Abgeordnete unterstützen Klinik für Folteropfer in Ägypten
Sie werden zu Unrecht inhaftiert, erhalten unverhältnismäßig harte Strafen, sind Opfer politisch instrumentalisierter Justiz: In vielen Ländern ohne rechtsstaatliche Verfassung widerfährt Parlamentariern, aber auch ehemaligen Abgeordneten, Menschenrechtlern, Journalisten und Dissidenten und ganz normalen engagierten Bürgern ein solches Schicksal. Dass Menschen wegen ihres Einsatzes für universale Grundrechte von autoritären Regierungen drangsaliert werden, kann Dr. Lukas Köhler (FDP), Mitglied des Deutschen Bundestages, nicht ertragen. Gleich zu Beginn der neuen Wahlperiode hat sich Köhler daher entschlossen, eine Patenschaft im Rahmen des Programms „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ des Deutschen Bundestages zu übernehmen.
In dem Programm, das vom Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe betreut wird, können Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen Personen unterstützen, die sich für die Einhaltung der Menschenrechte und Demokratie einsetzen und deswegen staatliche Willkür erleiden. Bereits im Jahr 2003 wurde es durch eine fraktionsübergreifende Initiative von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP mit dem Titel „Schutz von bedrohten Menschenrechtsverteidigern“ (15/2078) geschaffen.
Fraktionsübergreifende Verteidigung der Menschenrechte
Gemeinsam mit den Abgeordneten Dr. Bärbel Kofler (SPD) und Margarete Bause (Bündnis 90/ Die Grünen), die mit Dr. Magda Adly und Suzan Fayad jeweils eine ägyptische Menschenrechtsverteidigerin unterstützen, ließ Köhler die Medizinerin Dr. Aida Seif Al-Dawla, eine der drei Mitbegründerinnen des Nadeem-Zentrums für Folteropfer in Kairo, Anfang Juni in das Bundestags-Programm aufnehmen.
Köhler legt Wert darauf zu unterstreichen, dass sich drei Bundestagsabgeordnete unterschiedlicher Fraktionen für das Nadeem-Zentrum und seine Gründerinnen stark machen. Die Menschenrechte sind für ihn und seine Mitstreiterinnen ein so hohes Gut, dass sie deren Verteidigung als fraktionsübergreifende Angelegenheit begreifen, jenseits parteipolitischer Profilierung. „Es ist ein sehr gutes Signal, dass wir drei Abgeordneten gemeinsam die Aktivistinnen schützen“, sagt Köhler.
Nadeem-Zentrum hilft Folteropfern
Das Nadeem-Zentrum in Kairo engagiert sich seit über zwanzig Jahren gegen Gewalt und Folter seitens der ägyptischen Sicherheitskräfte, erzählt Lukas Köhler. Es bietet Opfern juristische Beratung, medizinische und psychologische Behandlung und dokumentiert die behandelten Fälle staatlicher Gewalt. Die vom Nadeem-Zentrum betriebene Klinik für Folteropfer ist laut Amnesty International die einzige derartige Einrichtung in Ägypten. Die Fachärztin für Psychiatrie, Aida Seif Al-Dawla, die nun durch Köhler unterstützt wird, leitet dort das Rehabilitationsprogramm für Folterüberlebende.
Zunächst lag der Schwerpunkt des Zentrums darin, Geschädigte medizinisch-psychiatrisch zu versorgen, so Köhler weiter. Dabei hatten die drei Gründerinnen vor allem Opfer politischer Gewalt im Auge. Nach einigen Jahren entschied das Zentrum dann, nicht mehr länger nur stummer medizinischer „Reparaturbetrieb“ für die Opfer der staatlichen Willkürherrschaft sein zu wollen.
Die drei Aktivistinnen erachteten es vielmehr als notwendig, die behandelten Fälle auch umfassend zu dokumentieren und ausführliche Berichte zu schreiben, vor allem, um die lückenhafte Datenlage zu überwinden, aber auch, um dem Wunsch vieler Opfer nach Öffentlichkeit zu entsprechen.
Dokumentation von Folterfällen
Die Klinik setzte also da an, wo staatliche Krankenhäuser sich in vorauseilendem Gehorsam gegenüber den Behörden zurückhielten und eine regelmäßige und umfassende Dokumentation über die offenbar massiven Schäden, die die Opfer durch Polizeigewalt erfahren hatten, verweigerten, erklärt Köhler. Der Fokus des Zentrums lag fortan immer stärker auf der Dokumentation von Folterfällen, von Fällen, denen in Haftanstalten medizinische Versorgung verweigert wurde, über Fälle von Verschwindenlassen bis hin zu außergerichtlichen Hinrichtungen. „Eine so willkürliche, brutale und barbarische Folter wie wir sie durch die verschiedenen Sicherheitsbehörden seit 2013 erleben, gab es seit 1993 nicht mehr“, schreibt Al-Dawla in einem Beitrag für Amnesty International über die aktuelle Situation in ihrem Land.
Im Visier der ägyptischen Regierung
Mit diesem Schritt aber gerieten die drei Menschenrechtsverteidigerinnen immer mehr in die Schusslinie der ägyptischen Regierung und ihrer Sicherheitsbehörden. Seit 2016 gingen die Behörden massiv gegen das Zentrum vor. Im Februar 2017 ordneten sie die Schließung der Klinik an. Begründung: Die Arbeit der Einrichtung schade dem internationalen Ansehen Ägyptens und der nationalen Sicherheit.
Doch al-Dawla und ihre Kollegen ließen sich bis heute nicht klein kriegen und wollen weitermachen, berichtet Köhler. Der Kampf gegen Folter sei für die Drei und ihre Mitarbeiter zu einem persönlichen Anliegen geworden. Auch nach der Schließung der Klinik hörten deren Therapeuten nicht auf, die Patienten zu versorgen. Für sein mutiges und ungebrochenes Engagement hat das Zentrum den Menschenrechtspreis 2018 der deutschen Sektion von Amnesty International erhalten.
Rote Karte für menschenverachtende Methoden
Bereits mit der neuen Gesetzgebung für Nicht-Regierungsorganisationen, dem sogenannten NGO-Gesetz vom Mai 2017 hatten sich die Rahmenbedingungen für private, zivilgesellschaftliche Einrichtungen wie dem Nadeem-Zentrum verschlechtert, erinnert Köhler. Das NGO-Gesetz hatte auch auf internationaler Ebene für Unmut gesorgt, waren doch auch deutsche Stiftungen betroffen. So musste die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung ihre Arbeit in Ägypten einstellen und unterhält dort nur noch ein Verbindungsbüro. Einrichtungen wie das Nadeem-Zentrum müssten sich nun gegen die Vorwürfe und Sanktionen der staatlichen Stellen in kostspieligen Gerichtsverfahren zur Wehr setzen, Mitarbeiter würden mit Ausreiseverboten belegt. Auch Al-Dawla darf das Land nicht verlassen, so Köhler. Diese Schikanen sind für den 32-jährigen Obmann des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Grund genug, der Regierung in Kairo die rote Karte zu zeigen und ins Gewissen zu reden. „Auf diese Punkte halten wir als Bundestagsabgeordnete in Gesprächen mit ägyptischen Regierungsstellen und Parlamentariern den Finger drauf und sagen: So nicht.“
Gespräche beim Botschafter
Zum Beispiel bei einem Termin, den Köhler mit dem ägyptischen Botschafter in Berlin hatte. Während der Botschafter eine Zuständigkeit oder gar Verantwortung seiner Regierung bestritt und darauf verwies, dass rechtliche Streitigkeiten in Ägypten in einem unabhängigen juristischen Verfahren behandelt würden, habe Köhler dem entgegengehalten, dass sich die repressiven Maßnahmen der ägyptischen Regierungsstellen gegen das Nadeem-Zentrum jenseits international anerkannter rechtsstaatlicher Regeln bewegen.
Er habe beim Botschafter darauf gedrängt, dass Ägypten rechtsstaatliche Standards einhält. „Da kann ich als deutscher Abgeordneter einiges bewirken“, ist Köhler sich sicher.„Ägypten hat ein ausgeprägtes Interesse mit uns zusammenzuarbeiten, da haben wir gewisse Möglichkeiten Druck auszuüben“. Außerdem sei Ägypten um sein internationales Ansehen besorgt und wolle als Kulturnation und Tourismusmagnet auf keinen Fall ein Image-Problem bekommen.
Gespräche beim Botschafter hinter verschlossenen Türen sind ein wichtiges Instrument, das Abgeordneten zur Verfügung steht, um sich gegenüber einer ausländischen Regierung für Menschenrechte und Demokratie sowie deren Vorkämpfer einzusetzen. Außerdem versucht Köhler mittels klassischer Öffentlichkeitsarbeit Aufmerksamkeit für seinen Fall zu gewinnen und weist beispielsweise von Zeit zu Zeit in einer Pressemitteilung auf das Engagement von Aida Seif Al-Dawla und die Missstände in Ägypten hin.
Hilfe für Einzelne hilft Lage insgesamt zu verbessern
Anhand konkreter Fälle auf die allgemeine Situation in einzelnen Ländern und auf internationaler Ebene hinzuweisen, dazu sei das PSP-Programm des Deutschen Bundestages eine exzellente Möglichkeit. „Weltweit besteht riesiger Handlungsbedarf bei der Verbesserung der Menschenrechtssituation, beim Kampf für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Mit einer Patenschaft im PSP-Programm kann ich als Parlamentarier dazu meinen bescheidenen Beitrag leisten“, sagt Lukas Köhler. Und das Programm habe weiteres Wachstumspotenzial, so der Abgeordnete aus München. Neuen Abgeordneten im Bundestag, denen er davon erzähle, seien begeistert. Während er selbst jetzt zunächst Erfahrung mit seinem ersten Fall sammeln wolle, werbe er unter Abgeordnetenkollegen bereits um neue Patenschaften.
Dabei stoße er überall auf offene Ohren. So seien viele bereit, eine Patenschaft für verfolgte Menschenrechtsverteidiger einzugehen. Auf der anderen Seite geben langjährige Mitglieder des Bundestages wertvolle Ratschläge, was sich mit einer solchen Patenschaft erreichen lässt und wo auch für Parlamentarier unüberwindbare Grenzen bestehen. Um sich in den regionalen Kontext einzuarbeiten baue er auf die dort tätigen deutschen Stiftungen, die seien eine verlässliche Informationsquelle vor Ort. „Letztendlich lernt man aber am meisten, wenn man selbst vor Ort ist“, ist Köhler überzeugt. Und so plant er noch dieses Jahr nach Ägypten zu reisen. Dabei gehe es einerseits um die Umweltprobleme des Landes. Er wolle aber auch Aida Seif Al-Dawla einmal persönlich kennenlernen.
Globalisierung der Menschenrechte
Seine Mitgliedschaft und Arbeit im Ausschuss für Menschenrechte und sein Engagement im Patenschaftsprogramm befruchten sich wechselseitig, sagt Köhler. Das sei die ideale Basis für seine Arbeit im Bereich der Menschenrechte. Einerseits lerne er durch die politische Arbeit im Ausschuss noch viel, so der Bundestagsneuling. Dort erfahre er, wer zu welcher Frage die richtigen Ansprechpartner sind und wo er die Informationen bekomme, die er benötige. Das für das PSP-Programm zuständige Referat sei zudem stets eine wertvolle Hilfe. Andererseits bringe er sein fachliches Wissen in die Bundestagsarbeit und die spezifischen Erfahrungen aus seiner Arbeit für Aida Seif Al-Dawla ein. Professionellen Zugang zu dem Thema Menschenrechte hat sich Lukas Köhler bereits aus der wissenschaftlichen Perspektive erarbeitet. So hat er während seiner Universitätsstudien über Internationalisierung von Menschenrechtsstandards, Generationengerechtigkeit und Klimaschutz geforscht.
Köhler spricht aber auch aus tiefster persönlicher Überzeugung, wenn er angesichts der immer stärkeren internationalen Vernetzung, eines immer intensiveren Austauschs zwischen Menschen, und von Waren und Dienstleistungen auch eine „Globalisierung“ der Menschenrechte anmahnt. Zu viele Länder hinken seiner Meinung nach noch hinterher.„Menschenrechte sind als universeller Standard unverzichtbar, weil wir im Zuge der Globalisierung weltweit einander immer näher rücken. Ob als Basis des Grundgesetzes oder als Charta der Menschenrechte - sie bilden den zentralen Kern unseres menschlichen Zusammenseins.“ (ll/24.08.2018)