Bundestag bestellt Seehofer zu Aktueller Stunde zur Seenotrettung ein
Während einer von der Linksfraktion verlangten Aktuellen Stunde zum Thema „Seenotrettung im Mittelmeer durchsetzen“ hat der Deutsche Bundestag am Mittwoch, 27. Juni 2018, auf Antrag der Grünen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ins Plenum zitiert. Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) unterbrach daraufhin die Sitzung, Seehofer fand sich kurz darauf auf der Regierungsbank ein.
Am Umgang mit dem deutschen Rettungsschiff „Lifeline“ übten insbesondere Linke und Grüne in einer emotionalen Debatte heftige Kritik. Das Schiff mit etwa 230 Flüchtlingen an Bord, die zuvor aus Seenot gerettet worden waren, hatte sechs Tage vor der maltesischen Küste ausgeharrt. Heute hatte der Ministerpräsident Maltas, Joseph Muscat, schließlich angekündigt, dass es dort einen Hafen anlaufen könne. Die Bundesregierung prüft derweil die Aufnahme eines Teils der Menschen, doch Seehofer stellte am Rande einer Sitzung des Bundestags-Innenausschusses Bedingungen für eine mögliche Aufnahme: So sei eine Voraussetzung, dass das Schiff beschlagnahmt werde.
Grüne kritisieren Untätigkeit des Bundesinnenministers
In einer emotionalen Debatte übten Abgeordnete am Verhalten der Bundesregierung heftige Kritik. Luise Amtsberg (Bündnis 90/Die Grünen), die selbst einige Stunden an Bord des Schiffes war, warf dem Innenminister „Untätigkeit“ vor. „Sie tragen Verantwortung für die Innenpolitik der Bundesregierung, sie sind nicht der Wahlkampfmanager der CSU“, hielt sie Seehofer entgegen.
Die „Kriminalisierung“ der zivilen Seenotrettung müsse ein Ende haben. Solange die Europäische Union keine Lösung finde, um das Elend auf dem Mittelmeer zu lindern, gebe es dazu keine Alternative.
Linke setzt sich für zivile Seenotrettung ein
Der Linken-Abgeordnete Michel Brandt, der das Schiff ebenfalls besucht hatte, sagte in einer regelrechten Wutrede zu Seehofer: „Sie reden von europäischen Werten und Menschenrechten, während Leichen an die Mauern von Europa gespült werden.“ Für ein gutes Wahlergebnis in Bayern opfere er Menschenleben.
Er forderte die Kritiker der zivilen Seenotrettung auf: „Hören Sie endlich auf, diese mutigen Leute wie Kriminelle zu behandeln.“ Brandt forderte die sofortige Einsetzung einer staatlichen zivilen Seenotrettung und ein sofortiges Ende der Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache.
FDP fordert europäische Lösungen
Für die FDP forderte Gyde Jensen europäische Lösungen. Die EU müsse endlich gemeinsame Regeln für den Umgang mit Flüchtlingen finden, anstatt immer nur bei „Gefahr in Verzug“ zu reagieren. Das Mandat der europäischen Grenzschutzagentur Frontex müsse ausgeweitet und eine „echte europäische Grenzpolizei“ aufgebaut werden.
Außerdem müsse die Aufnahme und Verteilung der Flüchtlinge solidarischer vonstatten gehen. „Wir müssen die Grenzen Europas als gemeinsame Grenzen verstehen.“ Seehofer warf sie vor, Lösungen zu blockieren, während einzelne Bundesländer angeboten hätten, Flüchtlinge von der „Lifeline“ aufzunehmen. Diese würden Haltung und Menschlichkeit vor Machterhalt stellen.
Seehofer für „Schutzzonen“ in Drittstaaten aus
Innenminister Horst Seehofer (CSU) sah im Plenum indes keine „Handlungsnotwendigkeit für die Bundesrepublik Deutschland“. Er entnehme den Agenturen, dass das Schiff von Malta eine Einfahrtgenehmigung erhalten habe und acht EU-Staaten zur Aufnahme der Menschen bereit seien. „Über die Aufnahme von Flüchtlingen entscheiden demokratisch gewählte Regierungen und nicht Schlepper“, betonte er.
Der „bedauernswerte Fall der Lifeline“ zeige, wie wichtig es sei, endlich ein europäisches Regelwerk zu erarbeiten. So müssten die EU-Außengrenzen wirksamer kontrolliert und geschützt werden. Zudem sprach Seehofer sich für „Schutzzonen“ in Drittstaaten aus. Vorwürfe der Opposition, die Bundesregierung verhalte sich „inhuman“, wies er mit Verweis auf die große Aufnahmebereitschaft gegenüber Flüchtlingen zurück. Deutschland habe 2016 und 2017 mehr Flüchtlinge aufgenommen als die gesamte EU.
CDU/CSU: Rettungsinfrastruktur deutlich verbessert
Unterstützung bekam der Innenminister von Thorsten Frei (CDU/CSU). Deutschland und die EU hätten ihre Rettungsinfrastruktur auf dem Mittelmeer deutlich verbessert und viel Geld zur Verfügung gestellt, um Fluchtursachen zu bekämpfen. Im Rahmen der EU-Mission EUNAVFOR MED Sophia zur Schleuserbekämpfung, an der sich auch die Bundeswehr beteilige, hätten allein die deutschen Marinesoldaten bisher 22.500 Menschen aus dem Mittelmeer gerettet.
Auch gehe die Zahl der Menschen, die aus Afrika über das Mittelmeer nach Europa kämen, deutlich zurück. Frei warnte die zivilen Seenotretter davor, „Handlanger für Schlepper“ zu sein und Anreize für die gefährliche Flucht zu schaffen.
AfD: Schleuser und Flüchtlinge verlassen sich auf Rettung
Andreas Mrosek (AfD) argumentierte ähnlich und warf den Nichtregierungsorganisationen vor, sich an den Geschäften krimineller Schleuser zu beteiligen. Die Flüchtlinge nähmen die Fahrt auf sich, weil sie davon ausgehen könnten, rechtzeitig gerettet zu werden.
Darum wüssten auch die organisierten Schlepper. Sie ließen die Boote ohne Antriebsmotor und Kraftstoffvorrat bewusst in Seenot geraten, weil nach internationalem Recht jeder Kapitän verpflichtet sei, die Menschen aufzunehmen.
SPD: Europa darf nicht für Abschottung stehen
Aydan Özoğuz (SPD) verwies wie Frei auf die Bedeutung von EUNAVFOR MED Sophia, lobte aber auch den ergänzenden Einsatz der zivilen Helfer. Auf den Schiffen der Freiwilligen engagierten sich „ehemalige Matrosen, Mittelständler und Kapitäne, die nicht mehr zusehen wollen, wie Menschen ertrinken“. Ihr sei unverständlich, wie man das kriminalisieren könne.
Aufgabe der EU sei es, Lösungen zu finden, damit die privaten Initiativen überflüssig würden. Europa müsse für Rationalität und Solidarität stehen, nicht für Abschottung. (joh/27.06.2018)