eng beaufsichtigt, dass sie keine Sprünge machen könne, monierte Christmann. Statt „Trippelschritten“ brauche es einen „innovationspolitischen Aufbruch“, forderte die Abgeordnete und verwies als Beispiel auf Baden-Württemberg, wo unter dem Stichwort „Cyber Valley“ Start-ups im Bereich von Schlüsseltechnologien gefördert würden.
Erster Antrag der FDP
Die FDP-Fraktion forderte in ihrem ersten abgelehnten Antrag (19/19324) die Einrichtung sogenannter digitaler Freiheitszonen. Die Förderung dieser Zonen sollte sowohl in die Strategie zur Künstlichen Intelligenz (KI) als auch in die Hightech-Strategie der Bundesregierung aufgenommen werden.
Besondere Berücksichtigung sollten bei der Festlegung der Freiheitszonen, die in enger Abstimmung mit Ländern, Kommunen und Regionen ausgewiesen sollten, die regionalen Strukturen finden. Die FDP setzte sich deshalb dafür ein, hierfür auch bestehende Regulierungen zu lockern oder sogar zu streichen.
Zweiter Antrag der FDP
Außerdem wollten die Liberalen Ausgründungskultur und Ausgründungen aus Hochschulen sowie außeruniversitären Forschungseinrichtungen besser fördern. Das geht aus einem weiteren Antrag der Fraktion (19/29168) hervor. Konkret verlangten die Abgeordneten unter anderem, die Bundesregierung solle Daten zum Bestand und vor allem zur Neuentstehung von sogenannten „Hidden Champions“ aus Ausgründungen heraus rückwirkend für die vergangenen Jahre 20 Jahre erheben und gleichzeitig Abwanderung von „deep-tech Start-ups“ erfassen.
Es müssten zudem „realistische Vergleichskriterien“ für den Bereich der Ausgründungen aus dem Wissenschaftsbereich entwickelt werden, um darauf aufbauend die Zahl der deutschen Ausgründungen international vergleichen zu können, schrieb die Fraktion.
Dritter Antrag der FDP
Die FDP trat zudem für die Gründung einer Deutsche Transfergemeinschaft (DFG) ein, die den Transfer von Forschungsergebnissen in die Wirtschaft institutionalisieren soll. Das schrieb die Fraktion in ihrem dritten Antrag (19/6265).
Transfer von Forschungsergebnissen in die unternehmerische Praxis zu bringen, sei eine beständige Aufgabe. Hierfür sei es erforderlich, eine dauerhafte Institution mit personeller und finanzieller Substanz zu schaffen.
Vierter Antrag der FDP
In einem weiteren Antrag (19/5077) forderten die Liberalen den Aufbau einer Nationalen Agentur für Wissenschaftliches Talent (National Agency for Scientific Talent), in der modernste Methoden der Personalrekrutierung in der Wirtschaft und der Headhunting-Branche für die Personalgewinnung von Top-Wissenschaftlern und Wissenschafts-Talenten genutzt werden, um gezielt diejenigen zu gewinnen, die Forschung, Wissenschaft und Transfer voranbringen.
Ferner sollte ein „Frühwarnsystem“ aufgebaut werden, das einerseits aufkommende frühe Trends in der Wissenschaft und Forschung sowie Gründungen, Patente und webbasierte Indikatoren von Beginn an identifiziert beziehungsweise sichtbar macht und andererseits Wanderungsbewegungen von Wissenschaftlern anzeigt, damit Deutschland bereits zu Beginn neuer Entwicklungen agieren kann. (sas/rol/hau/11.06.2021)