Koalition will Musterfeststellungsklage einführen
Der Bundestag hat am Freitag, 8. Juni 2018, in erster Lesung über das von der Regierungskoalition geplante Gesetz über die Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage diskutiert. Zur Debatte standen zwei gleichlautende Gesetzentwürfe von CDU/CSU und SPD (19/2507) und der Bundesregierung (19/2439) und ein Gesetzentwurf der Grünen (19/243), die zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz überwiesen wurden. Der Regierungsentwurf wurde im Rahmen des Tagesordnungspunktes „Überweisungen im vereinfachten Verfahren“ überwiesen an den Rechtsausschuss überwiesen.
Gesetzentwurf von Koalition und Regierung
Eingetragene Verbraucherschutzverbände sollen die Möglichkeit erhalten, zugunsten von mindestens zehn betroffenen Verbraucherinnen und Verbrauchern feststellen zu lassen, ob zentrale Voraussetzungen vorliegen, die einen Anspruch begründen oder ausschließen. Die Musterfeststellungsklage solle ausschließlich zwischen dem klagenden Verbraucherschutzverband und der beklagten Partei geführt werden. Die betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher sollen jedoch die Möglichkeit erhalten, ihre Ansprüche zu einem Klageregister anzumelden, was die Verjährung hemme und nicht mit einem Anwaltszwang verbunden sei.
Außerdem solle das Musterfeststellungsurteil Bindungswirkung für nachfolgende Klagen entfalten. Damit steige die Wahrscheinlichkeit einer einvernehmlichen Regelung aufgrund einer erfolgreichen Musterentscheidung, vor allem als Grundlage für Einigungen im Rahmen einer außergerichtlichen Streitschlichtung, heißt es in dem Gesetzentwurf.
Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag
Durch die Einführung einer Musterfeststellungsklage soll eine zügige und kostengünstige Durchsetzung von Ansprüchen, die einer Vielzahl von Personen zustehen, ermöglicht werden. Gleichzeitig soll dadurch einer missbräuchlichen Rechtsverfolgung vorgebeugt werden. „In einem durch standardisierte Massengeschäfte geprägten Wirtschaftsleben hinterlassen unrechtmäßige Verhaltensweisen von Anbietern häufig eine Vielzahl gleichartig geschädigter Verbraucherinnen und Verbraucher“, heißt es dazu in einer Mitteilung des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz.
Gerade wenn der erlittene Nachteil im Einzelfall gering sei, würden Schadensersatz- oder Erstattungsansprüche oft nicht individuell verfolgt, da der erforderliche Aufwand aus Sicht des Geschädigten unverhältnismäßig erscheine („rationales Desinteresse“). Komme eine Einigung der Parteien – etwa im Rahmen einer außergerichtlichen Streitschlichtung – nicht zustande und sähen die Betroffenen von einer Klage ab, verbleibe der unrechtmäßig erlangte Gewinn bei dem Anbieter, der hierdurch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber rechtstreuen Wettbewerbern erziele, so das Ministerium weiter.
Empfehlung der Europäischen Kommission
Vor dem Hintergrund entsprechender Feststellungen hat sich die Europäische Kommission in ihrer Empfehlung 2013/396/EU vom 11. Juni 2013 für „Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten“ ausgesprochen und diese Empfehlungen in ihrem Bericht vom 25. Januar 2018 über die Umsetzung dieser Empfehlung nochmals bekräftigt (Ratsdokument 6043 / 18).
Die Regierungskoalition hatte sich im Koalitionsvertrag für die laufende Legislaturperiode zum Ziel gesetzt, durch die Einführung einer Musterfeststellungsklage die Rechtsdurchsetzung für Verbraucherinnen und Verbraucher zu verbessern.
Ministerin: Es wird keine Klageindustrie geben
Einleitend stellte Bundesjustizministerin Dr. Katarina Barley (SPD) den Entwurf ihres Hauses vor, der im Ausschuss für Justiz und Verbraucherschutz beraten wird. In der folgenden Debatte übten die Redner von FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen heftige Kritik an dem Entwurf.
Barley betonte in ihrer Rede, das Prinzip „Wer recht hat, muss auch recht bekommen“ werde mit dem Entwurf verwirklicht. Mit dem von ihr als „Einer-für-alle-Klage“ bezeichneten Instrument könnten sich geschädigte Verbraucher zusammenschließen und müssten die Klage nicht selber führen. Die damit betrauten Verbraucherverbände stellten sicher, dass es keine Klageindustrie geben werde. In einem einzigen Verfahren würden eventuelle Ansprüche vieler Verbraucher schnell und kostengünstig verbindlich geklärt.
Gesetz soll am 1. November in Kraft treten
Durch die Eintragung in ein Klageregister werde die Verjährung gehemmt, die geschädigten Verbraucher wüssten im Ergebnis der Musterfeststellungsklage über ihre Erfolgsaussichten Bescheid und könnten ihre individuellen Ansprüche anschließend vor Gericht oder in einem Vergleich viel leichter durchsetzen. Das Gesetz soll am 1. November in Kraft treten.
Sie freue sich daher auf eine zügige, konstruktive parlamentarische Beratung, um eine Verjährung von Ansprüchen zum Jahresende zu verhindern, sagte Barley. Als Beispiele für solche Klagen nannte sie unzulässige Bearbeitungsgebühren bei Kreditinstituten, unwirksame Zeitklauseln von Energie- und Telekommunikationsanbietern und mangelhafte Produkte.
CDU/CSU: Noch viele Fragen zu klären
Die Redner der Regierungsfraktionen würdigten den Entwurf als ein Ergebnis des im Koalitionsvertrag angekündigten Pakts für den Rechtsstaat. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) betonte, berechtige Ansprüche von Verbrauchern dürften nicht liegenbleiben, weil individuelle Prozesse zu teuer und mit hohem Risiko verbunden seien. Daher müsse es ein einheitliches, gebündeltes Verfahren geben. Damit würden Ressourcen geschont und Kosten gespart. Davon profitierten die Verbraucher.
Besonders für die von Manipulationen betroffenen Dieselfahrer sei es wichtig, dass die Ansprüche nicht zum Ende des Jahres verjähren. Es seien allerdings noch viele Fragen zu klären und es sei nicht alles ausdiskutiert.
SPD: Ein guter Tag für den Verbraucherschutz
Dr. Johannes Fechner (SPD) sagte, nach jahrelanger Diskussion starte endlich die Beratung über eine Musterfeststellungsklage. Das sei „ein guter Tag für den Verbraucherschutz in Deutschland“. Tausende Autokäufer seien betroffen und müssten ihre Schäden ersetzt bekommen.
Der Gesetzentwurf sehe vor, dass diese schnell und ohne Kostenrisiko ihre Ansprüche geltend machen können. Damit werde der kollektive Rechtsschutz in Deutschland ausgebaut.
AfD: Fortschritt im Interesse der Bürger
Prof. Dr. Lothar Maier (AfD) bezeichnete eine Kollektivklage als „unausweichlich“. Bislang resignierten geschädigte Verbraucher viel zu oft, weil sie glaubten, ohnehin nicht recht zu bekommen.
Der Gesetzentwurf sei im Prinzip geeignet, die Forderungen der AfD zu erfüllen. Er sei ein „bedeutender Fortschritt im Interesse der Bürger“.
FDP: Weder schlau noch gute Gesetzgebung
Dr. Jürgen Martens (FDP) sagte, der Entwurf sei „mit Sicherheit“ nicht schnell und unbürokratisch. Es sei erstaunlich, mit welcher Gelassenheit die Koalition das Thema behandle. Das große Interesse der Bürger an dem Gesetzesvorhaben erfordere besondere Sorgfalt. Das sei aber nur bedingt der Fall.
Der Entwurf sei „weder schlau noch gute Gesetzgebung“. Er biete beispielsweise keine Lösung für Gewerbetreibende. Verbraucher bräuchten einen langen Atem, um ihre Ansprüche durchzusetzen.
Linke: Unnötig komplizierter Gesetzentwurf
Amira Mohamed Ali (Die Linke) bezeichnete die Musterfeststellungsklage als Antwort der Bundesregierung auf den Dieselskandal. Der Entwurf, der die Interessen der Wirtschaft über die der Verbraucher stelle, sei unnötig kompliziert und biete nur eine Zwischenetappe auf dem Weg zur Entschädigung.
Für die Dieselfahrer, die von Fahrverboten betroffen sind, werde es ein langer und schwieriger Weg. Zudem sei es „schier unglaublich“, wie schwer es den klagenden Verbänden gemacht werde.
Grüne: Fall von irreführender Produktwerbung
Dr. Manuela Rottmann (Bündnis 90/Die Grünen) beklagte ebenfalls den hohen Aufwand, mit dem Geschädigte ihr Geld zurückholen müssten. Daran ändere das Gesetz überhaupt nichts. Sie bezeichnete den Gesetzentwurf als den „drastischsten Fall von irreführender Produktwerbung“, den sie in den letzten Jahren gesehen habe. Es würden noch mehr Risiken auf die Geschädigten verlegt.
Mit einer „Karikatur des kollektiven Rechtsschutzes“ werde ein Schaden angerichtet, der kaum zu korrigieren sein werde. Sie rief die Koalition auf, „ein vernünftiges Gesetz“ zu machen, um einen „Totalschaden für den Rechtsstaat“ zu verhindern.
Gesetzentwurf der Grünen
Ebenfalls an den Rechtsausschuss überwiesen wurde ein Gesetzentwurf der Grünen (19/243). Danach sollen sich Menschen mit dem gleichen Anliegen zu einem Gruppenverfahren vor Gericht zusammenschließen können. Bisher gelte im Zivilprozess der Grundsatz, dass Geschädigte ihre Ansprüche vor Gericht individuell durchsetzen müssen und dabei jeder für sich das Prozesskostenrisiko zu tragen hat, führt die Fraktion aus. Im Fall des Abgasskandals seien es Tausende Klagen, die „einzeln von den Gerichten entschieden werden müssen“. Rechtedienstleistern, die Forderungen von Betroffenen übernommen hätten, winkten hohe Erfolgsprovisionen. Es fehle ein „effektives Rechtsinstrument zur kollektiven Durchsetzung in der Zivilprozessordnung“.
Ein solches Instrument wollen die Grünen mit der Einführung eines Gruppenverfahrens bereitstellen. Sie verweisen darauf, dass mit dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz bereits in einem Bereich die Möglichkeit der Bündelung individueller Ansprüche geschaffen sei, allerdings mit hohen Zugangsschranken. In dem neuen Gesetz sollen die Schranken niedriger sein. Es soll bei Inkrafttreten auch das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz ersetzen. Anwendbar sein soll das Gruppenverfahren in allen Zivilstreitigkeiten außer Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. (mwo/vom/hau/nal/11.06.2018)