Bestandsaufnahme zur Bildungspolitik im Bundestag
Die Chancenungleichheit in der Bildung haben fast alle Redner am Freitag, 18. Januar 2019, in der Debatte zur Bildungspolitik in Deutschland. Bundesministerin Anja Karliczek (CDU) lobte hingegen die Fortschritte, die beim Thema Chancengerechtigkeit in der Bildung erzielt worden seien. Die AfD stellte vor allem den Leistungsgedanken in der Bildungspolitik in den Vordergrund.
Nationaler Bildungsbericht und Fraktionsanträge
Grundlage der Debatte waren der Antrag von CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Gemeinsame Initiative von Bund und Ländern zur Förderung von Schulen in benachteiligten sozialen Lagen und mit besonderen Aufgaben in der Integration“ (19/7027), die Unterrichtung durch die Bundesregierung „Nationaler Bildungsbericht – Bildung in Deutschland 2018
und Stellungnahme der Bundesregierung“ (19/6930), ein Antrag der AfD mit dem Titel „Bildungsgerechtigkeit wiederherstellen – Leistungsgedanken stärken“ (19/7041), ein Antrag der Linken mit dem Titel „Für eine gemeinsame Bildungsstrategie zum Abbau sozialer Ungleichheit“ (19/7026), ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Nationaler Bildungsbericht 2018 – Zeit für einen bildungspolitischen Aufbruch“ (19/4632) und ein Antrag der FDP „Chancengerechtigkeit ernst nehmen – Leistungsfähigkeit des Bildungssystems voranbringen“ (19/7031).
Der Bundestag überwies alle Vorlagen zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.
CDU/CSU: Den Willen zum Lernen fördern
Für die CDU/CSU betonte Dr. Dietlind Tiemann, dass die Leitlinien der Bildungspolitik darauf abzielten, dass alle Schülerinnen und Schüler unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht und ihrem sozialen Status so gefördert werden müssen, dass ein bestmöglicher Lern- und Bildungserfolg gesichert wird. Sie kritisierte: „Soziale Herkunft und Lebensort haben noch immer einen zu großen Einfluss auf den Bildungserfolg von Kindern.“ Sie hob die Bund-Länder-Initiative der Großen Koalition hervor, die Schulen in benachteiligten sozialen und mit besonderen Aufgaben der Integration – sogenannte Brennpunktschulen – explizit fördere.
Diese Schulen stünden vor großen Herausforderungen, da dort ein besonders hoher Anteil an Schülern aus bildungsfernen Haushalten unterrichtet werde, die mit nur geringem sozialem, kulturellem und ökonomischem Kapital ausgestattet seien. Gleichzeitig machte Tiemann deutlich, dass die Hauptaufgabe bei den Familien liege: „Der Wille zum Lernen und zum sozialen Aufstieg muss an dieser Stelle entfacht und gefördert werden.“
AfD: Allgemeine Absenkung des Niveaus
Dr. Götz Frömming (AfD) nannte berichtete von einer Lehrerin, die verkündet habe, sie wolle an ihre Schüler nur noch gute Noten vergeben und so jedem ihrer Schüler zu einer Studienberechtigung verhelfen. Sie wolle nicht länger dafür verantwortlich sein, mit schlechten Noten benachteiligte Schüler um ihre Bildungschancen zu bringen. Frömming sagte: „Dass, was uns hier als eine besonders hohe Form der Bildungsgerechtigkeit verkauft werden soll, ist in Wahrheit das genaue Gegenteil.“ Er fügte an: „Wenn alle Abitur haben, dann hat keiner Abitur mehr.“
Frömming konstatierte, dass mit der Bildungsquantität, die in Deutschland steige, allerdings nicht die Bildungsqualität, also der Bildungsstand, zunehme. Beim letzten internationalen Pisa-Vergleich von 2016 habe sich Deutschland sogar verschlechtert. Frömming bezog sich auf den Bildungsforscher Rainer Bölling, der darauf hingewiesen habe, dass die Abiturquoten mit einer allgemeinen Absenkung des Niveaus erkauft seien. Rund 30 Prozent aller Studienanfänger würden ihr Studium abbrechen.
„Bildungssystem am Rand des Kollapses“
Frömming forderte eine bessere Berufsorientierung und Eingangstests an den Universitäten. Durch Zuwanderung verschärfe sich das demografische Problem, und das ohnehin angespannte Bildungssystem werde an den Rand des Kollapses gebracht. „Warum ist das so?“, fragte Frömming: „Weil wir eben keine Zuwanderung aus den Pisa-Siegerländern haben, also nicht aus Singapur, Japan oder Finnland, sondern aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan.“
Frömming zitierte aus dem nationalen Bildungsbericht, dass 69 Prozent der Migranten ab 15 Jahren aus diesen Ländern keinen Berufsabschluss und keinen höheren Bildungsabschluss hätten. Bei den Asylsuchenden hätten elf Prozent einen Hochschulabschuss, aber 76 Prozent verfügten über gar keine Ausbildung. Er forderte deshalb, Zuwanderung anders zu organisieren und den Bildungsstand zu berücksichtigen.
SPD: Ungünstige Betreuungsrelation im Studium
Oliver Kaczmarek (SPD) betonte, dass der Ausbaubedarf in der frühkindlichen Bildung ungebrochen sei. Wenn wir nicht akzeptieren wollen, dass Geburt und Herkunft weiter für den Bildungserfolg von Kindern entscheiden, dann müssen wir genau dort investieren.„ Das Gute-Kita-Gesetz habe bereits den richtigen Impuls gesetzt. Ferner betonte er, dass die Große Koalition den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule bis 2025 vorbereiten und auch umsetzen wolle. Das sei ein bildungs- und gesellschaftspolitisches wichtiges Ziel.
Ferner kritisierte Kaczmarek, dass die Betreuungsrelation im Studium ungünstig sei und die Abbruchquote auf einem hohen Niveau bleibe. Er lobte deshalb die Verstetigung des Hochschulpaktes. Mit dem Hochschulpakt reagieren Bund und Länder auf die anhaltend hohe Zahl von Studienanfängern und öffnen die Hochschulen auch weiterhin für jeden Studieninteressierten, weil dies Planbarkeit und Verlässlichkeit für die Hochschulen schaffe.
FDP: Deutschland muss jetzt handeln
Es sei bezeichnend dass die Bundesregierung es nicht schaffe, selbst einen Programm zu Brennpunktschulen vorzulegen, obwohl sie das in einer Talk-Show angekündigt habe, bemängelte Nicola Beer (FDP). Deswegen sei sie den Koalitionsfraktionen sehr dankbar, dass sie nun ein Programm zu Brennpunktschulen vorgelegt hätten und die Bundesregierung vor sich her trieben. Allerdings müsse man bei genauem Lesen des Antrags feststellen, dass das Geld nicht in die Brennpunktschulen für mehr Lehrer oder Schulsozialarbeit fließe, sondern für die Forschung über Brennpunktschulen bereitgestellt werde. “Das wird die Situation keines einzigen Kindes, das heute in eine Brennpunktschule geht, unmittelbar verändern.„
Beer fügte hinzu: “Wir können nicht noch einmal zehn Jahre warten. Deutschland muss jetzt handeln.„ Sie bezeichnete die Erkenntnisse des Bundesbildungsberichts als “alarmierend„. Obwohl die Bildungsbeteiligung steige, seien Bildungschancen ungerecht verteilt. “Unser Bildungssystem reproduziert soziale Ungerechtigkeit anstatt sie abzubauen. Damit verzichten wir auf das Potenzial von unglaublich vielen Mädchen und Jungs.„ Bildung müsse endlich erste Priorität bei den Investitionen haben.
Linke: Deutschland ist kein Bildungsland
Ähnlich argumentierte Birke Bull-Bischoff (Die Linke). Sie sagte: “Deutschland ist kein Bildungsland. Jedenfalls nicht wenn man sich die Realitäten anguckt, jedenfalls nicht, wenn man den internationalen Vergleich sieht, jedenfalls nicht, gemessen an dem, was nötig und möglich wäre.„ Es mangele an Geld. In Deutschland gebe es einen riesigen Investitionsstau. Und es fehle “dramatisch„ an Personal. Zudem sei Deutschland ein geteiltes Bildungsland.
Gerade Kinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen würden viel weniger von frühkindlicher Bildung profitieren und in Kitas gehen. Hinzu komme, dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien weniger motiviert und wertgeschätzt und deshalb oft unterschätzt und eben weniger gefördert würden. Deshalb sei es ein Fehler, nicht in die Qualität der Bildungseinrichtungen zu investieren.
Grüne: Außer Sonntagsreden nichts gewesen
Wie schon Nicola Beer, kritisierte auch Margit Stumpp (Bündnis 90/Die Grünen) die Bundesregierung und stellte klar, dass der Nationale Bildungsbericht bereits im Mai 2018 veröffentlicht worden sei. Stumpp: “Eigentlich erwartet man da von der zuständigen Ministerin eine zügige und sorgfältige Analyse mit einem fundierten Handlungskonzept.„ Sie fügte hinzu: “Außer Sonntagsreden nichts gewesen.„
Mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen zu den Schulen in benachteiligten sozialen Lagen würden diese nun den Job der Ministerin übernehmen, die bisher nicht geliefert habe. Insgesamt sei der Bundesbildungsbericht eine klare Aufforderung an die Regierung, endlich mehr in die Zukunft junger Menschen zu investieren: “Im Bildungsbereich brennt die Hütte.„ Bei der Chancengerechtigkeit herrsche Stillstand. Jedes vierte Kind wachse nach wie vor in sogenannten bildungsbezogenen Risikolagen auf. Gerade Kinder aus finanzschwachen Familien und mit Migrationshintergrund sowie Kinder von Alleinerziehenden blieben zu oft vom Aufstieg durch Bildung ausgeschlossen.
Ministerin: Viele Erfolge bei Bildung und Chancengerechtigkeit
Bundesbildungsministein Anja Karliczek (CDU) stellte fest, dass Deutschland bei den Themen Bildung und Chancengerechtigkeit viele Erfolge aufzuzeigen habe. Immer mehr Menschen bildeten sich weiter, immer mehr Menschen strebten nach besserer Bildung, immer mehr Auszubildende würden von den Unternehmen übernommen. Bund und Länder hätten die Investitionen in den letzten Jahren weiter gesteigert. “Der Bildungsbericht macht mich sehr zuversichtlich„, sagte die Ministerin. Der Bericht beleuchte die ganze Vielfalt des Bildungswesens, und diese Vielfalt sei die Stärke Deutschlands.
Auch die unterschiedlichen Wege in den Beruf, durch Ausbildung oder Studium, würden dieses Land stark machen. Sie böten jedem Menschen den für ihn passenden Weg. Zudem plädierte die Ministerin für die gleichwertige Wertschätzung von beruflicher und akademischer Ausbildung. Deutschland brauche Auszubildende und Studierende gleichermaßen und biete beste berufliche und akademische Bildung. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung mache das Jahr 2019 deshalb zum Jahr der Berufsbildung. Zudem warb Karliczek erneut dafür, den Digitalpakt Schule auf den Weg zu bringen. Dieser dürfe nicht in Kompetenzstreitigkeiten untergehen.
Antrag von CDU/CSU und SPD
Unionsfraktion und SPD fordern die Bundesregierung darin auf, ein Konzept für die Förderung von Schulen in benachteiligten sozialen Lagen und mit besonderen Aufgaben der Integration zu entwickeln und spätestens im vierten Quartal eine Verwaltungsvereinbarung für die bereits bestehende gemeinsame Initiative von Bund und Ländern zur Förderung leistungsstarker und potenziell besonders leistungsfähiger Schülerinnen und Schüler zu beschließen.
Das Vorhaben wollen die Koalitionsfraktionen für eine Laufzeit von zehn Jahren und in zwei Stufen konzipieren, wobei auf eine Erprobungsphase in Form von Modellprojekten in einer zweiten Phase erfolgreiche Modelle in die Fläche transferiert werden sollen. Die Initiative solle schulform- und stufenübergreifend gestaltet werden und auch Berufsschulen und Oberstufenzentren einbinden. Auch Schulen in freier Trägerschaft sollen förderfähig sein.
Nationaler Bildungsbericht 2018
Laut dem Bildungsbericht 2018 ist in Deutschland eine weiter steigende Bildungsbeteiligung zu verzeichnen. Dass sich die Zahl der Bildungsteilnehmer im Jahr 2016 auf 17,1 Millionen Personen weiter erhöht hat, geht nach Aussage der Autoren nicht nur auf die steigenden Geburtenzahlen und vermehrte Zuzüge aus dem Ausland zurück, sondern auch auf eine immer frühere Bildungsbeteiligung sowie den Trend zur Höherqualifizierung.
Unverändert stark ausgeprägt sind laut dem Bericht die “sozialen Disparitäten im Bildungsbereich„. Kinder aus Haushalten mit hohem Bildungsstand besuchten häufiger allgemeinbildende Schulen (76 Prozent), die zu einer Hochschulreife führen, als Kinder aus Haushalten mit niedrigerem Bildungsstand (54 Prozent). Auch besuchten 16- bis unter 30-Jährige mit Migrationshintergrund seltener eine Hochschule (15 Prozent) als Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund (18 Prozent).
Die unterschiedliche Bildungsbeteiligung spiegle sich auch im Bildungsstand wider. Personen gleichen Alters mit Migrationshintergrund verfügten etwas seltener über einen Hochschulabschluss und hätten häufiger keinen beruflichen Abschluss, heißt es in der Vorlage, aus der auch hervorgeht, dass das Zehn-Prozent-Ziel für Ausgaben in Bildung, Wissenschaft und Forschung (Zehn-Prozent-Anteil vom Bruttosozialprodukt) erneut nicht erreicht worden sei.
AfD: Gewachsene föderale Struktur stärken
Die AfD will, dass die Bundesregierung künftig bei der Migrationssteuerung den Bildungsstand und die Bildungsfähigkeit als Entscheidungskriterien einführt und verweist auf die Erfahrungen in Kanada und Australien. Akademikerinnen solle es durch Förderprogramme ermöglicht werden, den vorhandenen Kinderwunsch erfüllen zu können. Mit den Ländern seien Konzepte zu entwickeln, die eine qualitativ hochwertige frühkindliche Betreuung gewährleisten.
Die Fraktion tritt zudem dafür ein, die historisch gewachsene föderale Struktur des Bildungswesens zu stärken und die Länder im Hinblick auf die Ausgestaltung von Berufsorientierungsmaßnahmen so zu unterstützen, dass sich Jugendliche bewusst auch für eine Berufsausbildung entscheiden. An Hochschulen will die Fraktion Eingangstests und Numerus clausus einführen.
FDP: Bildungsinvestitionen steigern
Die FDP fordert die Bundesregierung auf, eine Strategie zu entwickeln, wie der Anteil der Bildungsinvestitionen als Anteil am Bruttoinlandsprodukt so angehoben werden kann, das Deutschland unter den führenden fünf Staaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) liegt. Auch solle die frühkindliche Bildung in Deutschland gestärkt werden.
Dem Wunsch der Bevölkerungsmehrheit nach mehr finanzieller und gestalterischer Verantwortung des Bundes in der Bildungspolitik solle die Regierung Rechnung tragen, heißt es weiter. Zusammen mit den Ländern solle ein Förderprogramm aufgelegt werden, um die Schulen durch Fortbildungen bei der Schul- und Unterrichtsentwicklung zu unterstützen. Massiv stärken wollen die Liberalen auch die Lehrerfortbildung in der “Qualitätsoffensive Lehrerbildung„.
Linke fordert bundesweite Bildungsstrategie
Eine bundesweite Bildungsstrategie fordert Die Linke in ihrem Antrag. Sie soll mit den Ländern und Kommunen, der Wissenschaft, Arbeitgebern und Gewerkschaften erarbeitet werden. Verlangt wird ebenso ein Kitaqualitätsgesetz, das Mindeststandards für Kindertagesbetreuung und Kindertagespflege definiert.
Die Fraktion tritt ferner dafür ein, die Lastenverteilung bei Kinderbetreuungskosten zwischen Bund und Ländern so neu zu regeln, dass der Bund stärker beteiligt wird und Kommunen, die bisher ungleich stark für die laufenden Kosten aufkommen mussten, indirekt entlastet werden. Den Beruf des Erziehers/der Erzieherin will Die Linke zudem aufwerten.
Grüne fordern bildungspolitischen Aufbruch
Die Grünen setzen sich in ihrem Antrag für einen “bildungspolitischen Aufbruch„ ein. Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Empfehlungen des Nationalen Bildungsberichts für mehr Bildungsgerechtigkeit in Deutschland gemeinsam mit den Ländern unverzüglich umzusetzen. Dafür sei das laufende Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Grundgesetzes zu nutzen, um die verfassungsrechtliche Grundlage für einen modernen Bildungsföderalismus zu schaffen.
Über die vorgeschlagene Öffnung des Artikels 104c des Grundgesetzes hinaus müsse dauerhafte Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen möglich werden, damit inklusive Bildungsangebote und flächendeckender Ganztagsunterricht, herkunftsunabhängige Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit sowie Digitalisierung in allen Bildungsbereichen erfolgreicher gestaltet werden können, verlangt die Fraktion. Auf der Basis einer neu geschaffenen Kooperationsklausel müsse gemeinsam mit den Ländern eine umfassende Qualifizierungsoffensive für mehr pädagogisches Fachpersonal an Kitas, Grundschulen sowie allgemeinbildenden und beruflichen Schulen auf den Weg gebracht werden, heißt es in der Vorlage. (rol/18.01.2019)