Bundestag hat das Pflegesofortprogramm erstmals beraten
Erstmals hat der Bundestag über das im Koalitionsvertrag vereinbarte Pflegesofortprogramm beraten. Mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (19/4453), das am Donnerstag, 27. September 2018, auf der Tagesordnung stand, soll der Personalengpass in der Pflege verringert und die Versorgungsqualität verbessert werden. So sollen in der stationären Altenpflege 13.000 neue Stellen geschaffen und finanziert werden. Je nach Größe erhalten die Pflegeeinrichtungen zwischen einer halben und zwei Pflegestellen zusätzlich. Mitberaten wurden auch ein Antrag der AfD für gleiche Finanzierungsgrundlagen in der Pflege (19/4537) und zwei Anträge der Fraktion Die Linke, in denen sich diese für eine Stärkung des Personals in der Altenpflege (19/4524) sowie des Krankenhauspersonals (19/4523) einsetzt. Die Vorlagen wurden im Anschluss an die Debatte im Plenum zur weiteren Beratung in die Ausschüsse überwiesen. Die Federführung hat dabei der Gesundheitsausschuss übernommen.
Ziel einer Mindestpersonalausstattung
Die Pflegepersonalkosten der Krankenhäuser werden ab 2020 aus den Fallpauschalen herausgenommen und auf eine krankenhausindividuelle Vergütung umgestellt. Zudem wird ab 2020 erstmals in Kliniken ein Pflegepersonalquotient ermittelt, der das Verhältnis der Pflegekräfte zum Pflegeaufwand beschreibt. Damit soll eine Mindestpersonalausstattung in der Pflege erreicht werden.
Jede zusätzliche oder aufgestockte Pflegestelle im Krankenhaus wird künftig vollständig von den Krankenversicherungen refinanziert. Bereits für das Jahr 2018 sollen rückwirkend auch Tarifsteigerungen für Pflegekräfte im Krankenhaus voll refinanziert werden. Der Gesetzentwurf sieht auch vor, ab 2019 die Ausbildungsvergütungen in der Kinderkrankenpflege, der Krankenpflege und der Krankenpflegehilfe im ersten Ausbildungsjahr durch die Kassen zu refinanzieren. Damit soll die Bereitschaft zur Ausbildung gestärkt werden.
Aufstockung des Krankenhausstrukturfonds
Der Krankenhausstrukturfonds soll ab 2019 für vier Jahre im Umfang von einer Milliarde Euro jährlich weitergeführt werden. Finanziert wird der Fonds hälftig aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds und Mitteln der Länder. Strukturveränderungen sollen mit dazu beitragen, Pflegekräfte effizient einzusetzen.
Der Gesetzentwurf sieht auch einige Regelungen vor, um die Attraktivität des Pflegeberufes unmittelbar zu verbessern. So sollen die Krankenkassen jährlich zusätzlich mehr als 70 Millionen Euro in die Gesundheitsförderung von Beschäftigten in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen investieren. Die Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf soll ausgebaut werden. Überdies soll eine Digitalisierungsoffensive dazu beitragen, Pflegekräfte zu entlasten. Der Gesetzentwurf, der im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig ist, soll zu Jahresbeginn 2019 in Kraft treten.
Minister: Der Pflegeberuf soll attraktiver werden
In der Debatte machte die Opposition deutlich, dass sie die Initiative grundsätzlich begrüßt, jedoch nicht für ausreichend hält, um der Pflegekrise wirksam zu begegnen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hingegen erklärte, mit dem Reformgesetz werde ein wichtiger Schritt unternommen, um den Pflegeberuf wieder attraktiver zu machen und die Versorgung zu verbessern. Spahn sagte, mit dem Gesetz würden Verabredungen der Koalition eingelöst. Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz sei ein entscheidender Teil dieser Verabredungen. Es gehe darum, konkrete Verbesserungen in der Pflege zu erzielen und den Menschen damit in Situationen beizustehen, in denen sie nicht mehr allein zurecht kämen. Jeder könne in die Lage kommen, Pflege zu benötigen oder sei als Familienangehöriger betroffen. Das Thema sei mittlerweile in jeder Familie angekommen, betonte der Minister. Die gesetzlichen Neuerungen brächten Hilfe im konkreten Alltag.
Der Minister räumte ein, dass die psychische und physische Belastung der Pflegekräfte teilweise zu groß sei. Manche Pflegekräfte müssten sehr lange am Stück arbeiten und dann auch noch einspringen, wenn jemand ausfalle. Zu einer solchen Dauerbelastung komme es in Krankenhäusern und in der Altenpflege zu oft. Mit der Gesetzesnovelle solle hier nun gegengesteuert werden. Spahn erneuerte seinen Wunsch, ausgestiegene Pflegekräfte und solche aus Teilzeit zurückzugewinnen. Dies sei möglich, wenn sich die Arbeitsbedingungen verbesserten. Mit der Novelle werde „ein starkes Signal“ gesendet, dass die Koalition die Lage der Pflegekräfte voll im Blick habe.
AfD sieht in der Vorlage nur ein Teilstärkungsgesetz
Die Opposition kritisierte vor allem die aus ihrer Sicht unzureichenden Verbesserungen in der Altenpflege. Mehrere Redner äußerten zudem die Befürchtung, die Altenpflege könnte Fachpersonal an die attraktiveren Kliniken verlieren.
Axel Gehrke (AfD) monierte handwerkliche Fehler im Gesetzentwurf und nannte als Beispiel die Kostenregelung für die medizinische Behandlungspflege in Pflegeheimen, die zu einem hohem Eigenanteil der Bewohner führe. Diese Mehrbelastungen seien ungerecht und müssten abgeschafft werden. Der Entwurf sei allenfalls ein Teilstärkungsgesetz, monierte Gehrke und forderte Nachbesserungen für die ambulante und häusliche Pflege.
Grüne: Altenpflege wird benachteiligt
Ähnliche Bedenken äußerte Kordula Schulz-Asche (Bündnis 90/Die Grünen), die von einer „bitter ernsten“ Situation sprach. Zwar sei die Intention gut und überfällig, der Versuch greife aber zu kurz. Der Gesetzentwurf beinhalte viele offene Fragen und Risiken. Für die Personaluntergrenzen in Kliniken gebe es keine nachvollziehbaren Kriterien. Die Altenpflege werde derweil benachteiligt und „zum Stiefkind“ gemacht.
Bedenklich sei auch, dass Pflegehilfskräfte eingestellt werden könnten, wenn keine Fachkräfte verfügbar seien. Pflegen könne aber nicht jeder. Die Grünen-Abgeordnete forderte ein Gesamtkonzept in der Pflege und spürbar bessere Arbeitsbedingungen.
Linke befürchtet einen Personalverschiebebahnhof
Harald Weinberg (Die Linke) erinnerte in seiner Rede daran, dass sich inzwischen die Pflegekräfte und Ärzte in Krankenhäusern zur Wehr setzten und damit eine ganz neue „Dynamik“ entstanden sei. Es gebe ein breites Bündnis aus Pflegeverbänden und Ärzteverbänden gegen den Pflegenotstand. Mit der jetzigen Novelle und der Rechtsverordnung zur Schaffung von Personaluntergrenzen in Kliniken sei ein Personalverschiebebahnhof zu befürchten.
Für die Altenpflege seien keine spürbaren Verbesserungen zu erwarten, die 13.000 Stellen deckten nicht ansatzweise den Bedarf. Dafür sei eine Abwanderung von Pflegekräften von der Altenpflege in die Krankenhäuser wahrscheinlich.
FDP fordert eine Pflegekampagne für mehr Personal
Auch die FDP sieht Schwächen in dem Gesetzentwurf. Nicole Westig (FDP) monierte, die Vorlage sei „gut gemeint, aber nicht gut gemacht“. Sie erinnerte zudem daran, dass es derzeit kaum Pflegefachpersonal auf dem Markt gebe und forderte eine Pflegekampagne. Mehr als 30.000 Stellen in der Pflege seien unbesetzt. Niemand könne sagen, woher die zusätzlichen Fachkräfte jetzt kommen sollten.
Auch Westig bemängelte, es gebe kein Gesamtkonzept, sondern nur viele Einzelmaßnahmen. In der Altenpflege würden Auszubildende voll eingesetzt und damit ausgenutzt. Das schaffe Frust statt Freude an der Arbeit. Die ambulante Altenpflege werde geschwächt. Im Wettbewerb um Pflegekräfte seien die Kliniken im Vorteil.
SPD betont Neuanfang in der Krankenhauspflege
Dr. Karl Lauterbach (SPD) räumte ein, dass die Pflegebranche nach wie vor in einer schwierigen Situation sei und die Fallpauschalen im Krankenhaus die Probleme tendenziell verschärft hätten. Über viele Jahre habe die Krankenhauspflege bei der Abrechnung zu höheren Kosten geführt, daher seien Pflegestellen abgebaut worden.
Nun werde ein „Neuanfang“ in der Krankenhauspflege eingeleitet. Die Kliniken könnten nun so viele Pfleger einstellen, wie sie wollten, ohne wirtschaftliche Nachteile zu erleiden. Lauterbach versprach, die Arbeitsbedingungen und Löhne in der Pflege sollten sich künftig drastisch verbessern. Allerdings gelte es auch, den Ersatz von Fachkräften durch Assistenzkräfte zu stoppen.
CDU/CSU: Persönliche Hinwendung ist wichtig
Roy Kühne (CDU/CSU) warnte davor, die Gesetzesinitiativen schlechtzureden. Mit der Novelle werde ein erster Schritt getan, danach gehe es weiter. Er betonte: „Die Wege, die wir gehen, sind gut.“ Wichtig sei in der Pflege die persönliche Hinwendung. In der Vergangenheit sei viel Empathie verloren gegangen, das solle sich nun wieder ändern, sagte er auch mit Blick auf die hohe Burnout- und Krankheitsrate in dem Beruf.
Mitberaten wurden Anträge der Fraktionen Die Linke (19/4523; 19/4524) sowie der AfD (19/4537) mit Forderungen, den Gesetzentwurf zugunsten der Pflegekräfte und Pflegeheimbewohner nachzubessern.
Antrag der AfD
Die AfD tritt in ihrem Antrag dafür ein, die medizinische Behandlungspflege in die alleinige Leistungspflicht der Krankenkassen zu überführen und aus den Pflegesätzen herauszulösen. Die Behandlung von pflegebedürftigen Heimbewohnern bei der Finanzierung von medizinisch behandlungspflegerischen Leistungen durch die gesetzliche Krankenversicherung sei ungerecht und müsse beendet werden, schreibt die Fraktion. Da die Pflegekassen nur die gesetzlich festgelegten Pauschalbeträge je Pflegegrad zahlten, trage der gesetzlich versicherte Heimbewohner einen großen Teil der medizinisch verordneten behandlungspflegerischen Leistungen selbst. Für privat versicherte Heimbewohner gelte dies entsprechend.
In der häuslichen Pflege übernehme jedoch die gesetzliche Krankenkasse alle Leistungen der medizinischen Behandlungspflege. Diese unterschiedliche Regelung führe dazu, dass stationäre Pflegeeinrichtungen deutlich weniger von den Pflegekassen für die gleichen, hochkomplexen Pflegeleistungen vergütet bekommen als es im ambulanten oder häuslichen Bereich der Fall sei. Gleichzeitig müssten die Pflegebedürftigen in vollstationären Einrichtungen die fehlende Refinanzierung durch hohe Eigenanteile an den Heimkosten ausgleichen, obwohl auch sie Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung zahlten.
Anträge der Linken
Die Linke fordert unter anderem, Berufe wie Hebammen und Entbindungspfleger, Heilmittelberufe, Ärztinnen und Ärzte sowie Reinigungspersonal bedarfsgerecht zu finanzieren und ein Instrument zur Ermittlung des Personalbedarfs zu entwickeln, um diesen berechnen zu können. Den Ländern solle als Anreiz für jeden zusätzlich in Krankenhäuser investierten Euro aus Bundesmitteln ein weiterer Euro für Krankenhausinvestitionen bis zu einer Gesamthöhe von 2,5 Milliarden Euro pro Jahr und auf zehn Jahre begrenzt gezahlt werden. Rehabilitationskliniken sollten in die Personalregelungen einbezogen werden.
Im Antrag zur Altenpflege verlangt Die Linke, die vollständige Refinanzierung tariflicher Bezahlung auch in der häuslichen Krankenpflege gesetzlich sicherzustellen. Für die stationäre Altenpflege will die Fraktion ein wissenschaftliches Personalbemessungsverfahren einführen, damit zusätzlich nur Fachkräfte in stationären Pflegeeinrichtungen eingesetzt werden. Die Kosten der medizinischen Behandlungspflege in stationären Altenpflegeeinrichtungen sowie in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe müssen nach Meinung der Fraktion gesetzlich vollständig refinanziert werden. Für die Altenpflege wünschen sich die Abgeordneten eine Investitionsoffensive. (pk/27.09.2018)