Zukunft des Wissenschaftsstandortes Deutschland erörtert
Deutschland muss mehr Spitzenforscher ausbilden, fördern, rekrutieren und diese auch im Land halten. Darüber waren sich nahezu alle Redner in der einstündigen Debatte zur Zukunft des Wissenschaftsstandortes Deutschland am Freitag, 14. Dezember 2018, einig. Dazu lagen drei Anträge der Opposition vor, die erstmals beraten und anschließend zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung überwiesen wurden.
Überweisungsbeschluss nach Hammelsprung
Der Überweisungsbeschluss wurde mit der Mehrheit von 413 Stimmen bei einer Enthaltung gefasst. Die Stimmen wurden gezählt, weil die AfD-Fraktion vor der Abstimmung die Beschlussfähigkeit des Parlaments angezweifelt hatte und die amtierende Bundestagspräsidentin Petra Pau (Die Linke) daraufhin einen sogenannten Hammelsprung einleitete, bei dem alle Abgeordneten den Saal verlassen und durch getrennte Türen (für Ja, Nein und Enthaltung) den Plenarsaal wieder betreten und dabei gezählt werden. Die für die Beschlussfähigkeit erforderliche Mehrheit von 355 Abgeordneten war damit erreicht, was die Abgeordneten der anderen Fraktionen mit frenetischem Beifall quittierten.
Der Debatte lag ein Antrag der FDP (19/5077) zugrunde, in dem unter anderem der Aufbau einer „Nationalen Agentur für Wissenschaftliches Talent“ gefordert wird, um Spitzenforscher zu gewinnen. Ebenfalls debattiert wurden ein Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Prekäre Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft wirksam begrenzen“ (19/6420), ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen mit der Überschrift „Eine weltoffenes Land für freie Wissenschaft“ (19/6426) und ein Antrag der AfD mit dem Titel „Wissenschaftlichem Nachwuchs in Deutschland eine Perspektive geben“ (19/6424).
FDP: Deutschland droht zurückzufallen
Dr. Thomas Sattelberger (FDP) beklagte, dass Deutschland in der Spitzenforschung zurückzufallen drohe. Es müssten vor allem viel mehr Ausnahmetalente gefördert werden. Die Bundesregierung habe hingegen „eine besondere Vorliebe für das Mittelmaß“. Sattelberger forderte den Aufbau eines „Frühwarnsystems“, das einerseits aufkommende frühe Trends in der Wissenschaft und Forschung sowie Gründungen, Patente und webbasierte Indikatoren von Beginn an identifiziere und andererseits Bewegungen von Wissenschaftlern anzeige, damit Deutschland bereits zu Beginn neuer Entwicklungen agieren könne.
Zudem warb er für eine Nationale Agentur für Wissenschaftliche Talente, um Spitzenforscher zu gewinnen. Dabei sollen modernste Methoden der Personalrekrutierung in der Wirtschaft und der Headhunting-Branche für die Personalgewinnung von Top-Wissenschaftlern und Wissenschaftstalenten genutzt werden.
CDU/CSU: Forschungseinrichtungen stark aufgestellt
Für die CDU/CSU lobte Dr. Stefan Kaufmann den Wissenschaftsstandort Deutschland. Er wies auf den im Oktober veröffentlichten Bericht des Weltwirtschaftsforums hin, wonach Deutschland an Platz drei der 140 innovationsstärksten Länder der Welt liege, hinter den USA und Singapur. Dabei punkte Deutschland nicht nur bei den wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Patentanmeldungen, sondern auch bei dem hohen Qualitätsanspruch.
Die Universitäts- und Forschungseinrichtungen seien stark aufgestellt. Kaufmann sagte: „Insgesamt haben wir exzellente Rahmenbedingungen für Spitzenforschung und Made in Germany geschaffen.“ Deutschland sei mit 23 der weltweit 200 besten Universitäten hier ebenfalls auf Platz drei. Ferner habe der Brain Drain exzellenter deutscher Forscher ins Ausland gestoppt werden können.
AfD: Kostenlose Studiengänge, mittelmäßige Studenten
Dr. Götz Frömming (AfD) sagte, es sei wichtig Deutschland für die Wissenschaft noch attraktiver zu machen und dem deutschen wissenschaftlichen Nachwuchs eine Perspektive zu geben. Dabei müssten immer die Perspektiven der jungen Wissenschaftler, auch der ausländischen, aber auch die Interessen Deutschlands berücksichtigt werden. Das vermisse er bei den Anträgen der Linken und der Grünen. Diese würden den Eindruck erwecken, als müssten Universitäten „neben ihrer eigentlichen Aufgabe auch perfekt durchgegenderte Quotenweltsozialämter sein“.
Frömming zeigte sich besorgt, dass nach seiner Kenntnis bis zum Jahr 2026 rund 100.000 Ingenieure in Deutschland fehlen werden und das, obwohl in Deutschland 2,8 Millionen Menschen studieren, davon 270.000 Ausländer. Davon bleibe nur ein Drittel nach dem Studium in Deutschland und „darunter nicht immer nur die Besten“. Umgekehrt gelinge es nicht, wirklich kluge Köpfe wieder nach Deutschland zurückzuholen. Deutschland sei im internationalen Vergleich für Wissenschaftler nicht attraktiv genug. Frömming beklagte „die Massenuniversitäten, die mit kostenlosen Studiengängen viele mittelmäßige Studenten“ anlocken würden. Dort finde man nicht die besten Arbeitsbedingungen.
SPD: Menschen sind keine Forschungsmaschinen
Dr. Karamba Diaby (SPD) kritisierte vor allem den Antrag der FDP, da er den Menschen vergesse: „Für mich sind Menschen keine Forschungsmaschinen, keine Zahlen, keine Mittel, um ein Ziel zu erreichen.“ Er unterstrich, dass internationale Mobilität auch immer mit Mut und Hoffnung zu tun habe, und damit, Vertrautes zu verlassen, Neues zu entdecken und anzukommen. Er unterstrich, wie wichtig ein gutes Klima der Offenheit in Deutschland sei. Grundsätzlich lobte Diaby die Forschungslandschaft.
Mit den großen Wissenschaftspakten wie dem Hochschulpakt, der Exzellenzinitiative und dem Pakt für Forschung und Innovation sei internationale Wettbewerbsfähigkeit gestärkt worden. Es hätten sich mit 360.000 internationalen Studenten in 2017 fünf Prozent mehr ausländische Studenten an deutschen Hochschulen eingeschrieben als noch in 2016. Diaby sagte: „Das heißt, dass wir mithalten können auf internationaler Ebene.“ Er erwähnte zudem das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, womit die Einwanderung nach Deutschland in Zukunft transparenter gestaltet werden soll.
Linke: FDP setzt nur auf pure Konkurrenz
Dr. Petra Sitte (Die Linke) unterstrich, dass zwischen Ländern und Wissenschaftseinrichtungen wissenschaftlicher Wettbewerb normal sei, der FDP-Antrag die Sicht allerdings einseitig verenge. „Pure Konkurrenz ist der Grundgedanke dieses Antrages“, kritisierte sie. In der Logik würden Wissenschaftler nur zu Faktoren einer Standortlogik werden. Sie kritisierte, dass Wissenschaft und Forschung erneut unternehmerisch betrachtet würden. Die seit 20 Jahren währende Praxis habe jedoch zu deutlichen Einschränkungen von der Freiheit von Forschung und Lehre geführt.
Sitte warb dafür, Wissenschaft und Forschung auf kooperatives oder kollaboratives Arbeiten mit Gemeinwohlorientierung auszurichten. Wissenschaftler würden heute zeitgleich weltweit an ähnlichen und komplexen Problemstellungen arbeiten, meist global. Sie fragte in Richtung FDP: „Meinen Sie denn wirklich, dass die Forschung an Klimawandel, Digitalisierung künstlicher Intelligenz, Nachhaltigkeit, Mobilität und Gesundheit gewinnt, wenn man sie auf Deutschland konzentriert?“ Ein „Human Grabbing“, das Wegschnappen von Wissenschaftlern politisch zu legitimieren, sei die falsche Ausrichtung.
Grüne: Kooperation statt Ellbogen
„Weltoffenheit gehört seit eh und je zum Kern der Wissenschaft“, sagte Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen). Neue Ideen würden Grenzen in den Köpfen überwinden, genauso wie Forscher die Grenzen zwischen Staaten. Die Auslandsmobilität an den Hochschulen sei hoch, der deutsche Wissenschaftsstandort sehr attraktiv, betonte Gehring. Deutschland sei drittbeliebtestes Gastland für internationale Studenten.
Für viele Spitzenforscher sei Deutschland allerdings nicht die erste Adresse, gab er dem FDP-Abgeordneten Sattelberger recht und sagte dann an die Adresse der FDP: „Die Lösung, die Sie präsentieren, geht am Problem aber völlig vorbei. Wir brauchen keine nationale Headhunting-Agentur, die weltweit die klügsten Köpfe identifiziert und akquiriert.“ Wissenschaft sei schließlich keine Castingshow. Wissenschaft brauche Kooperation statt Ellbogen. Die Konzentration müsse künftig vor allem darauf gerichtet werden, den Rahmen für die Wissenschaftler zu verbessern. Oftmals seien es die Einreise- und Arbeitsbedingungen, die Topforscher vor einem Wechsel nach Deutschland abschrecken. „Da müssen wir ran“, sagte Gehring.
Gewinnung von Spitzenforschern forcieren
In ihrem Antrag weist die FDP daraufhin, dass der Wohlstand Deutschlands als Wissens- wie Industriegesellschaft entscheidend davon abhänge, wie weit es gelinge, in Wissenschaft, Forschung und Transfer international eine Spitzenstellung einzunehmen und zu halten. Um dies zu schaffen, müsse Deutschland weit mehr als bislang tun. Deutsche Talente müssten bestmöglich gefördert werden. Darüber hinaus fordert die FDP zum einen, exzellente Wissenschaftler aus anderen Ländern zu gewinnen und zu gehalten („Brain Gain“), und zum anderen, deutsche Wissenschaftler, die in den USA und anderen Ländern forschten, wieder für Deutschland zurückzugewinnen.
Dazu plädiert die FDP in ihrem Antrag für den Aufbau einer „Nationalen Agentur für Wissenschaftliches Talent“ (National Agency for Scientific Talent), in der modernste Methoden der Personalrekrutierung in der Wirtschaft und der Headhunting-Branche für die Personalgewinnung von Top-Wissenschaftlern und Wissenschaftstalenten genutzt werden, um gezielt diejenigen zu gewinnen, die Forschung, Wissenschaft und Transfer voranbringen. Ferner solle ein „Frühwarnsystem“ aufgebaut werden, das einerseits aufkommende frühe Trends in der Wissenschaft und Forschung sowie Gründungen, Patente und webbasierte Indikatoren von Beginn an identifiziert beziehungsweise sichtbar macht und andererseits Wanderungsbewegungen von Wissenschaftlern anzeigt, damit Deutschland bereits zu Beginn neuer Entwicklungen agieren kann.
FDP fordert „qualifizierte Studie“
Neben weiteren Vorschlägen will die FDP zudem eine qualifizierte Studie zur aktuellen Zusammensetzung des wissenschaftlichen Personals in Deutschland erstellen. Derzeit seien keine genauen Daten und Zahlen dazu bekannt, wie sich deutsche Wissenschaftler in der Welt bewegen, warum und für wie lange sie Deutschland verlassen, warum, wann und wie viele internationale Wissenschaftler nach Deutschland kämen, bleiben oder weiterziehen.
Die Push- und Pull-Faktoren müssten identifiziert werden. Hier bedürfe es Klarheit, um gezielt Ursachen für Abwanderung und Zuwanderung anzugehen und ebenfalls gezielt Maßnahmen zur Gewinnung der besten Köpfe ergreifen zu können.
Antrag der Linken
Die Linke fordert die Bundesregierung unter anderem auf, die durch Zeitverträge befristete Finanzierung des Wissenschaftssystems zu beenden und eine dauerhafte Finanzierung sicherzustellen. Die Einnahmesituation der Länder müsse mittelfristig durch die stärkere Besteuerung von Vermögen und hohen Einkommen verbessert werden. Darüber hinaus verlangt die Fraktion eine Überarbeitung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes.
Darüber hinaus sollen Karrierewege und Personalstrukturen in der Wissenschaft reformiert werden, um dem Wissenschaftspersonal eine breitere Berufsperspektive neben der Professur zu ermöglichen.
Antrag der AfD
Die AfD will, dass die Entwicklung einer geschlossenen Strategie für eine Außenwissenschaftspolitik vorangebracht wird. Auch solle ein Einwanderungsgesetz vorgelegt werden, das an nationalen Interessen und Präferenzen ausgerichtet ist. Kooperationen zwischen Universitäten und außeruniversitären Einrichtungen sollten künftig enger miteinander vernetzt werden.
Voranbringen will die Fraktion auch den Aufbau von Infrastrukturzentren zur gemeinsamen Nutzung durch Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen.
Antrag der Grünen
Die Grünen wollen die Internationalisierung des Wissenschaftssystems vorantreiben und die Attraktivität der Studien- und Arbeitsbedingungen in Wissenschaft und Forschung verbessern. Ferner fordern sie die Bundesregierung auf, die Wahrung der Wissenschaftsfreiheit zu einem wichtigen Ziel der Außen- und Menschenrechtspolitik zu machen.
So sollten bei Forschungskooperationen Staaten mit schwach ausgeprägter Wissenschaftsstruktur in der Weiterentwicklung ihrer Hochschul- und Forschungseinrichtungen unterstützt und gezielt Austauschprogramme für Wissenschaftspersonal und Studierende angestoßen werden. (rol/vom/14.12.2018)