Einblicke in das System Nordkoreas von Hanns Günther Hilpert
Im Konflikt um das nordkoreanische Nuklearprogramm stehen die Zeichen seit Anfang 2018 auf Entspannung. Die seit Jahrzehnten verfeindeten Länder Nord- und Südkorea bewegen sich diplomatisch aufeinander zu. Außerdem hat der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Un international Verhandlungsbereitschaft signalisiert, reiste zu Gesprächen mit der chinesischen Führung in das Nachbarland. Und auch US-Präsident Donald Trump ging auf die Avancen Kims ein und will sich noch bis Juni mit dem Diktator treffen.
Nuklearprogramm als zentraler Streitpunkt
Wie sind die jüngsten Ansätze für Entspannung und Abrüstung zu beurteilen? Und wie verhandelt man mit einem dermaßen abgeschotteten Staat, über den nur wenig bekannt ist? Der Asienexperte Dr. Hanns Günther Hilpert, Leiter der Forschungsgruppe Asien der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), gab in der jüngsten Veranstaltung der Reihe „W-Forum“ der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages am Donnerstag, 12. April 2018, unter dem Titel „Wie funktioniert Nordkorea? Einblicke in ein unbekanntes Land und Herrschaftssystem“ eine Einschätzung zur aktuellen Lage in und um Nordkorea ab.
Zentraler Streitpunkt in dem Konflikt mit Nordkorea ist das Nuklearprogramm des Landes. Die Nachbarländer und weite Teile der Staatengemeinschaft fühlen sich durch das Waffenarsenal sowie immer neue Atom- und Raketentests bedroht. Für das dortige Regime dagegen stellen die nuklearen und militärischen Fähigkeiten eine Lebensversicherung dar und sind Teil der nordkoreanischen Staatsräson, führte Dr. Hanns Günther Hilpert aus. Das Militär hat in Nordkorea eine in der Verfassung festgeschriebene Vorrangstellung.
Drohkulisse zur Erpressung des Auslands
Mit den Raketen, die bei Testflügen bereits den Pazifik erreicht haben, und, mit nuklearen Sprengköpfen ausgestattet, eines Tages auch die USA erreichen könnten, baue Nordkorea einerseits eine Drohkulisse zur Erpressung des Auslands auf, andererseits dienten die herausgehobene Stellung des Militärs und die propagandistisch zur Schau gestellten militärtechnologischen Erfolge dem Machterhalt im Inneren, gegenüber der eigenen Bevölkerung, ja dazu, gesellschaftliche Modernisierungstendenzen zurückzudrängen.
Lasse man Nordkorea weiter so agieren, könne theoretisch auch Europa unter Raketenbeschuss geraten, eher jedoch die USA. Die übrigen Nato-Mitglieder seien dann als Bündnispartner gefragt. Ein neuer Krieg um Korea träfe heute das wirtschaftliche Gravitationszentrum Asiens mit Anrainern wie China, Südkorea und Japan und würde der Weltwirtschaft einen Rückschlag geben, mahnte Hilpert.
Provokationen des Kim-Regimes
Es hat bereits zahlreiche internationale Initiativen und Vermittlungsversuche gegeben, und schließlich auch die Wirtschaftssanktionen der Vereinten Nationen, um Nordkorea von seinem Atomprogramm abzubringen und das Land politisch und völkerrechtlich einzubinden. Doch Verhandlungserfolge und Vereinbarungen hat das Kim-Regime immer wieder durch Provokationen wie Nuklear- und Raketentests zunichte gemacht.
Hilpert rief in Erinnerung, dass die Politik der Eskalation ein aus der Vergangenheit bekanntes Muster der nordkoreanischen Außenpolitik sei. Im Vergleich zu damals gebe es jedoch einen frappierenden Unterschied: „In der Eskalationsspirale befinden wir uns heute auf einer höheren Stufe“, vor allem was die geografische Dimension betreffe. „Wenn Nordkorea im Unterschied zu früher fähig ist, die USA nuklear zu bedrohen, dann ist die Lage jetzt ernst“, so der Asien-Experte. Ein nuklearer Konflikt bleibe im Gegensatz zu einem konventionellen Krieg nicht mehr auf die koreanische Halbinsel beschränkt.
Atomwaffenarsenal als größte Gefahr
Interesse der USA sei es vor allem, Nordkorea seine nuklearen Fähigkeiten zu nehmen. Dass der nordkoreanische Machthaber Kim Yong Un gerade jetzt Gesprächsbereitschaft signalisiert, und seine Bereitschaft bekundet abzurüsten, lasse sich vermutlich auf die härtere außenpolitische Haltung der neuen US-Regierung zurückführen, sagte Prof. Dr. Ulrich Schöler, Leiter der Abteilung Wissenschaft und Außenbeziehungen der Bundestagsverwaltung. So betrachtet US-Präsident Donald Trump Nordkoreas Atomwaffenarsenal als größte Gefahr für die Sicherheit seines Landes und hatte kürzlich angekündigt, Angriffe auf seinen Verbündeten Südkorea militärisch zu beantworten.
Die Diskussion im W-Forum ließ deutlich werden, wie sich in jüngster Zeit einerseits die militärischen Möglichkeiten Nordkoreas erweitert, und andererseits die internationalen Rahmenbedingungen für das Land verschlechtert haben – von dem schärferen diplomatischen Ton der USA bis zu den Wirtschaftssanktionen der Vereinten Nationen, die auch China mitträgt. Gründe genug für Pjöngjang, nun mit den Großmächten und dem Süden auf einen Deal hinzuarbeiten, die sein Überleben sichern.
„Schnelle Ergebnisse nicht zu erwarten“
Was den geplanten Gipfel zwischen Trump und Kim angehe, bleibe er allerdings skeptisch, so Hilpert. Schnelle Ergebnisse seien nicht zu erwarten. Das optimistischste Szenario bestehe wohl darin, dass man sich auf einen Prozess der Annäherung einige, der zu einem Friedensvertrag, gegenseitiger staatlicher Anerkennung des Nordens und des Südens sowie der Einrichtung diplomatischer Vertretungen, auch einer Botschaft der USA in Pjöngjang, führe. Vielleicht könne man Nordkorea so zu Schritten der Denuklearisierung bewegen.
Seinen größten politischen Trumpf gegenüber Nordkorea habe Präsident Trump aber bereits aus der Hand gegeben: Ein Treffen mit dem US-Präsidenten hätte am Ende von Verhandlungen stehen müssen. Statt dessen werte Trump den nordkoreanischen Machthaber mit einem Gipfeltermin bereits zu Beginn der Gespräche und ohne jede Gegenleistung auf. Kim habe damit ein Hauptziel bereits erreicht.
Isolierte Diktatur mit Führerkult
Dass sich Nordkorea in der modernen, vernetzten Welt hat halten können, führt Hilpert auf die besonderen historischen, geografischen und kulturellen Existenzbedingungen des Landes zurück. Nordkorea, eines der am stärksten abgeschotteten Länder der Welt, eine isolierte Diktatur mit Führerkult, sei ein Anachronismus und lasse sich nur von innen heraus verstehen. So habe die Erfahrung jahrhundertelanger Fremdherrschaft zu dem außenpolitischen Leitmotiv geführt, nie wieder die staatliche Souveränität zu verlieren.
Der Konfuzianismus mit seinen tradierten Moralvorstellungen wie Respekt und Loyalität bilde die geistige Grundlage der nordkoreanischen Gesellschaft und diene der Kim-Dynastie als Herrschaftsinstrument. Dabei fehle in Nordkorea im Unterschied zu Europa der Wettbewerb gesellschaftlicher Gegenentwürfe, ein Denken in Alternativen. Wie eine zweite Haut hätten die meisten Menschen die als Staatsideologie modifizierten historischen Werte verinnerlicht. Bei einem äußeren Angriff würde wohl der Großteil der Menschen das System bis zum letzten Rekruten verteidigen, vermutet Hilpert. Gefahr drohe dem Kim-Regime eher aus Spannungen innerhalb der Elite, nicht aber aus der Bevölkerung.
Wirtschaftliche Dauerkrise
Die ausbleibenden wirtschaftlichen Erfolge sind laut Hilpert die Schwachstelle Nordkoreas. Das Land befindet sich wirtschaftlich in einer Dauerkrise, immer wieder kommt es zu Versorgungsengpässen. Marktwirtschaftliche Anreize fehlen, durch die Kriegswirtschaft werden dem zivilen Sektor Mittel entzogen, die selbstgewählte Isolation und die internationalen Sanktionen verstärken diesen Effekt noch. Wirtschaftlich ist Nordkorea fast komplett von China abhängig, 86 Prozent der Exporte und 90 Prozent der Importe wickelt es mit der Volksrepublik ab.
Die Hungersnot der 1990er-Jahre habe das Regime Vertrauen gekostet. Seitdem habe sich in kleinstem Maßstab auf lokaler Ebene eine Art staatlich geduldeter Graswurzelkapitalismus herausgebildet, bei dem sich die Menschen mit Nebentätigkeiten selbst versorgen. Es ist Teil der vorsichtigen wirtschaftlichen Öffnung des außenwirtschaftlich unbedeutenden Landes von innen heraus, dass sich sowohl das Regime wie auch seine Bürger eingestehen, dass allein eine solche private Initiative das Überleben ermöglicht.
Militär genießt Priorität
Hilpert illustrierte, eine wie straff durchorganisierte Gesellschaft Nordkorea unter der Kim-Diktatur ist, mit gleichgeschalteten Medien und einem staatlich gelenkten, ideologisierten Bildungs- und Erziehungsbereich. Das Militär genieße Priorität vor der wirtschaftlichen Produktion. Der Machtanspruch des staatlichen Systems erstrecke sich auf sämtliche Bereiche der Gesellschaft, bis zur fast vollständigen Kontrolle der Kommunikation, Mobilität und privater Wohnungen seiner Bürger.
Dabei gründe sich das Regime auch auf Methoden des Terrors, so Hilpert, und verwies auf die Fülle schwerster Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea. So erführen zahlreiche politische Häftlinge Folter und Zwangsarbeit. Dies sei bereits Motivation genug für Europa, den Krisenherd Korea nicht aus den Augen zu verlieren und weiter Druck auf das Kim-Regime auszuüben, internationale Standards einzuhalten. (ll/13.04.2018)