Erneut debattiert hat der Bundestag am Donnerstag, 28. Juni 2018, über das Pro und Contra von Sanktionen im System des Arbeitslosengeldes II (ALG II). Es zeigte sich auch diesmal, dass die Positionen der Fraktionen nach wie vor weit auseinanderliegen. Daran änderte auch die Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales nichts, in dem sich ein Großteil der Sachverständigen am 4. Juni 2018 für eine Abschaffung beziehungsweise Entschärfung der Sanktionspraxis ausgesprochen hatten.
Namentliche Abstimmungen
Zur Abstimmung standen nun zwei Anträge der Fraktionen Die Linke (19/103) und Bündnis 90/Die Grünen (19/1711), in denen diese ein Ende der Sanktionen und eine bessere Betreuung der Arbeitslosen durch die Jobcenter fordern. Zumindest in letzterem Punkt herrschte fraktionsübergreifend Einigkeit.
Dennoch lehnten in namentlicher Abstimmung 534 Abgeordnete den Antrag der Linken ab, 126 stimmten ihm zu, es gab eine Enthaltung. Den Antrag der Grünen lehnten 522 Abgeordnete ab, 124 unterstützten ihn, es gab ebenfalls eine Enthaltung. Der namentlichen Abstimmung lag eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales (19/2748) zugrunde.
SPD: Es kann nicht so bleiben, wie es ist
Dagmar Schmidt (SPD) sagte: „Wir wollen Sanktionen nicht grundsätzlich abschaffen, aber es kann auch nicht alles so bleiben, wie es ist.“ So sollte es keine Sanktionierung der Kosten für Unterkunft und Heizung und keine verschärften Regeln für unter 25-Jährige mehr geben. Nötig sei vielmehr, diese jungen Menschen positiv zu motivieren, betonte Schmidt.
Darüber hinaus gehe es vor allem darum, Arbeitslosigkeit allgemein zu verhindern, da habe die Koalition einiges vor und wolle unter anderem noch in diesem Jahr ein Recht auf Weiterbildung gesetzlich verankern, so die SPD-Abgeordnete.
AfD: Sanktionen werden nicht leichtfertig erteilt
Jörg Schneider (AfD) stellte klar, dass aus seiner Sicht in den Jobcentern sehr verantwortungsvoll mit Sanktionen umgegangen werde, allein schon deshalb, weil dadurch auch mehr Arbeit auf die Mitarbeiter zukomme.
Es sei also mitnichten so, dass es einen leichtfertigen Umgang damit gebe, wie die Anträge suggerierten, so Schneider. Er verwies darauf, dass jeder Arbeitnehmer verschiedenste Meldepflichten erfüllen müsse und es deshalb nicht vermittelbar sei, warum Arbeitslose davon ausgenommen sein sollten.
CDU/CSU: Atypische Beschäftigung hat andere Ursachen
Kai Whittaker (CDU/CSU) versuchte, die These des Linken-Antrags, Sanktionen förderten atypische Beschäftigungsformen, mit Statistik zu widerlegen. So sei zum Beispiel die Zahl der 450-Euro-Jobs seit 2004 relativ konstant geblieben.
Der Anstieg der atypischen Beschäftigung komme vielmehr daher, dass viele Menschen einen Zweitjob haben und dies nicht, weil sie schlecht verdienen, sondern weil sie sich einfach etwas dazuverdienen wollen, sagte Whittaker. Es gebe nun einmal keinen Kompromiss zwischen der gesellschaftlichen Pflicht, arbeitslose Menschen zu unterstützen und der Pflicht der Einzelnen, mitzuwirken, um wieder eine Arbeit zu finden.
FDP: Das Problem wird aufgebauscht
Pascal Kober (FDP) warf Linken und Grünen vor, die zwei Grundprinzipien der Solidargemeinschaft infrage zu stellen. Diese seien zum einen, erst mal die eigenen Kräfte zu mobilisieren und zum zweiten, dass das Solidaritätsprinzip für alle gelte. „Natürlich dürfen die Jobcenter verlangen, dass Arbeitslose selbst dabei mitwirken, aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen“, sagte Kober.
Im Übrigen werde das Problem aufgebauscht, da 97 Prozent der Arbeitslosen nicht von Sanktionen betroffen seien, ergänzte er.
Linke: Hohe Fehlerquote verlangt nach Aufklärung
Katja Kipping (Die Linke) entgegnete: „Von Sanktionen sind nicht nur jene betroffen, gegen die sie tatsächlich ausgesprochen werden. Sanktionen schweben wie ein Damoklesschwert über allen Erwerbslosen.“ Wenn jede dritte Klage gegen Sanktionen vor den Gerichten erfolgreich ist, zeige dies doch eine extrem hohe Fehlerquote. „Angesichts dieser Fehlerquote gibt es einen Aufklärungsbedarf und offensichtlich ein strukturelles Problem“, sagte Kipping.
Außerdem seien von Sanktionen mehr als 300.000 Familien mit Kindern betroffen. Schon allein deswegen gehörten sie abgeschafft, forderte sie.
Grüne: „Einseitige Machtausübung“ beenden
Sven Lehmann (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte das derzeitige Vermittlungssystem in den Jobcentern als „einseitige Machtausübung“ gegen Erwerbslose und nicht als eine Beratung auf Augenhöhe. Solange der Vorrang der Vermittlung gelte, werden Menschen auch in schlechte Arbeit vermittelt.
Und solange manche Jobcenter Hochsicherheitstrakten glichen, könne man von einem Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitslosen und Jobcentern nicht sprechen. „Stärken Sie die Rechte der Arbeitslosen und schaffen Sie positive Anreize und Sie werden sehen, wie viel positive Energie in den Menschen steckt“, appellierte er.
Linke lehnt „Aktivierungsideologie“ ab
Die Linksfraktion hatte verlangt, Sanktionen im Hartz-IV-System und Leistungseinschränkungen bei der Sozialhilfe abzuschaffen. Mit diesen sollten die Menschen „um jeden Preis dazu gebracht werden, Erwerbsarbeit anzunehmen“.
Eine solche „Aktivierungsideologie“ sei jedoch nicht nur verfassungswidrig, sondern auch nicht zweckgemäß, weil sie die Position der Erwerbslosen auf dem Arbeitsmarkt verschlechtere und unsichere Arbeitsverhältnisse fördere, kritisierte die Fraktion. In der Abstimmung unterstützten 127 Abgeordnete den Antrag der Linken, 534 lehnten ihn ab, es gab eine Enthaltung.
Grüne: Zusätzliche Erwerbsarbeit besser stellen
Sanktionen in der Grundsicherung für Arbeitssuchende (Arbeitslosengeld II) abschaffen wollten auch Bündnis 90/Die Grünen: Steuern, Sozialabgaben und Sozialleistungen sollen zudem so aufeinander abgestimmt werden, dass zusätzliche Erwerbsarbeit die Menschen „spürbar immer besser stellt“. Die Mittel der Jobcenter für Personal- und Verwaltungskosten sowie für die Eingliederungshilfe sollten bedarfsdeckend erhöht werden.
Ferner verlangten die Grünen eine bessere Beratung der Arbeitssuchenden und Lohnkostenzuschüsse für über 25-Jährige, die länger als 24 Monate arbeitslos sind und absehbar keine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt haben. (che/sas/28.06.2018)