Geschichte

4. November 1918: Zahl der Aufständi­schen steigt an

Schwarzweiße Gruppenfotografie von 16 Matrosen, die an Deck eines Kriegsschiffes posieren und eine Texttafel in die Kamera halten
Ein mit sechs Textabsätzen in altdeutscher Schrift bedrucktes Flugblatt, dessen Titelzeile Seeleute und Arbeiter adressiert
Schwarzweiße Gruppenfotografie von zwölf teilweise bewaffneten Männern - sechs davon im Hintergrund stehend, vier in der Bildmitte sitzend und zwei im Vordergrund liegend

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Matrosen vom Linienschiff „Prinzregent Luitpold“ an Deck des Schiffes mit der Tafel „Soldatenrat Kriegsschiff Prinzregent Luitpold. Es lebe die sozialistische Republik“ (Aufnahme von November 1918) (© Bundesarchiv)

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Aufruf der Reichsregierung an die aufständischen Matrosen und Arbeiter in Kiel vom 4. November 1918 zur Wiederherstellung der Ordnung. (© picture-alliance/akg-images)

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Eine Gruppe bewaffneter Arbeiter und Soldaten in Kiel; angeforderte Truppeneinheiten und Werftarbeiter schließen sich dem Aufstand der Matrosen an. (© picture-alliance/akg-images)

Montag, 4. November 1918

Der Matrosenaufstand dehnt sich auf die Stadt Kiel, dann auch auf die weitere Umgebung aus. Schiffsbesatzungen lehnen sich gegen ihre Vorgesetzten auf, sie nehmen Offiziere fest und hissen die Rote Flagge. Werftarbeiter schließen sich der Bewegung an; sie legen die Arbeit nieder und versammeln sich zu Kundgebungen. 

Befreiung von Matrosen wird angeordnet

In Betrieben und militärischen Einheiten werden Arbeiter- und Soldatenräte gebildet. Um die Lage zu beruhigen, ordnet der Kieler Gouverneur Wilhelm Souchon die Befreiung von 16 gefangenen Matrosen an, die im Triumphzug ins Stadtzentrum gebracht werden.

Aber auch dies kann den Aufstand nicht mehr eindämmen. Die aus benachbarten Standorten zur Hilfe geholten Truppen weigern sich, gewaltsam gegen die Aufständischen vorzugehen. 

Ein Teil der Soldaten zieht wieder ab, während andere zu den Aufständischen übergehen. Auch die Soldaten der Garnison verbrüdern sich mit den Aufständischen. Im Laufe des Tages erhöht sich die Zahl der den Aufstand tragenden Marinesoldaten und Landtruppen von 20.000 auf 40.000 Personen. 

Regierung bemüht um Deeskalation

Am Abend bildet sich ein „Provisorischer Zentraler Arbeiter- und Soldatenrat“, der die zivile und militärische Macht in Kiel übernimmt. Es treffen auch der mehrheitssozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Gustav Noske und der parlamentarische Staatssekretär Conrad Haußmann von der Fortschrittlichen Volkspartei in Kiel ein. Sie sollen im Auftrag der Reichsregierung auf die Eindämmung des Aufstands hinwirken. 

Noske wird Vorsitzender des Soldatenrats

Um sich selbst eine militärische Machtbasis zu sichern, lässt sich Gustav Noske zum Vorsitzenden des Soldatenrats wählen. Bei den im Beisein von Haußmann und Noske stattfindenden Verhandlungen des Soldatenrats mit dem Kieler Gouverneur Admiral Wilhelm Souchon können die Aufständischen unter anderem Straffreiheit für die Aufrührer, die Freilassung der Inhaftierten, den Verzicht auf Gegenmaßnahmen gegen Aktionen der Aufstandsbewegung, den Verzicht auf jede operative Unternehmung der Flottenführung sowie die Unterwerfung aller künftigen militärischen Maßnahmen unter die Zustimmung des Soldatenrats durchsetzen. 

Staatssekretär Haußmann sagt zu, bei der Reichsregierung auf eine beschleunigte Durchführung der vom Soldatenrat geforderten 14 Punkte hinzuwirken.

Reichsleitung wendet sich an das Volk

In einem Aufruf „an das deutsche Volk“ verweist die Reichsleitung auf die durchgeführte verfassungsrechtliche Neugestaltung und bekundet feierlich das Vertrauen der Regierung zum Volk. 

Zugleich hebt sie hervor, dass die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit nur durch das Volk möglich sei. Jede Disziplinwidrigkeit gefährde den baldigen Abschluss eines Friedensvertrags und die Heimkehr der für den Wiederaufbau der Volkswirtschaft dringend benötigten Soldaten. 

In einem weiteren Aufruf „an die Matrosen und Arbeiter“ bedauert die Reichsregierung die eingetretene gewaltsame Störung der Ordnung in den Küstengebieten und verspricht, die Hintergründe dieser Vorfälle zu untersuchen. Sie dementiert das „ausgestreute Gerücht“, dass Offiziere der Flotte sich gegen die Friedenspolitik der Regierung aufgelehnt und den Untergang der Flotte in einer sinnlosen Seeschlacht geplant hätten.

Warnung vor einem Bürgerkrieg

Die Regierung bekennt sich zum Friedenswillen, warnt aber davor, den Völkerkrieg zu beenden, um den Bürgerkrieg zu beginnen. Sie verspricht, Beschwerden zu untersuchen und berechtigte Forderungen zu erfüllen. 

Darüber hinaus bekennt sie sich aber auch zu der Pflicht, mit allen verfügbaren Mitteln das Volk vor dem Elend zu schützen, das aus der Zerstörung der Ordnung drohe. Sie appelliert an die Anführer des Aufstands, mit dafür zu sorgen, „dass wir ohne blutige Wirren unsere inneren Angelegenheiten in gesetzlicher Freiheit ordnen können“.

Anonyme Streikaufrufe kursieren in Betrieben

Der mehrheitssozialdemokratische Parteivorstand warnt in einem in der Parteizeitschrift Vorwärts veröffentlichten Aufruf die Mitglieder und Anhänger der Partei, keinesfalls den anonymen Streikaufrufen Folge zu leisten, die zurzeit massenhaft in den Betrieben kursieren.

Verstärktes Vorgehen gegen die USPD

In Berlin beginnen die Sicherheitsbehörden, verstärkt gegen die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD) vorzugehen. 

Am 4. November und an den folgenden Tagen werden führende Mitglieder der Partei überwacht oder verhaftet, Gremiensitzungen der Partei aufgelöst (unter anderem eine Sitzung der als Arbeiterrat konstituierten Revolutionären Obleute am 6. November), Kundgebungen der Partei verboten (7. November), das Gebäude des Parteivorstands durchsucht (8. November) und mehrere kriegswichtige Großbetriebe, in denen die Partei über eine große Anhängerschaft verfügt, militärisch besetzt. (ww/04.11.2018)

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