Die Forderung der Linksfraktion nach einem zentralen Gedenkort im Zentrum von Berlin für die Opfer des NS-Vernichtungskrieges in Osteuropa hat am Donnerstag, 31. Januar 2019, im Bundestag eine nachdenkliche, in Teilen aber auch kontroverse Debatte ausgelöst. Das Plenum debattierte erstmals über den entsprechenden Antrag (19/4917), der im Anschluss zur weiteren Beratung in den Kulturausschuss überwiesen wurde. Der Antrag der Linken sieht neben der Errichtung eines Gedenkortes auch dessen wissenschaftliche Begleitung durch eine fachlich qualifizierte Institution wie der „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ oder dem „Dokumentationszentrum Topographie des Terrors“ vor.
Linke: Debatte nicht mit aktuellen Problemen verknüpfen
Jan Korte (Linke) erinnerte an das Vorgehen des nationalsozialistischen Deutschlands in Polen und der Sowjetunion während des Zweiten Weltkriegs, das im Sinne der NS-Ideologie vom „slawischen Untermenschen“ gezielt auf die Vernichtung und Versklavung von Millionen von Menschen ausgerichtet gewesen sei. Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen und die Benennung der Täter hätten stets erkämpft werden müssen, argumentierte Korte.
So wie in den frühen Jahren der Bundesrepublik die Aufarbeitung der deutschen Geschichte zwischen 1933 und 1945 nur mühsam vorangekommen sei, seien die Opfer des NS-Regimes in Polen und der ehemaligen Sowjetunion während des Kalten Krieges aufgrund eines „staatsreligiösen Anti-Kommunismus“ ausgeblendet worden. Korte appellierte an die übrigen Fraktionen, die Debatte über einen Gedenkort für die Opfer in Osteuropa nicht mit aktuellen außenpolitischen Problemen zu verknüpfen.
AfD: Linke will Schuldbewusstsein verankern
Auf strikte Ablehnung stieß der Linken-Antrag bei der AfD-Fraktion. Deren kulturpolitischer Sprecher Dr. Marc Jongen bekannte sich zwar einerseits ausdrücklich zur Verantwortung Deutschlands für seine Geschichte, warf der Linken jedoch gleichzeitig vor, sie leugne die Verbrechen des stalinistischen Kommunismus. Es bestehe zwar ein„signifikanter Unterschied“ zwischen dem nationalsozialistischen Rassenhass und dem Hass der Bolschewisten auf den Klassenfeind, aber Hitler und Stalin seien sich einig gewesen in ihrem „unbedingten Vernichtungswillen“ gegenüber allen, die sie als Feinde identifizierten.
Jongen warf der Linksfraktion vor, ihr gehe es nicht um ein würdiges Gedenken an diese Verbrechen. Sie wolle lediglich in der deutschen Bevölkerung auf alle Zeiten ein „tiefes Schuldbewusstsein“ verankern. Es sei das erklärte Ziel der Linken, dass Deutschland als Nation und Land verschwindet und ein „Siedlungsgebiet für Migranten aus aller Welt“ werden.
SPD: Geschichte an die jüngere Generation vermitteln
Die SPD-Abgeordnete Marianne Schieder hielt Jongen entgegen, er solle sich für seine Rede schämen. Und ihr Fraktionskollege Helge Lindh konstatierte, die Rede Jongens zeige, dass die Äußerung des AfD-Politikers Björn Höcke über das „Denkmal der Schande“ für das Holocaust-Mahnmal in Berlin ebenso wenig ein Betriebsunfall in der Geschichte der AfD gewesen sei, wie der Nationalsozialismus in der deutschen Geschichte.
Schieder und Lindh bekannten sich ausdrücklich dazu, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten im deutschen Namen in Osteuropa verstärkt in das Bewusstsein der Deutschen gerückt werden müssten. Allerdings sei es fraglich, ob dies mit einem weiteren Mahnmal zu erreichen sei. Die Vermittlung der Geschichte gerade an die jüngere Generation müsse in den Vordergrund gestellt werden, sagte Schieder.
CDU/CSU: Mehr lebendige Geschichtsvermittlung
Ähnlich argumentierte auch die kulturpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion Elisabeth Motschmannn. Sie zeigte sich skeptisch gegenüber einem weiteren Mahnmal. Dies könne eine Art von „Rivalität“ zwischen den Opfergruppen führen. Motschmann verwies darauf, dass das Wissen über den Holocaust gerade bei jüngeren Deutschen drastisch abgenommen habe. Deshalb sei eine „lebendige Geschichtsvermittlung“ so wichtig.
Johannes Selle (CDU/CSU) argumentierte, ein zentraler Gedenkort für alle Opfer des NS-Terrors in Osteuropa sei auch deshalb schwierig, weil Polen, Russen, Weißrussen, Ukraine und die Balten mitunter sehr unterschiedliche Sichtweisen darüber hätten.
Grüne: Dialog mit osteuropäischen Ländern aufnehmen
Auf diesen Umstand verwies auch der kulturpolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Erhard Grundl. Ein Denkmal für alle Opfer konstruiere eine einheitliche Gruppe von Opfern, die es so aber nicht gebe. Deshalb sei es wichtig, mit den Ländern in Osteuropa darüber in einen Dialog zu treten.
Auch Grundl betonte, dass die NS-Verbrechen in Osteuropa noch nicht ausreichend im Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit verankert seien, dies habe auch die Rede des AfD-Abgeordneten Jongen erneut demonstriert.
FDP mahnt „angemessene Intonation“ an
Thomas Hacker (FDP) mahnte, die Debatte über einen Erinnerungsort mit der angemessenen Intonation zu führen. Es brauche Anlässe und Orte für das Erinnern an den NS-Terror wie etwa das Holocaust-Mahnmal in Berlin.
Umgekehrt habe der Kniefall des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt (SPD) in Warschau mehr zur deutsch-polnischen Versöhnung beigetragen als jedes Denkmal. (aw/31.01.2019)