Terminservice- und Versorgungsgesetz im Bundestag umstritten
Die Gesundheitspolitiker streiten darüber, wie die medizinische Versorgung insbesondere in strukturschwachen und ländlichen Gebieten verbessert werden kann. Bei der ersten Beratung über den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf für das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) (19/6337, 19/6436) am Donnerstag, 13. Dezember 2018, im Bundestag verlangten die Oppositionsfraktionen etliche weitergehende Regelungen. Mitberaten wurden auch ein Antrag der Linken (19/4887) und zwei Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, mit denen diese zum einen auf eine Reform Notversorgung in Krankenhäusern (19/5909), zum anderen auf eine Verbesserung der Heilmittelversorgung (19/6130) dringt. Diese Vorlagen sowie ein Gesetzentwurf der FDP (19/2689), ein Antrag der FDP (19/6417) und zwei Anträge der AfD (19/6419, 19/6423) wurden ebenfalls zur federführenden Beratung an den Gesundheitsausschuss überwiesen.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Mit dem Gesetzentwurf der Regierung soll vor allem der in der vergangenen Legislaturperiode eingerichtete Terminservice zur Vermittlung von Fachärzten ausgeweitet werden. Die umfangreiche Vorlage beinhaltet darüber hinaus zahlreiche weitere Regelungen, die allgemein mit der medizinischen Versorgung in Zusammenhang stehen, thematisch aber weit auseinanderliegen. Die Neuregelungen sollen voraussichtlich im Frühjahr 2019 in Kraft treten. Das Gesetz ist im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig.
Dem Entwurf zufolge werden die bisherigen Vermittlungsangebote zu Servicestellen für die ambulante Versorgung und Notfälle weiterentwickelt. Auch Haus- und Kinderärzte sollen vermittelt werden. Die Terminservicestelle soll über eine bundesweit einheitliche Notdienstnummer sowie über das Internet ständig erreichbar sein. Das Mindestsprechstundenangebot der Ärzte wird auf mindestens 25 Stunden pro Woche erweitert.
Zuschlag für Landärzte
Bestimmte Facharztgruppen wie Augenärzte, Frauenärzte oder HNO-Ärzte, die zur Grundversorgung gezählt werden, müssen mindestens fünf Stunden pro Woche als offene Sprechstunden anbieten, ohne vorherige Terminvereinbarung. Die Ärzte sollen die zusätzlichen Aufwendungen vergütet bekommen. Zudem sollen explizit Landärzte einen Zuschlag erhalten. Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) werden außerdem dazu verpflichtet, in unterversorgten Gebieten entweder Praxen zu eröffnen, oder mobile und telemedizinische Alternativen anzubieten.
Mit der Novelle soll auch die digitale Versorgung verbessert werden. So müssen die Krankenkassen ihren Versicherten spätestens ab 2021 eine elektronische Patientenakte (ePA) zur Verfügung stellen, die auch über das Smartphone oder Tablet genutzt werden kann. Der Gesetzentwurf beinhaltet auch neue Leistungsansprüche für bestimmte Patientengruppen. So bekommen Versicherte mit einem erhöhten HIV-Infektionsrisiko einen Anspruch auf die sogenannte Präexpositionsprophylaxe (PrEP). Der Anspruch auf eine künstliche Befruchtung wird erweitert um die Kryokonservierung von Ei- und Samenzellen. So soll in Fällen einer keimzellschädigenden Behandlung wie etwa einer Krebstherapie die Möglichkeit der Fortpflanzung erhalten bleiben.
Pflege und Zahnersatz
In der Pflege werden ambulante Betreuungsdienste für die Haushaltshilfe eingeführt. Für den Impfschutz sollen künftig die verfügbaren Impfstoffe aller Hersteller genutzt werden können, möglichst ohne vertraglichen Ausschluss einzelner Hersteller. Innovative Behandlungsmethoden sollen künftig leichter erprobt werden können.
Die Festzuschüsse für Zahnersatz sollen ab 2021 von 50 auf 60 Prozent angehoben werden. Schließlich soll auch die Transparenz bei der Veröffentlichung der Vorstandsgehälter bei Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen verbessert werden.
In der Debatte kritisierte die Opposition vehement die vorgesehene Stufenregelung für die Psychotherapie und forderte die Streichung des entsprechenden Passus. Laut Gesetzentwurf sollen Patienten, die eine Psychotherapie benötigen, zunächst von einem Experten begutachtet werden, der die Dringlichkeit des Falls bewertet. Nach Ansicht der Opposition wäre ein solches Vorgehen für die Patienten unzumutbar.
Minister offen für bessere Regelungen
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zeigte sich irritiert über die seit Tagen öffentlich geäußerten Vorwürfe und Unterstellungen in dem Zusammenhang und forderte eine sachliche Auseinandersetzung.
Ihm sei sehr bewusst, was eine psychische Erkrankung für Patienten und ihr Umfeld bedeute und wie problematisch es sei, nicht schnell eine angemessene Versorgung zu finden. Er fügte hinzu, er sei offen für womöglich bessere Regelungen, wenn sie in der parlamentarischen Beratung gefunden würden.
SPD will keinen Schnellschuss riskieren
Auch Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) warb dafür, in diesem Punkt zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen und keinen Schnellschuss zu riskieren. Psychosen gehörten zu den schwersten Erkrankungen überhaupt mit einer hohen Sterblichkeit.
Insofern sei eine verbesserte Versorgung psychisch kranker Patienten absolut notwendig. Derzeit gebe es eine Unterversorgung.
Opposition unzufrieden mit Regeln für psychisch Kranke
Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) und Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen) forderten den Minister auf, die umstrittene Regelung zu streichen. Sie warnten davor, psychisch Kranken weitere Prozeduren zuzumuten. Kappert-Gonther mahnte, Menschen in seelischen Krisen bräuchten Hilfe und nicht zusätzliche Hürden. Es wäre eine emotionale Zumutung, sich gegenüber einer neuen Instanz öffnen zu müssen, um einen Therapieplatz zu bekommen. Auch Dr. Achim Kessler (Die Linke) sprach sich dafür aus, an dem Direktzugang für die Psychotherapie festzuhalten.
Die Opposition kritisierte darüber hinaus zahlreiche andere Regelungen in dem opulenten Gesetzentwurf und forderte Nachbesserungen. Spahn ließ das nicht gelten und erklärte, mit der Novelle werde sich die Versorgung im Alltag der Menschen spürbar verbessern. Er nannte die geplante höhere Vergütung für Ärzte, die bereit seien, zusätzliche Patienten zu versorgen sowie für die Landärzte. Der Ausbau der Terminservicestellen sei ein „Quantensprung“. Für die Heilmittelerbringer sei eine höhere Vergütung geplant. Die Anhebung der Festzuschüsse für Zahnersatz brächten für die Versicherten eine Entlastung in Höhe von 700 Millionen Euro im Jahr.
AfD kritisiert Geschenke zur Weihnachtszeit
Dr. Robby Schlund (AfD) sprach gleichwohl von fragwürdigen Geschenken zur Weihnachtszeit und einer „Mogelpackung“. Der Gesetzentwurf sei eine Enttäuschung und gehe über die substanziellen Probleme im Gesundheitswesen hinweg. Mit der zwangsweisen Anhebung der Sprechstundenzeit würden die Mediziner diskreditiert. So werde den Leuten weisgemacht, die Ärzte wären faul.
Mit der Neuregelung würden die Warteschlangen in den Praxen nur noch länger, das sei vor allem ein Schlag ins Gesicht der chronisch Kranken. Er forderte die Regierung auf, die Budgetierung für Ärzte abzuschaffen, um den Arztberuf wieder attraktiver zu machen.
CDU/CSU: Zugang zur ambulanten Versorgung verbessert
Karin Maag (CDU/CSU) würdigte hingegen die zahlreichen Verbesserungen, die aus ihrer Sicht mit dem Entwurf einhergehen.
So werde ein besserer Zugang zur ambulanten Versorgung für alle erreicht. Sie appellierte an die Ärzte, sich den Neuregelungen nicht entgegenzustellen und sagte: „Wir wollen mit Ihnen die Versorgung gestalten.“
FDP rügt hohen Verwaltungsaufwand für Ärzte
Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) warnte hingegen, mit der Erhöhung der Sprechstundenzahl würden all jene Mediziner frustriert, die diese Vorgabe bereits erfüllten.
Sie rügte überdies den hohen Verwaltungsaufwand der Ärzte. Die Zeit könnte besser für die Patienten genutzt werden.
Linke: Maßnahmen sind nur Flickschusterei
Achim Kessler (Die Linke) kritisierte: „All ihre Maßnahmen sind nur Flickschusterei.“ So zeichne sich bei den Heilmittelbringern, die viel zu wenig verdienten, schon der nächste Versorgungsnotstand ab.
Er fügte hinzu, die gesetzlich Versicherten seien immer im Nachteil. Dies könne nur geändert werden, indem die private Krankenversicherung (PKV) abgeschafft und eine solidarische Gesundheitsversicherung eingeführt werde.
Grüne: Unterversorgung wird nicht behoben
Auch Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen) bezweifelte, dass mit den Zuschlägen für bestimmte Ärzte das Grundproblem der Unterversorgung in strukturschwachen Gebieten gelöst werden könnte. Nötig sei mehr Kooperation zwischen der ambulanten und stationären Versorgung sowie zwischen den Gesundheitsberufen.
Auf dem Land finde sich kaum noch ein Arzt, das sei vor allem für chronisch Kranke ein riesiges Problem. Die Mediziner ließen sich lieber in Städten nieder. Zudem platzten die Notfallaufnahmen aus allen Nähten. Der Gesetzentwurf gebe auf die wichtigen Fragen keine strukturellen Antworten.
Antrag der Linken
Die Linke fordert eine bessere Bezahlung für Heilmittelerbringer. Die Berufe der Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden und Podologen seien für viele Menschen wegen der schlechten Bezahlung unattraktiv. Viele Praxen seien in der Existenz bedroht. Der befristete Wegfall der Grundlohnsummenbindung sei nur ein erster Schritt gewesen. Die seither erzielten Vergütungssteigerungen reichten jedoch nicht aus, um die über Jahre hinweg schlechte Einkommenssituation von Heilmittelerbringern in der ambulanten Versorgung zügig auf ein angemessenes Niveau zu heben.
Die Abgeordneten fordern in ihrem Antrag eine sofortige gesetzlich festgelegte Anhebung der Vergütung durch die gesetzlichen Krankenkassen um 30 Prozent. Die Höhe der Vergütung müsse bundesweit möglichst schnell vollständig angeglichen werden. Die Grundlohnsummenbindung sollte unbefristet aufgehoben werden. Die Angestellten in den Praxen müssten von der höheren Leistungsvergütung profitieren. Zudem sollte auch der Direktzugang zu Heilmittelpraxen erprobt und evaluiert werden. Außerdem sollten die Bundesländer die Schulgeldfreiheit für staatliche Schulen in den Heilmittelberufen schnell umsetzen.
Zwei Anträge der Grünen
Die Grünen fordern in ihrem Antrag, die Notfallversorgung zu reformieren. Seit langem kämen Patienten in die Notaufnahme von Kliniken, die keiner stationären Behandlung bedürften und denen in einer Praxis genauso gut hätte geholfen werden können, heißt es in einem Antrag der Fraktion. Ziel der Reform müsse sein, den Patienten eine sinnvolle und hochwertige medizinische Hilfe zu ermöglichen.
Dazu schlägt die Fraktion vor, die Notfallversorgung über bestehende ambulante und stationäre Sektoren hinweg zu koordinieren. Konkret fordert sie, Notfallpraxen zur Versorgung ambulanter Notfälle an bestimmten Krankenhausstandorten vorzuschreiben. Der Sicherstellungsauftrag für eine integrierte Notfallversorgung wollen die Grünen den Ländern übertragen. Künftig solle in integrierten Leitstellen mittels standardisierter Ersteinschätzung das passende Hilfsangebot gefunden werden.
Versorgung mit Heilmitteln verbessern
Auch die Heilmittelversorgung soll nach Ansicht von Bündnis 90/Die Grünen besser werden. Derzeit sei diese regional unterschiedlich und in Teilen defizitär, sie scheine vorwiegend an Kosten orientiert statt am Behandlungserfolg. Die Daten über den tatsächlichen Versorgungsbedarf seien unzureichend, so die Kritik der Abgeordneten.
In ihrem Antrag fordern sie deshalb, die Anbindung der Vergütung der Heilmittelerbringer an die Grundlohnsumme dauerhaft aufzuheben und die Vergütungen sofort bundesweit anzuheben. Zudem müsse eine einheitliche Gebührenordnung für Heilmittelberufe in der gesetzlichen Krankenversicherung auf den Weg gebracht werden.
Gesetzentwurf der FDP
Der Gesetzentwurf der FDP zielt auf eine Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) ab. Krebspatienten solle die Chance auf eigene Kinder ermöglicht werden. Die „fertilitätsbewahrende Behandlung“ solle zur Regelleistung der gesetzlichen Krankenversicherung gemacht werden. Krebstumore und die in der Krebstherapie eingesetzten Medikamente, Behandlungsmethoden und Eingriffe könnten Betroffenen die Chance auf eigene Kinder für immer nehmen, schreibt die FDP. Methoden zur Erhaltung der Fruchtbarkeit wie die Konservierung und Einlagerung von Keimzellen und Keimgewebe würden derzeit nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt. Die Folge seien erhebliche finanzielle Belastungen für die Patienten.
Rund 2.000 Kinder und 15.000 junge Menschen zwischen 18 und 39 Jahren erkrankten jedes Jahr an Krebs. In vielen Fällen seien Heilungserfolge zu verzeichnen. Jedoch führten die Tumore und die zu deren Behandlung eingesetzten Medikamente, Chemo- und Strahlentherapien sowie operative Eingriffe, etwa an den Eierstöcken, der Gebärmutter oder den Hoden, bei einem Teil der Betroffenen zu Unfruchtbarkeit. Fruchtbarkeitserhaltende Methoden durch Entnahme, Konservierung und Einlagerung von Keimzellen oder Keimgewebe seien medizinisch gut etabliert, heißt es weiter. Schon bei Kindern ab 13 Jahren könnten reife Keimzellen gewonnen werden. Diese Vorsorge würde es vielen geheilten Krebspatienten ermöglichen, später eigene Kinder zu bekommen, unterstreichen die Liberalen.
Antrag der FDP
Ein Antrag der FDP-Fraktion befasst sich mit der Regionalisierung der Bedarfsplanung mit der Niederlassungsfreiheit als Regelfall (19/6417). Die Fraktion will den Gemeinsamen Bundesausschuss, das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland, verpflichten, die Bedarfsplanung bis 1. Juli 2019 anzupassen und die Niederlassungssperren in regionale Verantwortung zu geben. Die Zulassungsbeschränkungen bei medizinischer Überversorgung sollten in eine Kann-Regelung umgewandelt werden, wobei die Niederlassungsfreiheit der Regelfall sein solle.
Die Regelungen zu zusätzlichem lokalen Versorgungsbedarf und Sonderbedarf sollten bestehen bleiben, so die Fraktion. Für ländliche und strukturschwache Gebiete will sie einen Strukturzuschlag einführen.
Anträge der AfD
Die AfD will mit ihrem ersten Antrag (19/6419) die Bevorzugung von Importarzneimitteln beenden, die Importquote abschaffen und die Arzneimittelsicherheit verbessern. Die Verpflichtung des Apothekers, ein Importarzneimittel in Fällen, in denen der Arzt es nicht ausdrücklich verordnet hat, solle aufgehoben werden. Sicherstellen will die Fraktion, dass anderslautende Vereinbarungen im Rahmenvertrag zwischen dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und dem Deutschen Apothekerverband wie etwa die „Importquote“ unwirksam werden. Die Bevorzugung von Importarzneimitteln zur Kostendämpfung sei ineffizient, schreibt die Fraktion.
Im zweiten Antrag (19/6423) tritt die Fraktion für ein einheitliches Prüfverfahren zur fachlichen Eignung ausländischer Ärzte aus Nicht-EU-Staaten ein. Die Bundesregierung wird aufgefordert, bundeseinheitlich sicherzustellen, dass ausländischen Ärzten aus Nicht-EU-Staaten eine Berufserlaubnis oder Approbation grundsätzlich erst nach einer dem Dritten Staatsexamen des Medizinstudiums entsprechenden Prüfung und nachdem der Arzt gute Fähigkeiten der sprachlichen Kommunikation (Niveau C1) nachgewiesen hat, erteilt wird. Die Patienten in Deutschland hätten das Recht auf Ärzte mit ausreichender Qualifikation. (pk/wom/13.12.2018)